Название: Ausgewählte Erzählungen - Band 2
Автор: Bjørnstjerne Bjørnson
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711448649
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„Ich reise nun ins Ausland“, sagte er mit einer gewissen Scheu. „Ich habe meine Schwestern gebeten, sich inzwischen um dich zu kümmern, und wenn ich zurück bin, werden wir uns weiter unterhalten. Leb wohl! – Wir sehen uns sicher noch, bevor ich abreise!“
Er ging so schnell ins Nebenzimmer, daß sie ihm nicht einmal mehr die Hand geben konnte.
Sie sah ihn wieder, wo sie es am wenigsten erwartete – im Pfarrgestühl des Chorraumes, ihr direkt gegenüber, als sie inmitten der Mädchen vor dem Altar stand, um eingesegnet zu werden. Sie war so verblüfft, daß sie der heiligen Handlung, auf die sie sich in Demut und Gebet vorbereitet hatte, lange nicht folgen konnte. Ja, selbst Ødegaards alter Vater, der eben vortreten wollte, um zu beginnen, verharrte und blickte seinen Sohn lange an. Gleich darauf sollte Petra noch einen zweiten Schreck bekommen, denn etwas weiter hinten in der Kirche saß Pedro Ohlsen in seinen steifen Sonntagssachen. Er reckte den Hals, um über die Köpfe der Jungen hinweg zu der Mädchenschar, zu ihr, hinüberzusehen. Einen Augenblick später war er wieder verschwunden. Doch immer wieder sah sie seinen spärlich behaarten Kopf auftauchen und sofort wieder verschwinden. Das lenkte ihre Gedanken ab. Sie wollte nicht hinsehen und mußte es dennoch tun. Und da, als alle anderen tief ergriffen waren – viele in Tränen aufgelöst –, sah sie entsetzt, wie sich Pedro erhob, den Mund verzerrt, die Augen weit aufgerissen, schreckensstarr, außerstande, sich zu setzen oder auch nur ein Glied zu rühren. Ihm gegenüber aber stand Gunlaug, zu ihrer vollen Größe aufgereckt. Bei ihrem Anblick schauderte es Petra. Die Mutter war weiß wie das Altartuch. Ihr schwarzes, krauses Haar schien sich zu sträuben, während die Augen plötzlich voll eisiger Abweisung waren, als wollten sie sagen: Laß das Mädchen in Frieden! Was willst du von ihm? Unter der Wucht dieses Blickes sank er auf die Bank nieder, und eine Weile später schlich er zur Kirche hinaus.
Danach hatte Petra Ruhe, und je länger die heilige Handlung voranschritt, desto stärker wurde sie davon ergriffen. Als sie nach abgelegtem Versprechen vom Altar zurückkehrte und durch Tränen zu Ødegaard hinüberblickte, dem Menschen, der all ihren guten Vorsätzen am nächsten stand, da gelobte sie in ihrem Herzen, seinem Glauben keine Schande zu machen. Die treuen Augen, die ihren Blick leuchtend erwiderten, schienen um das gleiche zu bitten. Als sie dann aber von ihrem Platz aus erneut zu ihm hinüberschaute, war er verschwunden. Bald darauf ging sie mit der Mutter nach Hause, die unterwegs sagte: „Nun hab ich das Meine getan. Jetzt muß der Herrgott das Seine tun.“
Als sie gegessen hatten, sie beide allein, meinte die Mutter, indem sie aufstand: „Jetzt müssen wir wohl zu ihm gehen – zu diesem Pastorssohn. Ich weiß zwar nicht, wozu das gut sein soll, was er da treibt, aber gut gemeint hat er es wohl. Zieh dich also wieder an, Kind!“
Der Weg zur Kirche, den die beiden so oft miteinander gegangen waren, verlief oberhalb der Stadt. Auf der Straße aber hatten sie sich noch nie zusammen gezeigt. Die Mutter hatte sich dort wohl kaum seit ihrer Rückkehr blicken lassen. Nun aber bog sie in Richtung Straße ab. Sie wollte die ganze Straße hinuntergehen, gemeinsam mit ihrer erwachsenen Tochter!
