Название: Ausgewählte Erzählungen - Band 2
Автор: Bjørnstjerne Bjørnson
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711448649
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Und wie er dort eines Tages so im Heidekraut lag, sah er ein anderes Boot auf die Insel zuhalten, neben dem seinen anlegen – und Gunlaug stieg aus. Sie hatte sich kaum verändert, war nur völlig erwachsen und größer als die meisten Frauen. In dem Augenblick aber, da sie ihn erblickte, wich sie ganz langsam zurück. Ihr war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß auch er inzwischen erwachsen war.
Dieses blasse, magere Gesicht, das kannte sie nicht, das war nicht mehr kränklich und fein, das war schlaff. Doch als er sie ansah, trat ein stilles Leuchten aus früheren Träumen in sein Auge. Sie ging wieder vorwärts, und mit jedem Schritt, den sie ihm näher kam, fiel gleichsam ein Jahr von ihm ab, und als sie vor ihm stand, war er aufgesprungen und lachte wie ein Kind und redete wie ein Kind. Hinter dem gealterten Gesicht verbarg sich das eines Kindes: Wohl war er älter geworden, doch nicht erwachsen.
Aber gerade dieses Kind hatte sie gesucht, und nun, da sie es wiedergefunden hatte, wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sie lachte und wurde rot. Unwillkürlich verspürte er so etwas wie Macht in sich. Und zum erstenmal in seinem Leben wurde er schön. Es dauerte vielleicht nur einen Augenblick, doch in diesem Augenblick war sie erobert.
Sie war eine jener Naturen, die nur lieben können, was schwach ist, worüber sie schützend die Hand gehalten haben. Zwei Tage hatte sie in der Stadt bleiben wollen, sie blieb zwei Monate. In diesen beiden Monaten wuchs er mehr als in all seinen übrigen Jugendjahren. Er erhob sich so weit aus Traum und Trägheit, daß er Pläne schmiedete. Er wollte fort, wollte sich im Flötenspiel ausbilden lassen! Doch als er eines Tages wieder davon sprach, wurde sie blaß und sagte: „Ja, aber dann müssen wir erst heiraten!“
Er sah sie an, und sie sah ihn an, beide wurden sie feuerrot, und er erwiderte: „Was würden die Leute sagen?“
Gunlaug war nie der Gedanke gekommen, daß er etwas anderes wollen könnte als sie, weil sie nie etwas anderes hätte wollen können als er. Nun aber sah sie bis auf den Grund seiner Seele: Er hatte keinen einzigen Augenblick daran gedacht, etwas anderes mit ihr zu teilen als das, was sie gab. In dieser einen Minute begriff sie, daß das von Anfang an so gewesen war. Sie aber hatte zuerst Mitleid mit ihm gehabt, und schließlich war daraus Liebe geworden. Liebe zu ihm, dessen sie sich aus Güte angenommen hatte. Hätte sie jetzt nur einen Augenblick Geduld gehabt!
Er sah ihren Zorn auflodern, er bekam Angst und rief: „Ich will ja!“
Sie hörte es. Aber der Zorn über ihre eigene Dummheit und seine Erbärmlichkeit, über die eigene Scham und seine Feigheit erreichte in so glühender Hast den Siedepunkt, daß wohl nie eine Liebe, begonnen in Kindheit und Abendsonne, gewiegt von Wellen und Mondschein, begleitet von Flötenspiel und leisem Gesang, trauriger zu Ende gegangen ist. Sie packte ihn mit beiden Händen, hob ihn hoch und prügelte ihn so recht nach Herzenslust durch, ruderte dann zur Stadt zurück und ging sofort über die Berge davon.
Er war hinausgesegelt wie ein verliebter Jüngling, der im Begriff ist, sich sein Mannestum zu erobern. Er ruderte zurück wie ein Greis, der nie ein Mannestum gehabt hat. Sein Leben besaß nur eine einzige Erinnerung, und die hatte er leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Nur einen einzigen Zufluchtsort hatte er in dieser Welt, und den wagte er nicht mehr aufzusuchen. Versunken in Grübeleien über seine eigene Erbärmlichkeit und darüber, wie dies alles eigentlich zugegangen war, versank sein Unternehmungsgeist wie in einem Sumpf und kam nie wieder zum Vorschein. Die kleinen Jungen der Stadt, denen sein sonderbares Wesen schon aufgefallen war, begannen ihn bald zu quälen, und da er für die Stadt eine undurchsichtige Gestalt war, weil niemand recht wußte, wovon er lebte und was er trieb, fiel es auch niemandem ein, ihn in Schutz zu nehmen. Er wagte es bald nicht mehr, sich draußen sehen zu lassen, zumindest nicht auf der Straße. Sein ganzes Dasein wurde zu einem einzigen Kampf mit kleinen Jungen; vielleicht waren sie ebenso nützlich wie Mücken in der Sommerwärme, denn ohne sie wäre er in einen ständigen Dämmerzustand gesunken.
