Название: Das verlassene Haus
Автор: Louise Penny
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Ein Fall für Gamache
isbn: 9783311701262
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Clara ging zu dem Haus und bückte sich. Dann richtete sie sich wieder auf und zog sich rasch in die relative Sicherheit des Wegs und Myrnas zurück.
»Du wirst es nicht glauben, aber es ist Schnee!«
»Das kann nicht sein. Der Schnee ist doch schon lange geschmolzen.«
»Hier nicht.« Clara kramte in ihrer Hosentasche und zog einen riesigen, schweren Bartschlüssel heraus.
»Und ich dachte die ganze Zeit, du würdest dich freuen, mich zu sehen«, sagte Myrna.
»Ha, ha«, Clara lächelte. Sie war froh, dass Myrna ihren Humor nicht im Dorf zurückgelassen hatte. »Die Immobilienmaklerin war überglücklich, ihn mir zu überlassen. Ich bezweifle, dass sie in den letzten Monaten das Haus jemandem gezeigt hat.«
»Was hast du ihr gesagt?«, fragte Madeleine. Da Clara und Myrna offenbar noch lebten, hatten die anderen beschlossen, sich zu ihnen zu gesellen.
»Dass wir alle Dämonen zusammentrommeln und aus dem Haus vertreiben werden.«
»Und daraufhin hat sie dir den Schlüssel überlassen?«
»Sie hat ihn mir praktisch nachgeworfen.«
Clara steckte den Schlüssel in das Schloss, aber da war die Tür schon aufgegangen. Sie ließ den Schlüssel los und sah zu, wie Schlüssel und Türknauf in der Dunkelheit verschwanden.
»Weshalb machen wir das hier schnell wieder?«, flüsterte Monsieur Béliveau.
»Aus Spaß«, sagte Sophie.
»Nicht alle von uns«, sagte Jeanne, dann umrundete die kleine, farblose Frau das Grüppchen und ging ins Haus.
Einer nach dem anderen betraten sie das alte Hadley-Haus. Drinnen war es noch kälter als draußen, und es roch muffig. Der Strom war schon lange abgestellt worden, und die Lichtkegel aus den Taschenlampen strichen über die Blumenmustertapete, die sich stellenweise von der Wand löste und feuchte Flecken hatte, Wasserflecken, wie sie hofften. Sie trugen die Taschenlampen wie Schwerter vor sich her, als sie tiefer in das Haus drangen, sie verliehen ihnen Mut. Die Dielen knarrten unter ihren Schritten, und aus der Ferne war ein Flattern zu hören.
»Ein Vogel«, sagte Gabri. »Der Arme findet nicht raus.«
»Wir müssen ihn suchen«, sagte Madeleine.
»Bist du verrückt?«, flüsterte Odile.
»Sie hat recht«, sagte Jeanne. »Das ist eine gefangene Seele. Wir können nicht einfach so tun, als wäre er nicht da.«
»Vielleicht ist es überhaupt kein Vogel«, flüsterte Gabri Hazel zu, die immer noch nicht glauben konnte, dass sie hier war.
Eng aneinandergepresst bewegten sie sich wie ein riesiges Insekt weiter. Auf vielen Füßen schlichen sie, verfolgt von vielen Ängsten, durch das feuchtkalte Haus und blieben immer wieder stehen, um sich zu orientieren.
»Es ist oben«, sagte Jeanne leise.
»Wo sonst?«, fragte Gilles. »Sie sind nie gleich bei der Tür. Nie hausen sie im sommerlichen Rosengarten oder im Wagen des Eismanns.«
»Das erinnert mich an ein Spiel, das ich immer mit Peter spiele«, sagte Clara zu Myrna, die sich im Moment nicht die Bohne dafür interessierte. Sie überlegte gerade, ob sie mal wieder die Langsamste von allen war. Vielleicht war Hazel noch langsamer, dachte Myrna hoffnungsvoll, und die Dämonen würden über sie herfallen. Aber Hazel würde garantiert jeden Geschwindigkeitsrekord brechen, um ihre Tochter zu retten. Als Psychologin wusste Myrna, dass Mütter übermenschliche Kräfte entwickelten, wenn es um ihre Kinder ging.
