Das verlassene Haus. Louise Penny
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das verlassene Haus - Louise Penny страница 11

Название: Das verlassene Haus

Автор: Louise Penny

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Ein Fall für Gamache

isbn: 9783311701262

isbn:

СКАЧАТЬ voll von ihrer Angst, ihrem Kummer, ihrer Wut.

      »Warum halten wir dort keine Séance ab?«, fragte Monsieur Béliveau. Alle drehten sich langsam zu ihm um, erstaunt, so als hätte der Kamin zu sprechen angefangen und etwas höchst Befremdliches gesagt.

      »Ich weiß nicht recht.« Gabri rutschte nervös auf seinem Stuhl herum.

      Instinktiv sahen alle Clara an. Ohne das jemals angestrebt zu haben, war sie zum Mittelpunkt der Gemeinde geworden. Klein, mittleren Alters und mittlerweile etwas mollig, gehörte Clara zu jener seltenen Sorte Mensch, die zugleich vernünftig und einfühlsam war. Jetzt erhob sie sich, nahm sich eine Handvoll Cashewnüsse und was von ihrem Scotch noch übrig war und ging zum Fenster. Die meisten Lichter um den Dorfanger herum brannten nicht mehr. Three Pines schlief. Nachdem sie einen Moment lang den friedlichen Anblick genossen hatte, wanderten ihre Augen zu dem schwarzen Loch auf dem Hügel. Sie stand ein paar Minuten da, trank, knabberte und überlegte.

      War es möglich, dass sich in dem alten Hadley-Haus ihre ganze Wut und ihr ganzer Kummer gesammelt hatten? Zog es etwa deswegen Mörder an? Und Gespenster?

      »Ich denke, wir sollten es tun«, sagte sie schließlich.

      »Um Gottes willen!«, sagte Peter.

      Clara blickte noch einmal aus dem Fenster.

      Es war an der Zeit, das Böse ein für alle Mal aus der Welt zu räumen.

      6

      Monsieur Béliveau öffnete Madeleine die Autotür.

      »Meinst du nicht, es wäre besser, wenn ich dich nach Hause fahre?«

      »Nein, nein, kein Problem. Ich bin schon wieder ruhiger«, log sie. Ihr Herz hämmerte noch immer in ihrer Brust, und sie war müde. »Jetzt kann ja nichts mehr passieren, nachdem du mich sicher zum Auto gebracht hast. Kein Bär kann mir was tun.«

      Er nahm ihre Hand. Seine fühlte sich wie Reispapier an, trocken und zerbrechlich, und doch war sein Griff fest. »Sie tun dir nichts. Sie werden nur gefährlich, wenn du zwischen eine Mutter und ihr Junges gerätst. Davor musst du dich in Acht nehmen.«

      »Ich werde es mir aufschreiben. ›Ich darf keine Bären ärgern.‹ Versprochen.«

      Monsieur Béliveau lachte. Madeleine mochte sein Lachen. Sie mochte den Mann. Sie fragte sich, ob sie ihm ihr Geheimnis anvertrauen sollte. Es würde sie erleichtern. Sie hatte den Mund bereits geöffnet, schloss ihn jedoch wieder. Er hatte noch so viel Traurigkeit in sich. So viel Sanftmut. Das durfte sie ihm nicht nehmen. Noch nicht.

      »Möchtest du auf einen Kaffee hereinkommen? Ich werde auch aufpassen, dass er koffeinfrei ist.«

      Sie zog ihre Hand zurück.

      »Ich muss nach Hause, danke für den schönen Tag«, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

      »Nur ohne Gespenster.« Es klang fast, als bedauerte er es. Und das tat er tatsächlich.

      Er sah den roten Rücklichtern nach, die auf der Rue du Moulin an dem alten Hadley-Haus vorbeifuhren und hinter der Kurve verschwanden, dann machte er kehrt und ging zu seiner Haustür. Sein Gang war fast beschwingt. Etwas sehr Zartes war in ihm zum Leben erwacht. Etwas, von dem er überzeugt gewesen war, dass er es mit seiner Frau zu Grabe getragen hatte.