Gunlaug erschien neun Jahre später wieder in der Stadt, ebenso unerwartet, wie sie verschwunden war. Da hatte sie ein Mädchen von acht Jahren bei sich, ganz ihr einstiges Spiegelbild, nur daß alles an dem Kind feiner und wie von einem Traum überschleiert war. Gunlaug sei verheiratet gewesen, hieß es, habe nun geerbt und sei zurückgekehrt, um in der Stadt eine Gastwirtschaft für Seeleute zu eröffnen.
Diese Gastwirtschaft betrieb sie so, daß zu ihr sowohl Kaufleute und Schiffer kamen, um Leute zu dingen, als auch Matrosen, um eine Heuer zu finden. Außerdem bestellte die ganze Stadt bei ihr Fisch. Für diesen wie jenen Zwischenhandel nahm sie nie einen Schilling, machte dafür aber von der Macht, die er ihr verlieh, despotisch Gebrauch. Sie war unbestreitbar der mächtigste Mann der Stadt, obgleich sie eine Frau war und ihr Haus nie verließ. Sie wurde Fisch-Gunlaug oder Gunlaug vom Hang genannt. Der Titel das Fischermädchen ging auf ihre Tochter über, die sich an die Spitze der Jungenschar der Stadt stellte.
Ihre Geschichte soll hier erzählt werden. Sie hatte etwas von der urwüchsigen Kraft der Mutter, und sie erhielt Gelegenheit, davon Gebrauch zu machen.
Zweites Kapitel
Die vielen schönen Gärten der Stadt dufteten nach dem Regen in ihrer zweiten und dritten Blüte. Die Sonne ging über den mit ewigem Schnee bedeckten Gipfeln unter, der Himmel dort hinten war ein einziges feuriges Lodern, und die Firnfelder warfen den gedämpften Widerschein zurück. Die etwas näher gelegenen Berge befanden sich schon im Schatten, leuchteten aber noch in vielfarbigem Herbstlaub. Die kleinen Inselchen mitten im Fjord – die, eine hinter der anderen, mit ihrem dichten Baumbestand dem Meer zuzustreben schienen, gerade als kämen sie angerudert, boten, da sie näher lagen, ein noch stärkeres Farbenspiel als die Berge. Die See war spiegelglatt, ein großes Schiff wurde hereingewarpt. Die Leute saßen auf der Holztreppe vor ihren Häusern, halb verdeckt von den Rosenbüschen zu beiden Seiten. Man hielt von Treppe zu Treppe ein Schwätzchen, schlenderte auch zum Nachbarn hinüber oder tauschte mit den Spaziergängern, die den langen Alleen vor der Stadt zustrebten, einen Gruß aus. Irgendwo ertönte aus einem offenen Fenster Klaviermusik. Wenn die Gespräche einmal verstummten, war sonst kein Laut zu hören. Die letzten Sonnenstrahlen über dem Meer verstärkten noch das Gefühl der Stille.
Da erhob sich plötzlich mitten in der Stadt ein solcher Lärm, als ob die Stadt gestürmt würde. Jungen brüllten, Mädchen kreischten, andere Jungen wiederum schrien hurra, alte Weiber zeterten und kommandierten, der große Hund des Polizisten bellte, und sämtliche Hunde der Stadt fielen sogleich ein. Wer drinnen war, drängte hinaus, bloß hinaus! Der Radau war so ungeheuer, daß sich sogar der Amtmann auf seiner Treppe umdrehte und die Worte fallen ließ: „Dort muß etwas im Gange sein!“
„Was ist los?“ Mit dieser Frage überfielen die Spaziergänger, die von den Alleen herbeieilten, die Leute auf den Treppen. „Ja, was mag bloß los sein?“ fragten auch die auf den Treppen. „Du lieber Gott, was ist denn los?“ fragten nun alle, wenn jemand aus der Stadtmitte kam. Da sich die Stadt aber in gemächlichem Bogen halbmondförmig um eine Bucht zieht, dauerte es sehr lange, bevor alle Einwohner an beiden Enden die Antwort gehört hatten: „Es ist bloß das Fischermädchen!“
Dieses unternehmungslustige Wesen, das von einer gefürchteten Mutter beschützt wurde und sich des Beistandes aller Seeleute sicher war (denn für so etwas bekam man von der Mutter immer einen Schnaps spendiert), war an der Spitze des Jungenheeres СКАЧАТЬ