Название: Ausgewählte Erzählungen - Band 2
Автор: Bjørnstjerne Bjørnson
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711448649
isbn:
„Ist es möglich“, sagte er, „daß ein Kind in deinem Alter eine so große Sünde begehen kann?“
Petra sah ihn an. Sie hatte zwar gewußt, daß das eine Sünde war, hatte es aber immer nur auf folgende Weise verkündet bekommen: „Du Satansbraten, du schwarzgelockter Teufel, du!“ Nun schämte sie sich plötzlich.
„Warum gehst du nicht in die Schule und lernst die Gebote, die Gott uns gegeben hat, damit wir wissen, was gut und böse ist?“
Sie strich an ihrem Kleid herum und antwortete, ihre Mutter wolle nicht, daß sie in die Schule gehe.
„Da kannst du vielleicht nicht einmal lesen?“
Doch, lesen könne sie.
Er zog ein kleines Buch hervor und reichte es ihr. Sie schaute hinein, drehte es um und besah es sich von außen.
„Solche feine Schrift kann ich nicht lesen“, sagte sie.
Aber sie mußte lesen, mochte sie nun wollen oder nicht. Und mit einemmal machte sie einen ausgesprochen dümmlichen Eindruck: Mund und Augen waren wie tot, alle Gliedmaßen erschlafften.
„G-o-t-t d-e-r H-e-r-r, Gott der Herr s-p-r-a-c-h, Gott der Herr sprach zu M-M ...“
„Du meine Güte, du kannst ja noch nicht einmal lesen! Und das bei einem Kind von zehn, zwölf Jahren! Möchtest du denn nicht gern lesen lernen?“
Schleppend brachte Petra schließlich hervor, daß sie es schon gern lernen wolle.
„Dann komm mit, wir können sofort anfangen!“
In Petra kam Bewegung, doch nur, um einen Blick ins Haus zu werfen.
„Ja, sag deiner Mutter nur Bescheid“, meinte er.
Die Mutter ging gerade vorbei, und als sie das Kind mit einem Fremden reden sah, trat sie auf die Steinstufen hinaus.
„Er will mir das Lesen beibringen“, erklärte das Kind unschlüssig, die Augen auf die Mutter gerichtet.
Die antwortete nicht, stemmte beide Arme in die Hüften und musterte Ødegaard.
„Ihr Kind ist völlig unwissend“, sagte er. „Sie können es vor Gott und den Menschen nicht verantworten, es so heranwachsen zu lassen.“
„Wer bist du denn“, fragte Gunlaug scharf.
„Hans Ødegaard, der Sohn des Pfarrers.“
Ihr Gesicht hellte sich ein wenig auf! Über ihn hatte sie nur Gutes gehört.
Er fuhr fort: „Wenn ich hin und wieder einmal zu Hause gewesen bin, ist mir dieses Kind stets aufgefallen. Heute bin ich erneut aufmerksam geworden. Es darf sich nicht länger nur in bösen Dingen üben.“
Der Gesichtsausdruck der Mutter sprach eine deutliche Sprache: „Was geht das dich an?“
Trotzdem fragte er ruhig: „Sie soll doch etwas lernen?“
„Nein!“
Eine leichte Röte flog über sein Gesicht. „Weshalb nicht?“
„Sind die, die was gelernt haben, vielleicht besser?“ Sie hatte nur eine Erfahrung gemacht, doch an der hielt sie fest.
„Es wundert mich, daß ein Mensch so etwas fragen kann!“
„Doch, ja! Ich weiß, sie sind nicht besser.“ Sie kam die Treppe herunter, um dem Gerede ein Ende zu machen.
Er vertrat ihr jedoch den Weg. „Dies ist eine Pflicht, der Sie sich nicht entziehen dürfen. Sie sind eine unvernünftige Mutter!“
Gunlaug maß ihn von Kopf bis Fuß. „Wer sagt dir, was ich bin?“ entgegnete sie, während sie an ihm vorbeiging.
„Sie selber, und das gerade in diesem Augenblick. Denn sonst müßten Sie bemerkt haben, daß dieses Kind zugrunde geht!“
Gunlaug fuhr herum. Auge ruhte in Auge. Sie sah, er blieb bei seinen Worten, und Angst beschlich sie. Sie hatte nur mit Seemännern und Kaufleuten Umgang gehabt. Eine solche Sprache hatte sie noch nie gehört.
„Was willst du mit meinem Kind?“ fragte sie.
„Es lehren, was es zu seinem Seelenheil braucht, und dann abwarten, was aus ihm wird.“
„Mein Kind soll werden, was ich will.“
„Nein, es soll werden, was Gott will.“
Gunlaug schaute verdutzt drein. „Was heißt das?“ fragte sie und trat näher.
„Das heißt, sie soll das lernen, wozu ihr die Gaben verliehen worden sind, denn dafür hat Gott sie uns ja gegeben.“
Gunlaug trat ganz dicht an ihn heran. „Ich soll wohl gar nicht über sie zu bestimmen haben, ich, ihre leibliche Mutter?“ fragte sie, als wollte sie wirklich eine Lehre annehmen.
„Das sollen Sie, aber Sie müssen dabei den Rat derer beherzigen, die es besser wissen. Und Sie müssen dem Willen unseres Herrn folgen.“
Gunlaug stand eine Weile still da. „Und wenn sie nun zuviel lernt?“ meinte sie. „Armer Leute Kind“, fügte sie hinzu und blickte ihre Tochter zärtlich an.
„Wenn sie für ihren Stand zuviel lernt, hat sie damit einen anderen Stand erreicht.“
Gunlaug erfaßte sofort den Sinn seiner Worte, aber mit einem immer schwermütigeren Blick auf das Kind sagte sie mehr zu sich selber: „Das ist gefährlich.“
„Darum geht es nicht“, erwiderte er freundlich, „es geht darum, was recht ist.“
In ihre energisch dreinblickenden Augen trat ein eigentümlicher Ausdruck. Wieder sah sie ihn durchdringend an. Aber in seiner Stimme, seinen Worten, seinem Gesicht lag so viel Wahrheit, daß sich Gunlaug geschlagen fühlte. Sie ging zu ihrem Kind, umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen und konnte kein einziges Wort hervorbringen.
„Ich werde das Mädchen von nun an bis zu seiner Konfirmation unterrichten“, sagte er, um ihr zu helfen. „Ich werde mich um sie kümmern.“
„Und dann willst du sie mir wegnehmen?“
Er stutzte und blickte sie fragend an.
„Du verstehst das bestimmt besser als ich“, stieß sie hervor, „aber wenn du nicht unsern Herrgott erwähnt hättest ...“ Sie verstummte.
Inzwischen hatte sie ihrer Tochter das Haar glattgestrichen. Nun nahm sie ihr Halstuch ab und band es dem Kind um. Nur auf diese Weise brachte sie zum Ausdruck, daß das Mädchen mit ihm gehen durfte, doch als wollte sie es nicht mit ansehen, verschwand sie rasch СКАЧАТЬ