Dieser miese Mutterinstinkt, dachte Myrna, vermasselt mir noch mein ganzes Leben. Sie trat auf die Treppe, der Treppenläufer war abgetreten und mottenzerfressen, und mit jeder fürchterlichen Stufe, die sie erklomm, hörte sie das wilde Schlagen von Flügeln lauter werden.
»Immer wenn wir uns einen Gruselfilm ansehen, wo Leute in ein Gespensterhaus gehen …« Clara redete immer weiter. Gut, dachte Myrna, dann werden sich die Dämonen auf sie stürzen, »… dann spielen wir ›Wann haut ihr endlich ab?‹ Körperlose Köpfe schweben herum, Schmerzensschreie, Freunde ohne Eingeweide, und doch bleiben sie.«
»Bist du fertig?«
»Ja, völlig.« Clara hatte es geschafft, sich noch mehr in Angst zu versetzen, und fragte sich, ob Peter ihr jetzt zurufen würde, dass sie endlich abhauen sollte, wenn das ein Film wäre.
»Dort drinnen.«
»Natürlich«, murmelte Gilles.
Jeanne stand vor einer geschlossenen Tür. Die einzige geschlossene Tür auf dem ganzen Flur. Plötzlich war es still.
Dann war direkt hinter der Tür ein heftiges Flattern zu hören, als würde sich das Ding da drinnen gegen die Tür werfen.
Jeanne streckte ihre Hand aus, aber Monsieur Béliveau trat vor und zog sie mit seiner langen, schmalen Hand vom Türknauf weg. Dann machte er noch einen Schritt und nahm ihn selbst in die Hand.
Er drehte ihn.
Sie konnten nichts erkennen. Die Dunkelheit blieb undurchdringlich, obwohl sie mit aufgerissenen Augen in das Zimmer starrten. Aber etwas dort drin entdeckte sie. Nicht der Vogel, der jetzt wieder still war. Etwas anderes. Der Raum strömte Kälte aus, die von einem Hauch Parfüm begleitet wurde.
Der Raum roch nach Blumen. Frischen Frühlingsblumen.
Clara überkam plötzlich eine tiefe Melancholie, eine Traurigkeit, die aus ihrem Innersten hochstieg. Sie spürte den Kummer des Zimmers. Die Sehnsucht des Zimmers.
Sie holte tief Luft und merkte erst jetzt, dass sie sie angehalten hatte.
»Kommen Sie«, flüsterte Jeanne, ihre Stimme schien in Claras Kopf zu sein, »lassen Sie uns tun, weshalb wir gekommen sind.«
Die anderen sahen zu, wie zuerst Jeanne und dann Clara in die Dunkelheit traten. Dann folgten sie ihnen, und ihre Taschenlampen erhellten den Raum immer mehr. Schwere Samtvorhänge hingen schief an den Fenstern. An einer Wand stand ein Himmelbett, das immer noch mit weißer Spitzenbettwäsche bezogen war. Das Kissen war eingedrückt, so als hätte dort ein Kopf gelegen und hätte sich unruhig hin und her gewälzt.
»Ich kenne dieses Zimmer«, sagte Myrna. »Genau wie ihr beiden«, sagte sie zu Clara und Gabri.
»Das Schlafzimmer der alten Timmer Hadley«, sagte Clara, erstaunt, dass sie es nicht gleich wiedererkannt hatte. Das machte die Angst. Clara war oft in diesem Zimmer gewesen, als sie sich um die sterbende alte Frau gekümmert hatte.
Sie hatte Timmer Hadley gehasst. Das Haus gehasst. Die Schlangen, die sie durch den Keller gleiten hörte. Vor ein paar Jahren hatte dieses Haus sie beinahe umgebracht.
Clara spürte eine Welle der Übelkeit in sich СКАЧАТЬ