Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn. Moses Mendelssohn
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      Was man entbehren kann, sprach jener, macht dem Weisen keine Sorgen.

      Wollen wir nicht überhaupt sagen, fuhr Sokrates fort, der Weltweise suchet sich aller unnöthigen Leibessorgen zu entschlagen, um mit mehrerer Achtsamkeit der Seele warten zu können?

      Warum nicht?

      Er unterscheidet sich also schon hierinn von den übrigen Menschen, daß er sein Gemüth nicht ganz von den Leibesangelegenheiten fesseln läßt, sondern seine Seele zum Theil der Gemeinschaft des Leibes zu entwöhnen sucht?

      Es scheint so.

      Der größte Haufe der Menschen, o Simmias! wird dir sagen, daß der nicht zu leben verdiene, wer die Annehmlichkeiten des Lebens nicht genießen will. Das nennen sie, sich nach dem Tode sehnen, wenn man dem sinnlichen Wohlleben absagt und sich aller fleischlichen Wollust enthält.

      Dieß ist die Wahrheit, Sokrates!

      Ich gehe weiter. Hindert der Körper nicht öfters den Weisheitliebenden im Nachdenken, und wird er sich sonderlichen Fortgang in der Weisheit versprechen können, wenn er sich nicht von den sinnlichen Gegenständen zu erheben gelernet hat? – Ich erkläre mich – Die Eindrücke des Gesichts und des Gehörs sind, so, wie sie uns von den Gegenständen zugeschickt werden, bloß einzelne Empfindungen, noch keine Wahrheiten; denn diese müssen erst durch allgemeine Vernunftgründe aus ihnen gezogen werden. Nicht? Allerdings!

      Auch als einzelnen Empfindungen ist ihnen nicht völlig zu trauen, und die Dichter singen mit Recht: die Sinne täuschen und begreifen nichts deutlich. Was wir hören und sehen, ist voller Verwirrung und Dunkelheit. Können uns aber diese beiden Sinne keine deutlichen Einsichten gewähren: so wird der übrigen weit dunklern Sinnen gar nicht zu gedenken seyn.

      Freylich nicht.

      Wie muß es nun die Seele anfangen, wenn sie zur Wahrheit getaugen will? Wo sie sich auf die Sinne verläßt, so ist sie betrogen.

      Richtig!

      Sie muß also nachdenken, urtheilen, schließen, erfinden; um durch diese Mittel, so viel möglich, in das wahre Wesen der Dinge einzudringen.

      Ja!

      Aber wann geht das Nachdenken am besten von statten? Mich dünkt, wenn wir uns gleichsam nicht fühlen, wenn weder Gesicht noch Gehör, weder angenehme noch unangenehme Empfindungen uns an uns selbst erinnern. Alsdann ziehet die Seele ihre Aufmerksamkeit von dem Körper ab, verläßt, so viel sie kann, seine Gesellschaft, um in sich versammelt, nicht den Sinnenschein, sondern das Wesen, nicht die Eindrücke, wie sie uns zugeführet werden, sondern das, was sie wahres enthalten, zu betrachten.

      Richtig!

      Abermals eine Gelegenheit, bey welcher die Seele des Weisen den Leib zu meiden, und sich, so viel sie kann, von ihm zu entfernen suchen muß.

      Allem Ansehen nach!

      Um die Sache noch deutlicher zu machen: Ist das Wort allerhöchste Vollkommenheit ein bloßer Begriff, oder bedeutet es ein wirkliches Wesen, das außer uns vorhanden ist?

      Freylich ein wirkliches, außer uns vorhandenes, schrankenloses Wesen, dem das Daseyn vorzugsweise zukommen muß, mein Sokrates!

      Und die allerhöchste Güte, und die allerhöchste Weisheit? Sind diese auch etwas Wirkliches?

      Beym Jupiter! ja! Es sind unzertrennliche Eigenschaften des allervollkommensten Wesens, ohne welche jenes nicht da seyn kann.

      Wer hat uns aber dieses Wesen kennen gelehret? Mit den Augen des Leibes haben wir es doch nie gesehen?

      Gewiß nicht!

