Ausgewählte Erzählungen - Band 2. Bjørnstjerne Bjørnson
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Название: Ausgewählte Erzählungen - Band 2

Автор: Bjørnstjerne Bjørnson

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711448649

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СКАЧАТЬ früher in der Familie ein Hang zum Ungehörigen gezeigt hat.

      In dieser stillen Stadt ließ sich vor vielen Jahren Per Olsen, ein geachteter Mann, nieder. Er kam vom Lande, wo er sich durch Kramhandel und Geigenspiel seinen Lebensunterhalt verdient hatte. Nun eröffnete er hier in der Stadt für seine alten Kunden einen Laden, wo er außer Kramwaren auch Branntwein und Brot verkaufte. Man hörte ihn im „Hinterzimmer“ des Ladens auf und ab gehen und Springtänze und Brautmärsche spielen. Wenn er an der Ladentür vorbeikam, blickte er jedesmal durch ein verglastes Guckloch, und wenn ein Kunde erschienen war, schloß er sein Spiel mit einem Tremolo ab und ging zu ihm hinein. Das Geschäft entwickelte sich prächtig, er heiratete und bekam einen Sohn, den er nach sich nannte, aber nicht Per, sondern Peter. Der kleine Peter sollte das werden, was, wie Per fühlte, er selber nicht war – ein gebildeter Mensch, weshalb der Junge auf die Lateinschule geschickt wurde. Wenn ihn nun jene, die seine Kameraden sein sollten, von ihren Spielen nach Hause prügelten, weil er Per Olsens Sohn war, prügelte ihn dieser wieder zu ihnen hinaus, denn sonst konnte der Junge ja nicht gebildet werden. Die Folge davon war, daß sich der kleine Peter in der Schule verlassen vorkam und faul wurde, und mit der Zeit war ihm alles so gleichgültig, daß ihn die Hiebe des Vaters weder zum Lachen noch zum Weinen bringen konnten. Da gab Per das Prügeln auf und nahm ihn zu sich in den Laden. Doch wie wunderte er sich, als er hier sah, daß der Junge einem jeden gab, was er verlangte, ohne auch nur ein Körnchen zuviel zu geben oder je eine Backpflaume selber zu essen. Er sah ihn abwiegen, abzählen und abfüllen, ohne daß er dabei eine Miene verzog und meistens auch ohne ein Wort – alles sehr langsam, dafür aber mit unbestechlicher Genauigkeit. Der Vater faßte wieder Hoffnung und schickte ihn mit einer Heringsschute nach Hamburg, damit er eine Handelsschule besuche und feine Manieren lerne. Peter war acht Monate fort, und das mußte doch wohl genügen. Bei seiner Rückkehr hatte er sich sechs neue Anzüge zugelegt, die er, als er an Land ging, übereinandergezogen hatte, denn was man auf dem Leib trägt, kann nicht verzollt werden. Von diesem Umfang abgesehen, machte er jedoch, als er am Tag darauf auf der Straße erschien, ungefähr noch dieselbe Figur. Er ging steif wie ein Stock, mit unbeweglich herabhängenden Armen, er grüßte mit einem plötzlichen Ruck, verbeugte sich, als wäre er gliederlos, um sofort wieder stocksteif zu werden. Er war die Höflichkeit selbst, doch er tat alles hastig und mit einer gewissen Scheu und ohne ein Wort zu sagen. Er schrieb sich nicht länger Olsen, sondern Ohlsen, was dem Spaßvogel der Stadt Gelegenheit zu der folgenden Frage bot: „Wie weit ist Peter Olsen in Hamburg gekommen?“ Antwort: „Bis zum ersten Buchstaben.“ Er spielte auch mit dem Gedanken, sich „Pedro“ zu nennen, da er aber schon wegen des H’s so viel Unwillen hervorgerufen hatte, ließ er es bleiben und schrieb sich P. Ohlsen. Er erweiterte das Geschäft seines Vaters und heiratete, kaum zweiundzwanzig Jahre alt, ein rothändiges Ladenmädchen, damit es ihm den Haushalt führte; denn der Vater war gerade Witwer geworden, und eine Frau war vorteilhafter als eine Haushälterin. Ein Jahr später wurde ihm ein Sohn geboren, der eine Woche darauf den Namen Pedro erhielt.

      Als der würdige Per Olsen Großvater geworden war, fühlte er sich gleichsam innerlich berufen, alt zu werden. Er überließ deshalb das Geschäft seinem Sohn, setzte sich davor auf eine Bank und rauchte seine kurze Stummelpfeife. Und als er sich eines Tages dort draußen zu langweilen begann, wünschte er sich, bald zu sterben. Und wie all seine Wünsche still und ruhig in Erfüllung gegangen waren, so erfüllte sich auch dieser.

      Hatte sein Sohn Peter ausschließlich die eine Seite der väterlichen Begabung – die Kaufmannsschläue – geerbt, so schien sein Enkelsohn Pedro ausschließlich die andere – die Liebe zur Musik – geerbt zu haben. Er lernte sehr spät lesen, dafür aber sehr zeitig singen, er blies so gut Flöte, daß es jedem auffallen mußte, er hatte ein feingeschnittenes Gesicht und ein weiches Gemüt. Dies kam dem Vater, der dem Jungen seine eigene emsige Genauigkeit anerziehen wollte, aber nur ungelegen. Wenn Pedro etwas vergaß, wurde er nicht, wie einst der Vater, gescholten und geschlagen, sondern gekniffen. Das ging in aller Stille vor sich, mit einer Freundlichkeit, die man fast hätte höflich nennen können, dafür aber bei der geringsten Kleinigkeit. Die Mutter zählte jeden Abend, wenn sie ihn auszog, seine blauen und gelben Flecke und küßte sie, schritt jedoch nicht dagegen ein, weil sie selber gekniffen wurde. Für jeden Riß in seinen Kleidern, die aus den Hamburger Anzügen des Vaters genäht worden waren, für jeden Fleck in den Schulbüchern bekam sie die Schuld.

