Название: Ausgewählte Erzählungen - Band 2
Автор: Bjørnstjerne Bjørnson
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711448649
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Unter diesen Gedanken hatte er sich ausgezogen und war zu Bett gegangen. Das Bild des Großvaters tauchte wieder vor ihm auf. Sein Blick war nun strenger. Die Müdigkeit läßt uns schwächer werden, und Lars machte sich jetzt Vorwürfe. Aber er verteidigte sich auch. Was wollte der Großvater denn noch? Nun mußte er doch zufrieden sein. Die Ehre seiner Familie brauste gleichsam über sein Grab hinweg. Welcher andere hatte schon einen solchen Grabstein?
Aber was ist das? Diese beiden ungeheuren feurigen Augen, dieses Fauchen und Sausen, das ist ja gar nicht mehr die Lokomotive, das biegt doch von der Bahnlinie ab! Das kommt vom Friedhof herüber und in ungeheurer Folge, Reihe auf Reihe, direkt auf das Haus zu. Die feurigen Augen sind die des Großvaters, und der Zug dahinter sind all die Toten. Näher und immer näher kommen sie dem Hof, lärmend, brausend, funkelnd. Das Fenster loht schon im Widerschein all der toten Augen ...
Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung nahm er sich zusammen, denn das war ja bloß ein Traum, natürlich, bloß ein Traum, wartet nur, bis ich wach bin! ... Seht her, nun bin ich wach, nun kommt nur, ihr armseligen Kerle!
Doch siehe da, sie kommen wirklich, kommen vom Friedhof herüber, fallen über den Bahndamm, die Schienen, die Lokomotive und den Zug her, so daß das Ganze mit mächtigem Dröhnen in die Erde sinkt. Dann verwandelt sich alles wieder in eine grasbewachsene Fläche mit Kreuzen und Gräbern, und alles ist ganz still. Sie selbst aber kommen, groß wie Riesen, geschritten, und vor ihnen her braust der Choral „Laßt den Toten ihre Ruhe“.
Er kannte ihn, er war ihm in all diesen Jahren Tag für Tag durch die Seele gebraust, und nun sollte er zum Abgesang seines Lebens werden. Denn dies war der Tod mit seinen Visionen. Der Schweiß perlte ihm am ganzen Körper herab, näher und immer näher kamen sie ..., und sieh dort an der Fensterscheibe, dort lagerten sie nun, und er hörte sie seinen Namen rufen. Panisches Entsetzen lähmte ihn, krampfhaft versuchte er zu schreien, denn er war dem Ersticken nahe. Eine kalte Totenhand griff ihm schon nach der Kehle, da gelang es ihm endlich, ein gellendes „Hilfe!“ herauszubringen — und er erwachte. Das Fenster war von außen eingeschlagen worden, daß die Scherben zu ihm ins Bett geflogen waren, er fuhr auf, im Fenster stand jemand, und um ihn her Rauch und Flammen.
„Der Hof brennt, Lars! Jetzt holen wir dich heraus!“ Es war Knud Aakre.
Als Lars wieder zur Besinnung kam, lag er draußen, in dem scharfen Wind, der seine Glieder erstarren ließ. Kein Mensch war bei ihm. Zu seiner Linken sah er den Hof brennen, um ihn her weidete und brüllte sein Vieh, die Schafe drückten sich furchtsam aneinander. Überall lag Hausrat verstreut, und als er genauer hinsah, saß dicht bei ihm auf einem Erdhügel noch jemand und weinte. Es war seine Frau. Er rief ihren Namen. Sie fuhr zusammen.
„Herrn Jesu sei Dank, du lebst!“ Sie kam zu ihm und setzte sich, oder richtiger gesagt: sank vor ihm nieder. „O Gott, o Gott! Nun haben wir endlich genug von der Eisenbahn!“
„Eisenbahn?“ fragte er. Aber er hatte das Wort noch nicht ausgesprochen, als er schaudernd begriff. Natürlich, von der Lokomotive waren Funken in die Hobelspäne vor der neuen Seitenwand gefallen. Stumm und in sich gekehrt, blieb er sitzen, die Frau wagte kein Wort von sich zu geben. Sie suchte nach Kleidungsstücken für ihn, da das, was sie über ihn gebreitet hatte, als er lag, nun heruntergeglitten war. Er nahm ihre Fürsorge schweigend hin, als sie jedoch vor ihm kniete, um seine Beine wieder zu bedecken, legte er ihr die Hand auf den Kopf. Sofort barg sie ihr Gesicht in seinem Schoß und weinte laut. Endlich hatte er sie bemerkt.
Lars aber verstand sie und sagte: „Du bist der einzige Freund, den ich habe.“
Auch wenn es erst den Hof hatte kosten müssen, bevor sie diese Worte zu hören bekam, ihr war es gleich. Sie wurde so froh, daß sie Mut faßte, und während sie aufstand und ihn demütig ansah, sagte sie: „Denn kein anderer als ich versteht dich.“
Da schmolz ein hartes Herz. Er hielt seine Frau bei der Hand, und Tränen rannen ihm über die Wangen.