Am Nachmittag des Konfirmationssontags ist in so einer kleinen Stadt alles unterwegs, entweder von Haus zu Haus, um zu gratulieren, oder die Straße hinauf und hinunter, um zu sehen und gesehen zu werden. Auf Schritt und Tritt tauscht man Grüße aus, bleibt stehen, schüttelt Hände und wünscht alles Gute. Die Kinder der Armen werden in den abgelegten Kleidern der Reichen vorgeführt, um sich zu bedanken. Die Seeleute der Stadt präsentieren sich in ausländischem Staat, die Mütze verwegen auf dem Ohr, und die Stutzer der Stadt, die nach allen Seiten grüßenden Kommis, kommen grüppchenweise daher. Die halbwüchsigen Lateinschüler, jeder Arm in Arm mit dem besten Freund der Welt, schlendern, altklug an allem herumkrittelnd, hinterdrein. Doch sie alle mußten heute im stillen dem Helden der Stadt den Vorrang lassen – dem jungen Kaufmann Yngve Vold, dem reichsten Mann des Städtchens, der gerade aus Spanien zurückgekehrt war, um von einem Tag auf den anderen den ausgedehnten Fischhandel seiner Mutter zu übernehmen. Einen hellen Hut auf dem hellen Haar, brillierte er in den Straßen, daß die jungen Konfirmanden beinahe in Vergessenheit gerieten. Alle hießen ihn zu Hause willkommen. Und er sprach mit allen und lachte allen zu. Straßauf, straßab sah man den hellen Hut auf dem hellen Haar und hörte Yngve Volds helles Lachen.
Als Petra und ihre Mutter in die Stadt hinunterkamen, war er der erste, auf den sie stießen, und als wären sie tatsächlich mit ihm zusammengestoßen, wich er vor Petra, die er nicht wiedererkannte, zurück.
Sie war groß geworden, zwar nicht so groß wie die Mutter, doch größer als die meisten Mädchen, rank und schlank und voller Anmut. Ganz die Mutter und auch wieder nicht die Mutter, in ständigem Wechsel. Selbst der junge Kaufmann, der ihnen folgte, vermochte nun nicht länger die Blicke der Spaziergänger auf sich zu lenken. Die beiden, Mutter und Tochter Seite an Seite, waren ein noch ungewohnterer Anblick. Sie gingen schnell, ohne irgend jemanden zu grüßen, da sie selber auch kaum von anderen als Seeleuten gegrüßt wurden, kamen aber noch schneller wieder zurück. Denn sie hatten gehört, daß Ødegaard das Haus gerade verlassen habe und auf dem Weg zum Dampfer sei, der sofort auslaufen werde. Besonders Petra hatte es eilig. Sie mußte ihm unbedingt noch einmal die Hand drücken und ihm danken, bevor er abfuhr. Es war ungerecht von ihm, so von ihr fortzugehen! Sie sah keinen einzigen von all jenen, die sie ansahen. Sie sah nur den Rauch des Dampfers über den Dächern, und der schien sich zu entfernen. Als die beiden zur Landungsbrücke kamen, legte der Dampfer gerade ab, und Petra – die Kehle wie zugeschnürt von Tränen – eilte weiter, hinaus in die Allee. Sie lief mehr als daß sie ging, und die Mutter folgte ihr, rasch ausschreitend. Da der Dampfer Zeit gebraucht hatte, um im Hafen zu wenden, kam Petra gerade noch früh genug, um hinunter auf den Uferstreifen zu springen, dort auf einen Stein zu steigen und mit dem Taschentuch zu winken. Die Mutter war oben in der Allee stehengeblieben. Petra winkte, höher und immer höher reckte sie sich empor. Doch niemand winkte zurück.
Da war es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei, sie ließ den Tränen freien Lauf und mußte deshalb den Weg, der oben um die Stadt herumführte, nach Hause gehen. Die Mutter folgte ihr schweigend. Das Mansardenstübchen, das Konfirmationsgeschenk ihrer Mutter, in dem sie in der Nacht zum erstenmal geschlafen und am Morgen voller Freude ihr neues Kleid angezogen hatte, betrat sie nun am Abend in Tränen aufgelöst und ohne auch nur einen einzigen Blick dafür übrig zu haben. Sie mochte nicht hinuntergehen, da Seeleute und andere Gäste gekommen waren. Sie zog ihr Konfirmationskleid aus und saß auf dem Bett, bis es Nacht wurde. Erwachsen zu werden, das schien ihr das Unglückseligste zu sein, das es auf der Welt gab!
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