      Wir haben es auch nicht gehört, nicht gefühlt; kein äußerlicher Sinn hat uns je einen Begriff von Weisheit, Güte, Vollkommenheit, Schönheit, Denkungsvermögen, u. s. w. zugeführet, und dennoch wissen wir, daß diese Dinge außer uns wirklich sind, in dem allerhöchsten Grade wirklich sind. Kann uns niemand erklären, wie wir auf diese Begriffe gekommen sind?

      Simmias sprach, die Stimme Jupiters, mein lieber Sokrates! Ich werde mich abermals auf dieselbe berufen.

      Wie? meine Freunde! wenn wir in jenem Zimmer eine vortreffliche Flötenstimme höreten, würden wir nicht hinlaufen, den Flötenspieler zu kennen, der unser Ohr so sehr zu entzücken weiß?

      Vielleicht jetzo nicht, lächelte Simmias, da wir hier die vortrefflichste Musik hören.

      Wenn wir ein Gemälde betrachten. fuhr Sokrates fort, so wünschen wir, die Meisterhand zu kennen, die es verfertiget hat. Nun liegt in uns selbst, das allervortrefflichste Bild, das Götteraugen und Menschenaugen jemals gesehen, das Bild der allerhöchsten Vollkommenheit, Güte, Weisheit, Schönheit, u. s. w. und wir haben uns noch nie nach dem Maler erkundigte der diese Bilder hineingezeichnet?

      Cebes erwiederte: Ich erinnere mich einst vom Philolaus eine Erklärung gehöret zu haben, die der Sache vielleicht Genüge tut.

      Will Cebes seine Freunde, versetzte Sokrates, nicht an dieser Hinterlassenschaft des glückseligen Philolaus Theil nehmen lassen?

      Wenn diese, sprach Cebes, die Erklärung nicht lieber von einem Sokrates hören möchten. Doch es sey! – Alle unkörperlichen Begriffe, sprach Philolaus, hat die Seele nicht von den äußern Sinnen, sondern durch sich selbst erlangt, indem sie ihre eigenen Wirkungen beobachtet, und dadurch ihr eigenes Wesen und ihre Eigenschaften kennen lernt. – Dieses deutlicher zu machen, habe ich ihn oft eine Erdichtung hinzusetzen hören: Laßt uns vom Homer, pflegte er zu sagen, die beiden Tonnen entlehnen, die in dem Vorsaale Jupiters liegen, aber zugleich uns die Freyheit ausbitten, sie nicht mit Glück und Unglück, sondern die zur Rechten mit wahrem Wesen, und die zur Linken mit Mangel und Unwesen anzufüllen. – So oft die Allmacht Jupiters einen Geist hervorbringen will, so schöpft er aus diesen beiden Tonnen, wirft einen Blick auf das ewige Schicksal, und bereitet, nach dessen Maßgebung, eine Mischung von Wesen und Mangel, welche die völlige Grundanlage des künftigen Geistes enthält. Daher findet sich zwischen allen Arten von geistigen Wesen eine verwundernswürdige Aehnlichkeit; denn sie sind alle aus eben den Tonnen geschöpft, und nur an der Mischung unterschieden. Wenn also unsere Seele, welche gleichfalls nichts anders ist, als eine solche Mischung von Wesen und Mangel, sich selbst beobachtet, so erlanget sie einen Begriff von dem Wesen der Geister und ihren Schranken, von Vermögen und Unvermögen, Vollkommenheit und Unvollkommenheit, von Verstand, Weisheit, Kraft, Absicht, Schönheit, Gerechtigkeit und tausend andern unkörperlichen Dingen, über welche sie die äußeren Sinne in der tiefsten Unwissenheit lassen würden.

      Wie unvergleichlich! versetzte Sokrates. Siehe, Cebes! Du besitzest einen solchen Schatz, und wolltest mich sterben lassen; ohne mir denselben einmal zu zeigen! – Doch laß sehen, wie wir ihn noch vor dem Tode genießen wollen. Philolaus sagte also: Die Seele erkennet ihre Nebengeister, indem sie sich selbst beobachtet. Nicht?

      Ja!

      Und sie erlanget Begriffe von unkörperlichen Dingen, indem sie ihre eigenen Fähigkeiten auseinander setzt, und jeder, um sie deutlicher unterscheiden zu können, einen besondern Namen giebt?

      Allerdings.

      Wenn СКАЧАТЬ