Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711727157

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      »So long, Felix«, rief ein Bariton von drinnen.

      Flachbauer brach das Gespräch ab und sah gespannt zur Tür, aus der vier Offiziere kamen. Der Mann auf der Bank stand auf und grüßte einen von ihnen; doch die Amerikaner gingen an ihm vorbei, als hätten sie ihn nicht gesehen.

      Felix Lessing saß in seinem Büro mit angezogenen Beinen. Auf seinem Schreibtisch stand die Whiskyflasche. Susanne sah, daß sich seine Pupillen verfärbten, violett wurden wie Eis im Föhn, und sie wußte, daß sein Gesicht in Stunden wieder aussehen würde wie ein vertrocknetes Flußbett.

      »Kann Flachbauer jetzt kommen?« fragte sie.

      »Kann warten«, erwiderte der Captain und lehnte sich zurück.

      Die Tür zum Vorzimmer stand offen. Felix sah Susanne, verfolgte ihre sicheren, geschickten Bewegungen. Er kannte ihr kurzes Leben auch aus den Akten. Der Fragebogen war in dieser Zeit Beichte wie Visitenkarte. Er wußte, daß Susanne aus einer katholischen Familie kam, daß ihr Bruder gefallen und ihr Vater politisch farblos und unbelastet war: kein Nationalsozialist und kein Antifaschist, ein braver Bürger.

      Sie hatte nie mit ihm über ihre Familie gesprochen, nie etwas von ihm gewollt, und selbst wenn sie ihm zürnte, versuchte sie es zu verbergen. Er begriff, daß sie ihn richtig nahm, daß er ihre Passion war, während er Susanne doch nur als Episode ansehen wollte.

      Felix trank. Er sah Susannes schweigenden Vorwurf und hielt ihr die Flasche vor wie ein rotes Tuch.

      »Willst du etwas?«

      »Nein.«

      »So du etwas wolltest«, sagte er mit harter Stimme, »wäre es besser, du würdest es sagen.«

      Sie überging seine Worte. Ihre Lippen schlossen sich wie eine wattierte Tür.

      »Okay«, sagte Felix, »dann ruf diesen damned guy« herein.«

      Flachbauer trat mit einer Verbeugung ein.

      »Mr. Lessing«, begann er, »leider kann ich nicht englisch, und so muß ich Sie bitten …«

      »Zur Sache, bitte!« unterbrach ihn Felix. Ungeduldig setzte er hinzu: »Sie haben Ihre Unterlagen doch schriftlich eingereicht?«

      »Ja – und außerdem …«

      »Gleich«, sagte der Captain.

      Er ließ sich von Susanne den Akt Flachbauer bringen, schlug den Leitzordner auf, ohne den Mann zu betrachten, der seine Schuhspitzen besah. Sie glänzten vor Sauberkeit. Alles war reinlich an diesem Besucher, selbst sein Fragebogen. Felix Lessing konnte in fünf Minuten fünfzig Jahre Leben überblicken.

      Er sah diesen Mann in den Knickerbockern als Sekretär einer konfessionellen Organisation vor sich, einen harmlosen Menschen, der nach der Machtergreifung ein paar Tage lang für seine Religion in Haft kam – während sich seine Kirche bereits, wenn auch nur zeitweilig, mit Hitler arrangiert hatte –, er sah die Familie Flachbauer, die Zweizimmerwohnung, roch Bohnerwachs und Mottenpulver, hörte das Klavierspiel der Tochter und das Schulgedicht des Sohnes, klappte den Aktendeckel zu und vergaß den Mann, der auf der anderen Seite des Schreibtisches auf dem Stuhl saß, wie alle anderen Supplikanten vor ihm, die viel mehr von dem US-Offizier verlangt hatten als eine Lizenz für farbige Ansichtskarten.

      Felix Lessing bemerkte Flachbauers besorgte Miene nicht. Dieses Mal hatte er es leicht. Bei diesem Besucher brauchte er sich nicht zu fragen, ob er ihm ein Stück künftiger Pressefreiheit anvertrauen könne. Er mochte die Entscheidung nicht, die er zu treffen hatte, weil er den fatalen Gedanken nicht loswurde, daß viele Berufene, die das Dritte Reich überlebt hatten, lieber schwiegen, als den Weg über die Bücklingsallee anzutreten.