Nun hielt er mit ihr Zwiesprache wie mit seiner Seele. Und nun bekam er auch ihre Meinung zu hören. Sie sprachen auch darüber, wie dies alles zugegangen war, oder vielmehr: er schwieg, und sie berichtete. Knud Aakre hatte als erster das Feuer entdeckt, er hatte seine Leute geweckt, die Mägde ins Dorf geschickt, während er mit seinen Knechten und Pferden zur Brandstätte geeilt war, wo alle schliefen. Er hatte auch die Lösch- und Rettungsarbeiten geleitet und Lars selber aus dem brennenden Zimmer geholt und nach der linken Seite gebracht, woher der Wind kam – hierher auf den Friedhof.
Und wie sie so darüber sprachen, kam ein Wagen in rascher Fahrt den Weg entlang, bog zum Friedhof ab, wo der Kutscher abstieg. Es war Knud, der seinen Kirchwagen von zu Hause geholt hatte, mit dem sie so manches Mal zusammen zu Gemeinderatssitzungen und wieder zurück gefahren waren. Nun sollte sich Lars zu ihm auf den Wagen setzen und mit ihm nach Hause fahren. Sie reichten sich die Hand, Lars auf dem Hügel sitzend, der andere stehend.
„Jetzt kommst du mit!“ sagte Knud.
Ohne eine Antwort stand der andere auf, Seite an Seite gingen sie zum Wagen hinüber, man half Lars hinauf, Knud setzte sich zu ihm. Worüber sie während der Fahrt oder in der kleinen Kammer auf Aakre sprachen, wo sie sich bis zum nächsten Morgen aufhielten, ist nicht bekannt geworden. Aber von diesem Tag an waren sie wieder ebenso unzertrennlich wie früher.
Erst wenn ein Mann vom Unglück betroffen wird, begreifen alle, was er wert ist. Deshalb übernahm es die Gemeinde, Lars Høgstads Hof wieder aufzubauen, er wurde größer und stattlicher als irgendein anderer im Tal. Lars wurde auch wieder Vorsitzender im Gemeinderat, aber mit Knud Aakre an seiner Seite. Knuds Geist und Sinnesart wurden nie übersehen, und von diesem Tag an schlug nichts mehr fehl.
Erstes Kapitel
Wo es den Hering lange Zeit immer wieder hingezogen hat, entsteht, wenn auch sonst die Bedingungen dafür günstig sind, eine Stadt. Von solchen Städten kann man nicht nur sagen, das Meer habe sie ausgespien, sondern sie sehen von weitem auch tatsächlich aus wie ein Haufen von Schwemmholz und angetriebenen Wrackteilen oder wie eine Ansammlung bauchiger Boote, die die Fischer in einer Sturmnacht schützend über sich gezogen haben. Beim Näherkommen erkennt man dann, wie zufällig das Ganze entstanden ist. Mitten auf dem Fahrdamm liegen Felsblöcke, oder der Ort wird durch das Wasser drei-, viermal geteilt, während sich die Gassen winden und wenden. Nur eines ist all diesen Orten gemein: In ihrem Hafen finden selbst die größten Schiffe Schutz. Dort ist es so still wie in einer Konservendose, und deshalb stehen diese Schlupfwinkel auch bei jenen Schiffen hoch im Kurs, die sich mit zerfetzten Segeln und zerschlagenem Schanzkleid von hoher See hier hereinretten, um Atem zu schöpfen.
In einer solchen kleinen Stadt ist es still. Alles Lärmende ist auf die Landungsbrücken verwiesen, wo sich die Boote der Bauern festgebissen haben und die Schiffe gelöscht und beladen werden. Längs der Anlegestellen zieht sich die einzige Straße unseres Städtchens hin. Ihr folgen auf der gegenüberliegenden Seite weiß- und rotgestrichene ein- oder zweistöckige Häuser, aber nicht Wand an Wand, sondern mit hübschen Gärtchen dazwischen. Es ist also eine lange, breite Straße, die übrigens bei auflandigem Wind nach dem riecht, was auf den Landungsbrücken liegt. In dieser Straße ist es still, nicht aus Angst vor der Polizei – in der Regel gibt es hier gar keine –, sondern aus Angst vor dem Gerede, denn hier kennen sich alle. Geht man die Straße hinab, muß man zu jedem Fenster hinüber grüßen, wo auch meistens eine alte Frau sitzt, die den Gruß erwidert. Außerdem muß man jeden grüßen, der einem begegnet. All diese stillen Menschen denken nämlich an nichts anderes, als was sich im allgemeinen und für jeden von ihnen im besonderen schickt. Wer die Grenzen überschreitet, die seinem Stand oder seiner СКАЧАТЬ