      Deshalb hieß es auch fortwährend: „Laß das, Pedro! Gib auf dich acht, Pedro! Denk daran, Pedro!“

      Den Vater fürchtete er, und die Mutter wurde ihm lästig. Von seinen Kameraden hatte er nichts zu erdulden, denn er begann sofort zu weinen und bat sie, seine Sachen zu schonen. Er wurde „Waschlappen“ genannt und war nicht besonders beliebt. Er glich einem kranken, federlosen Entlein, das der Schar überall hinterherhinkte und mit dem winzigen Happen, den es erbeuten konnte, weit fort sprang. Niemand teilte mit ihm, deshalb teilte auch er mit niemandem.

      Bald entdeckte er jedoch, daß das bei den Kindern der einfachen Leute anders war. Sie gaben sich geduldig mit ihm ab, weil er feiner war als sie. Ein großes, kräftiges Mädchen, das über die ganze Schar herrschte, nahm sich seiner an. Er konnte sich nicht satt an ihr sehen: sie hatte rabenschwarzes, wildgekraustes Haar, das nie anders als mit den Fingern gekämmt wurde. Dazu tiefblaue Augen und eine niedrige Stirn. Das ganze Gesicht sprühte vor Leben und Tatkraft. Sie war ständig in Bewegung und immer beschäftigt. Im Sommer barfuß, mit bloßen Armen und braungebrannt, im Winter so angezogen wie andere im Sommer. Ihr Vater war Lotse und Fischer. Sie lief von Haus zu Haus und verkaufte seine Fische. Wenn er fischte, hielt sie sein Boot gegen Sturm und Strom, und wenn er lotste, ging sie allein fischen. Jeder, der sie sah, mußte sich umdrehen und sie noch einmal ansehen, denn sie war die Selbständigkeit in Person. Sie hieß Gunlaug, wurde aber nie anders als das Fischermädchen genannt, ein Titel, den sie wie einen ihr zukommenden Rang entgegennahm. Beim Spielen half sie stets den Schwächeren. Sie war von dem Drang besessen, sich anderer anzunehmen, und nun nahm sie sich dieses feinen Jungen an.

      In ihrem Boot durfte er Flöte spielen, die zu Hause in Acht und Bann getan worden war, weil man meinte, sie lenke ihn nur von den Schularbeiten ab. Sie ruderte ihn auf den Fjord, sie nahm ihn mit, wenn sie zum Fischen weiter hinausfuhr, bald war er auch bei den Nachtfahrten dabei. Dazu ruderten sie bei Sonnenuntergang in die helle Sommerstille hinein. Er spielte Flöte oder hörte zu, wenn sie ihm all das erzählte, was sie wußte und wovon sie die Seeleute hatte reden hören: von Klabautermännern, Seegespenstern, Schiffbrüchigen, fremden Ländern und schwarzen Völkerstämmen. Und wie sie ihr Wissen mit ihm teilte, teilte sie auch ihr Essen mit ihm, und er nahm alles entgegen, ohne etwas dafür zu geben, denn er brachte weder etwas zu essen von zu Hause mit noch Nahrung für die Phantasie aus der Schule. Sie ruderten, bis die Sonne hinter den schneebedeckten Gipfeln versank, gingen dann bei einer kleinen Insel an Land und machten ein Feuer, das heißt: sie sammelte Reisig, er saß dabei und sah zu. Er wurde in eine der Wetterjacken ihres Vaters und in eine Decke gehüllt, die sie für ihn mitgebracht hatte. Sie versorgte das Feuer, und er schlief ein. Sie hielt sich wach, indem sie Bruchstücke von Liedern und Chorälen sang. Solange er nicht eingeschlafen war, sang sie mit lauter, klarer Stimme, danach sang sie leise. Wenn die Sonne auf der anderen Seite wieder aufging und als Vorboten ein gelbkaltes Leuchten über die Gipfel schob, weckte sie ihn. Der Wald lag schwarz da, die Wiese war noch dunkel, doch begann sie sich schon bald braunrot zu färben und zu blinken, bis plötzlich der Gebirgskamm erglühte und alle Farben angeschäumt kamen. Dann zogen sie das Boot wieder ins Wasser, es schnitt einen Streifen in die schwarze Morgenbrise, und bald darauf lagen sie gemeinsam mit den anderen Fischern auf dem Fangplatz.

      Als es Winter wurde und die Fahrten aufhörten, zog es ihn zu ihr nach Hause. Er kam immer wieder und sah ihr bei der Arbeit zu. Beide redeten wenig. Es war, als säßen sie nur beieinander, um auf den Sommer zu warten. Als er dann kam, wurde ihm leider auch diese neue Aussicht auf Leben genommen. Gunlaugs Vater starb, und sie verließ die Stadt, und der Junge wurde auf Anraten des Lehrers ins Geschäft gesteckt. Dort stand er nun gemeinsam mit der Mutter, denn der Vater, der mit der Zeit die Farbe all der Graupen, die er abwog, angenommen hatte, mußte im Hinterzimmer des Ladens das Bett hüten. Von dortaus wollte er trotzdem alles verfolgen, СКАЧАТЬ