      Am leichtesten hatte es Felix mit Männern, die er rufen ließ, weil sie nicht freiwillig kamen. Schwieriger war es mit anderen, die sich an ihn herandrängten. Er war kein Diogenes. Er brauchte auch in vielen Fällen keine Laterne, weil sich manche seiner Gäste selbst ins Licht setzten.

      Während der Captain dasaß, rauchte, nach Whisky roch und Susannes knappe Bewegungen verfolgte, mußte er seine Besucher auf weiße, graue oder schwarze Listen setzen und zuhören, wie sie die Lücken ihres Lebenslaufes füllten, um gute Vergangenheit in genutzte Gegenwart zu verwandeln.

      Felix Lessing war draußen gewesen, in Übersee, weit weg vom Mord, und sollte nun hier rasch und ex cathedra entscheiden, welche seiner Besucher Menschen wie seinen Vater verfolgt oder ihnen heimlich geholfen hatten.

      Nicht nur diese Verantwortung drückte. Weil der Militärregierung, oft in bester Absicht, Fehler unterliefen, versuchte er, in seinem Ressort gründlich zu arbeiten.

      Er wußte, daß aus den Leuten, denen er heute eine Lizenz gab, die Mächtigen von morgen werden konnten.

      Felix versuchte verzweifelt, die richtige Wahl zu treffen, jagte die Aspiranten durch ein umständliches und gefürchtetes Clearing-Verfahren, ließ von Ermittlern ihr Leben umgraben wie ein braches Feld, fand meistens nichts und irrte doch oft.

      Wie gestern, da er einem Verleger die Lizenz abnahm, weil der Mann seine Mitarbeit an der braunen Presse mit Erfolg verheimlicht hatte. Jetzt mußte der Captain binnen kurzer Zeit einen anderen Kandidaten suchen, sich dabei der Gefahr aussetzend, durch Zeitnot einen noch größeren Fehler zu begehen.

      Felix betrachtete den Mann mit der durchsichtigen Vergangenheit: Er wollte wenig. Das sprach für ihn. Er hat kein Format, dachte Felix, aber saubere Hände. Ist es nicht besser als umgekehrt?

      »Also, Sie wünschen eine Lizenz?« fragte der Captain.

      »Ja, Mr. Lessing – für handkolorierte Ansichtskarten.«

      »Aber deswegen brauchen Sie doch nicht zu mir zu kommen«, erwiderte Felix zerstreut.

      »Es ist eine Verordnung der Militärregierung.« Der Mann mit den Knickerbockern schaute auf den Boden, um den US-Offizier nicht der Unkenntnis seiner eigenen Order zu bezichtigen.

      »Warum sind Sie eigentlich so bescheiden?« fragte Felix. »Warum begnügen Sie sich mit Postkarten?«

      »Es würde ausreichen für meine Existenz.«

      »Vielleicht hätte ich etwas anderes für Sie.« Der Captain lächelte über sich. Ja, er hatte es satt, die Wortreichen zu lizenzieren, und außerdem soufflierte seinem spontanen Einfall der Alkohol: »Eine Lizenz für einen Zeitungsverlag.«

      Der Besucher verstand ihn nicht; er bangte um seine Ansichtskarten.

      »Ich suche noch jemanden für den Tageskurier«, sagte Felix. »Es ist eine der Lizenzen frei, vielleicht für Sie. Was halten Sie davon?« Felix verfolgte jede Regung im Gesicht Flachbauers, bereit, sein Angebot sofort als Scherz abzutun, falls sich sein Besucher als zu gierig, zu töricht oder zu schlau erwies.

      Der Bewerber antwortete überhaupt nicht. Er kannte das Projekt Tageskurier, aber es war ihm zu groß.

      »Na, was meinen Sie?«

      »Ich habe zwar früher schon für eine Zeitung gearbeitet«, antwortete der Mann in den Knickerbockern, »aber ich verstehe vielleicht doch zu wenig davon.«

      Felix erläuterte Flachbauer, СКАЧАТЬ