Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn. Moses Mendelssohn
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СКАЧАТЬ scheinet nicht unglücklich, versetzte Cebes; wir müssen also fürs erste eine Erklärung suchen, was Veränderung sey.

      Mich dünkt, sprach Sokrates, wir sagen, ein Ding habe sich verändert, wenn unter zwoen entgegen gesetzten Bestimmungen, die ihm zukommen können, die eine aufhöret, und die andere anfängt wirklich zu seyn. Z. B. schön und häßlich, gerecht und ungerecht, gut und böse, Tag und Nacht, schlafen und wachen, sind dieses nicht entgegen gesetzte Bestimmungen, die bey einer und eben derselben Sache möglich sind?

      Ja!

      Wenn eine Rose welkt und ihre schöne Gestalt verlieret: sagen wir alsdann nicht, sie habe sich verändert?

      Allerdings!

      Und wenn ein ungerechter Mann seine Lebensart verändern will, muß er nicht eine entgegengesetzte annehmen, und gerecht werden?

      Wie anders?

      Auch umgekehrt, wenn durch eine Veränderung etwas entstehen soll, so muß vorhin das Widerspiel davon da gewesen seyn. So wird es Tag, nachdem es vorhin Nacht gewesen, und hinwiederum Nacht, nachdem es vorhin Tag gewesen; ein Ding wird schön, groß, schwer, ansehnlich u. s. w. nachdem es vorhin häßlich, klein, leicht, unansehnlich gewesen ist: Nicht?

      Ja!

      Eine Veränderung heißt also überhaupt nichts anders, als die Abwechselung der entgegengesetzten Bestimmungen, die an einem Dinge möglich sind. Wollen wir es bey dieser Erklärung bewenden lassen? Cebes scheinet noch unentschlossen –

      Eine Kleinigkeit, mein lieber Sokrates! das Wort entgegengesetzte macht mir einiges Bedenken. Ich sollte nicht glauben, daß schnurstracks entgegengesetzte Zustände unmittelbar auf einander folgen könnten.

      Richtig! versetzte Sokrates. Wir sehen auch, daß die Natur in allen ihren Veränderungen einen Mittelzustand zu finden weiß, der ihr gleichsam zum Uebergange dienet, von einem Zustande auf den entgegengesetzten zu kommen. Die Nacht folgt z. B. auf den Tag, vermittelst der Abenddemmerung, so wie der Tag auf die Nacht, vermittelst der Morgendemmerung: Nicht?

      Freylich.

      Das Große wird klein, vermittelst der Abnahme, und das Kleine hinwiederum groß, vermittelst des Anwachses.

      Richtig.

      Wenn wir auch in gewissen Fällen diesem Uebergange keinen besondern Namen gegeben: so ist doch nicht zu zweifeln, daß er wirklich vorhanden seyn müsse, wenn ein Zustand natürlicher Weise mit seinem Widerspiel abwechseln soll: denn muß nicht eine Veränderung, die natürlich seyn soll, durch die Kräfte, die in die Natur gelegt sind, hervorgebracht werden?

      Wie könnte sie sonst natürlich heißen?

      Diese Kräfte aber sind stets wirksam, stets lebendig: denn wenn sie nur einen Augenblick entschliefen, so würde sie nichts als die Allmacht zur Thätigkeit aufwecken können. Was aber nur die Allmacht thun kann, wollen wir dieses natürlich nennen?

      Wie könnten wir? sprach Cebes.

      Was die natürlichen Kräfte also itzt hervorbringen, mein Lieber! daran haben sie schon von je her gearbeitet; denn sie waren niemals müßig, nur daß ihre Wirkung erst nach und nach sichtbar geworden. Die Kraft der Natur z. B. die die Tageszeiten verändert, arbeitet schon itzt daran, nach einiger Zeit die Nacht auf den Horizont zu führen, aber sie nimmt ihren Weg durch Mittag und Abend, welches die Uebergänge sind von der Geburt des Tages bis auf seinen Tod.

      Richtig.

      Im Schlafe selbst arbeiten die Lebenskräfte schon an der künftigen Erwachung, so wie sie im wachenden Zustande den künftigen Schlaf vorbereiten.

      Dieses ist nicht zu leugnen.