      Myrna warf ein paar Scheite in den schmiedeeisernen Ofen und schloss die Tür. Dann schlurfte sie mit müden Schritten durch ihre Wohnung, wobei sie sich instinktiv von Flickenteppich zu Flickenteppich bewegte wie ein Schwimmer von Insel zu Insel, und knipste dabei nacheinander die Lampen aus. Die Wohnung mit den Ziegelwänden und den alten Balken versank langsam in Dunkelheit, bis auf das eine Licht neben ihrem großen, einladenden Bett. Myrna stellte den Becher mit heißer Schokolade und den Teller mit Schokoladenkeksen auf das alte Nachttischchen und nahm ihr Buch. Sie hatte sich wieder einmal die Klassiker vorgenommen. Zum Glück war der Vorrat an Büchern in ihrem Antiquariat unerschöpflich. Sie selbst war ihre beste Kundin. Gut, sie und Clara, von der der größte Teil gebrauchter Krimis stammte. Sie fing an zu lesen, eine Wärmflasche an den Füßen, die Bettdecke bis unters Kinn gezogen. Sie nippte an dem Kakao und knabberte Kekse, bis sie merkte, dass sie seit zehn Minuten immer wieder dieselbe Seite las.

      Sie war mit den Gedanken woanders, sie waren irgendwo in der Dunkelheit zwischen den Lichtern von Three Pines und den Sternen hängen geblieben.

      Odile schob die CD in die Anlage und setzte den Kopfhörer auf.

      Endlich war es so weit. Sechs Tage lang wartete sie sehnsüchtig auf diesen Moment, von Tag zu Tag mit wachsender Ungeduld. Nicht dass sie ihren Alltag nicht genoss. Im Gegenteil, sie war erstaunt, wie viel Glück sie hatte. Dass Gilles sich ihr zugewandt hatte, nachdem seine Ehe in die Brüche gegangen war, erstaunte sie immer noch. Sie war schon in der Highschool in ihn verknallt gewesen. Irgendwann hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und ihn zu dem alljährlichen Tanzfest mit Damenwahl eingeladen, und sie hatte einen Korb bekommen. Aber er war nicht gemein gewesen. Einige der Jungen waren gemein, besonders zu Mädchen wie Odile. Aber Gilles nicht. Er war immer freundlich gewesen. Hatte immer gelächelt und im Treppenhaus bonjour gesagt, selbst wenn seine Freunde es hören konnten.

      Odile hatte ihn damals angebetet, und sie betete ihn noch immer an.

      Dennoch sehnte sie sich jede Woche nach diesem Moment. Freitagabend ging Gilles immer früh ins Bett, und sie zog sich in das kleine Wohnzimmer in dem Haus in St-Rémy zurück.

      Sobald sie die ersten Töne des ersten Liedes vernahm, entspannten sich ihre Schultern und sanken nach unten. Sie spürte, wie ihre Wachsamkeit nachließ. Der Zwang, auf jedes Wort zu achten, jede Bewegung. Sie schloss die Augen und nahm einen großen Schluck Wein, so wie eine Ertrinkende nach Luft schnappte. Die Flasche war schon halb leer, und Odile sorgte sich, dass ihr der Wein ausgehen könnte, bevor sich der magische Moment einstellte. Die Verwandlung.

      Ein paar Minuten später hatte sich Odile erhoben – ihre Augen waren geschlossen – und lief über eine blumengeschmückte Bühne. In Oslo. Es war doch Oslo, oder nicht? Egal.

      Das elegante Publikum in Frack und Abendkleid war auf die Füße gesprungen. Klatschte. Nein, weinte.

      Odile blieb auf halbem Weg stehen, um der jubelnden Menge zuzuwinken. Sie legte ihre Hand auf die Brust und verbeugte sich mit einem Ausdruck größter Bescheidenheit und Würde.

      Dann legte ihr der König die Seidenschärpe um. Auch er hatte Tränen in den Augen.

      »Es ist mir ein großes Vergnügen, Madame Montmagny, Ihnen den Nobelpreis für Literatur verleihen zu dürfen.«

      Aber an diesem Abend rührte sie der donnernde Applaus nicht, er hüllte sie nicht ein und schützte sie nicht vor der Angst, dass man entdeckt haben könnte, was für eine jämmerliche Gestalt sie eigentlich war. Vor dem Versuch, sich in einer Welt zurechtzufinden, deren geheimen Code alle verstanden, nur sie nicht.

      Aber Odile wusste etwas, was sonst niemand wusste, es war ihr kleines Geheimnis. Alle Leute bei der Séance hatten vor bösen Geistern Angst gehabt, aber sie wusste, dass das Monster nicht aus der anderen Welt kam, sondern aus dieser. Odile Montmagny wusste auch, wer es war.

      Bei ihrer Rückkehr fand Madeleine eine nervöse und unruhige Hazel vor.

      »Konnte nicht schlafen«, sagte Hazel und schenkte ihnen beiden eine Tasse СКАЧАТЬ