      Und überhaupt, wenn ein Zustand natürlicher Weise auf sein Widerspiel erfolgen soll, wie solches bey allen natürlichen Veränderungen geschiehet: so müssen die stets wirksamen Kräfte der Natur schon vorher an dieser Veränderung gearbeitet, und den vorhergehenden Zustand gleichsam mit dem zukünftigen beschwängert haben. Folgt nicht hieraus, daß die Natur alle mittlern Zustände mitnehmen muß, wenn sie einen Zustand mit seinem Widerspiel ablösen will?

      Ganz unleugbar.

      Ueberlege es wohl, mein Freund! damit hernach kein Zweifel entstehe, ob nicht Anfangs zu viel nachgegeben worden. Wir erfodern zu jeder natürlichen Veränderung dreyerley: einen vorhergehenden Zustand des Dinges, das verändert werden soll, einen darauf folgenden, der jenem entgegen gesetzt ist, und einen Uebergang, oder die zwischen beiden liegenden Zustände, die der Natur von einem auf den andern gleichsam den Weg bahnen. Wird dieses zugegeben?

      Ja, ja! rief Cebes. Ich sehe nicht ab, wie ich an dieser Wahrheit sollte zweifeln können?

      Laß sehen, erwiederte Sokrates, ob dir folgendes eben so unleugbar scheinen wird? Mich dünkt, alles Veränderliche könne keinen Augenblick unverändert bleiben, sondern, indem die Zeit ohne zu ruhen forteilet, und das Künftige beständig zu dem Vergangenen zurück sendet, so verwandelt sie auch zugleich alles Veränderliche, und zeigt es jeden Augenblick unter einer neuen Gestalt. Bist du nicht auch dieser Meynung, Cebes?

      Sie ist wenigstens wahrscheinlich.

      Mir scheinet sie unwidersprechlich. Denn alles Veränderliche, wenn es eine Wirklichkeit, und kein bloßer Begriff ist, muß eine Kraft haben, etwas zu thun, und ein Geschicke, etwas zu leiden. Nun mag es thun oder leiden, so wird etwas an ihm anders, als es vorhin gewesen; und da die Kräfte der Natur niemals in Ruhe sind: was könnte den Strom der Vergänglichkeit nur einen Augenblick in seinem Laufe hemmen?

      Itzt bin ich überzeugt.

      Das thut der Wahrheit keinen Eintrag, daß uns gewisse Dinge oft eine Zeit lang unverändert scheinen; denn scheinet uns doch auch eine Flamme eben dieselbe, und dennoch ist sie nichts anders, als ein Feuerstrom, der aus dem brennenden Körper ohne Unterlaß empor steigt, und unsichtbar wird. Die Farben kommen unsern Augen öfters wie unverändert vor, und gleichwohl wechselt beständig neues Sonnenlicht mit dem vorigen ab. Wenn wir aber die Wahrheit suchen, so müssen wir die Dinge nach der Wirklichkeit, nicht aber nach dem Sinnenschein beurtheilen.

      Beym Jupiter! versetzte Cebes, diese Wahrheit verschafft uns eine neue Aussicht in die Natur der Dinge, die uns in Erstaunen setzet. Meine Freunde! fuhr er fort, indem er sich zu uns wandte, was für wichtige Dinge wird uns Sokrates nicht entdecken, wenn er die Anwendung hievon auf die Seele machen wird!

      Ich habe noch einen einzigen Satz voraus zu schicken, versetzte Sokrates, ehe ich auf diese Anwendung komme. Das Veränderliche, haben wir eingestanden, kann keinen Augenblick unverändert bleiben, sondern, so wie die vergangene Zeit älter wird, so wächst auch die aneinander hängende Reihe der Abänderungen, die da gewesen sind. Nun überlege, Cebes! findet man in der Zeit zween Augenblicke, die sich einander die nächsten sind?

      Noch begreife ich nicht, sprach Cebes, was du sagen willst. –

      Ein Beyspiel wird dir meine Gedanken deutlicher machen. Indem ich das Wort Cebes ausspreche, folgen hier nicht zwo Sylben auf einander, zwischen welchen keine dritte anzutreffen ist?

      Richtig!

      Diese beiden Sylben СКАЧАТЬ