Название: Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn
Автор: Moses Mendelssohn
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027207183
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Beym Jupiter! ganz vortrefflich, rief Simmias.
Zittern und voller Angst seyn, wenn der Tod winkt, kann dieses nicht für ein untriegliches Kennzeichen genommen werden, daß man nicht die Weisheit, sondern den Leib, das Vermögen, die Ehre, oder alle drey zusammen liebet?
Ganz untrieglich.
Wem geziemet die Tugend, die wir Mannhaftigkeit nennen, mehr als den Weltweisen?
Niemanden!
Und die Mäßigkeit, diese Tugend, die in der Fertigkeit bestehet, seine Begierden zu bezähmen, und in seinem Thun und Lassen eingezogen und sittsam zu seyn, wird sie nicht vornehmlich bey dem zu suchen seyn, der seinen Leib nicht achtet, und bloß in der Weltweisheit lebt und webt?
Nothwendig, sprach er.
Aller übrigen Menschen Mannhaftigkeit und Mäßigkeit wird dir ungereimt scheinen, wenn du sie näher betrachtest.
Wie so? mein Sokrates!
Du weißt, versetzte er, daß die mehresten Menschen den Tod für ein sehr großes Uebel halten.
Richtig, sprach er.
Wenn also diese, so genannten tapfern und mannhaften Leute, unerschrocken sterben, so geschiehet es bloß aus Furcht eines noch größern Uebels.
Nicht anders.
Also sind alle Mannhaften, außer den Weltweisen, bloß aus Furcht unerschrocken. Ist aber eine Unerschrockenheit aus Furcht nicht höchst ungereimt?
Dieses ist nicht zu leugnen.
Mit der Mäßigkeit hat es dieselbe Beschaffenheit. Aus Unmäßigkeit leben sie mäßig und enthaltsam. Man sollte dieses für unmöglich halten, und dennoch trifft es bey dieser unvernünftigen Mäßigkeit völlig ein. Sie enthalten sich gewisser Wollüste, um andere, nach welchen sie gieriger sind, desto ungestörter genießen zu können.
Sie werden Herren über jene, weil sie von diesen Knechte sind. Frage sie, sie werden dir freylich sagen, sich von seinen Begierden beherrschen zu lassen, sey Unmäßigkeit; allein sie selbst haben die Herrschaft über gewisse Begierden nicht anders erlangt, als durch die Sklaverey gegen andere, die noch ausgelassener sind. Heißet nun dieses nicht gewisser maßen aus Unmäßigkeit enthaltsam seyn?
Allem Ansehen nach.
O mein theurer Simmias! Wollust gegen Wollust, Schmerz gegen Schmerz, und Furcht gegen Furcht vertauschen, gleichsam, wie Münze, für ein großes Stück viele kleine einwechseln: dieß ist nicht der Weg zur wahren Tugend. Die einzige Münze, die gültig ist, und für welche man alles andere hingeben muß, ist die Weisheit. Mit dieser schafft man sich alle übrigen Tugenden an: Tapferkeit, Mäßigkeit, und Gerechtigkeit. Ueberhaupt bey der Weisheit ist wahre Tugend, wahre Herrschaft über die Begierden, über die Verabscheuungen, und über alle Leidenschaften: ohne Weisheit aber erlanget man nichts, als einen Tausch der Leidenschaften gegen eine leidige Schattentugend, die dem Laster Sklavendienste thun muß, und an sich selbst nichts Gesundes und Wahres mit sich führet. Die wahre Tugend ist eine Heiligung der Sitten, eine Reinigung des Herzens, kein Tausch der Begierden. Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Mannhaftigkeit, Weisheit, sind kein Tausch der Laster gegen einander. Unsere Vorfahren, welche die Teleten, oder die vollkommenen Versöhnungsfeste gestiftet, müssen, allem Ansehen nach, sehr weise Männer gewesen seyn: denn sie haben durch diese Räthsel zu verstehen geben wollen, daß, wer unversöhnt und ungeheiliget die Oberwelt verläßt, die härteste Strafe auszustehen habe; der Geläuterte und Versöhnte aber nach seinem Tode unter den Göttern wohnen werde. Die mit diesen Versöhnungsgeheimnissen umgehen, pflegen zu sagen: Es giebt viele Thyrsusträger, aber wenig Begeisterte; und meines Erachtens, verstehet man unter den Begeisterten diejenigen, die sich der wahren Weisheit gewiedmet. Ich habe in meinem Leben nichts gespart, sondern unabläßig gestrebt, einer von diesen Begeisterten zu seyn; ob mein Bemühen fruchtlos gewesen, oder in wie weit mir mein Vorhaben gelungen, werde ich da, wo ich hinkomme, am besten erfahren, und so Gott will, in kurzer Zeit. –
Dieses ist meine Vertheidigung, Simmias und Cebes! warum ich meine besten Freunde hienieden ohne Betrübniß verlasse, und bey Herannahung der Todesstunde so wenig zittere. Ich glaube, allda bessere Freunde und ein besseres Leben zu finden, als ich hier zurück lasse, so wenig auch dieses beym gemeinen Haufen Glauben finden wird.
Hat nun meine jetzige Schutzrede bessern Eingang gefunden, als jene, die ich vor den Richtern der Stadt gehalten, so hin ich vollkommen vergnügt.
Sokrates hatte ausgeredet, und Cebes ergriff das Wort: Es ist wahr Sokrates! du hast dich vollkommen gerechtfertiget; allein was du von der Seele behauptest, muß vielen unglaublich scheinen; denn sie halten insgemein dafür, die Seele sey nirgend mehr anzutreffen, so bald sie den Körper verlassen, sondern werde, gleich nach dem Tode des Menschen, aufgelöset und zernichtet. Sie steige, wie ein Hauch, oder wie ein feiner Dampf, aus dem Körper in die obere Luft, allwo sie vergehe, und völlig aufhöre zu seyn. Könnte es ausgemacht werden, daß die Seele für sich bestehen kann, und nicht nothwendig mit diesem Leibe verbunden seyn muß: so hätten die Hoffnungen, die du dir machest, eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit; denn so bald es mit uns nach dem Tode besser werden kann: so hat der Tugendhafte auch gegründete Hoffnungen, daß es mit ihm wirklich besser werden wird. Allein die Möglichkeit selbst ist schwer zu begreifen, daß die Seele nach dem Tode noch denken, daß sie noch Willen und Verstandeskräfte haben soll; dieses also, mein Sokrates, erfodert noch einigen Beweis.
Du hast Recht, Cebes! versetzte Sokrates. Allein was ist zu thun? Wollen wir etwa überlegen, ob wir einen Beweis finden können, oder nicht?
Ich bin sehr begierig, sprach Cebes, deine Gedanken hierüber zu vernehmen.
Wenigstens kann derjenige, erwiederte Sokrates, der unsere Unterredung höret, und wenn er auch ein Komödienschreiber wäre, mir nicht vorwerfen, ich beschäfftige mich mit Grillen, die weder nützlich noch erheblich sind. Die Untersuchung, die wir itzt anstellen wollen, ist vielmehr so wichtig, daß uns jeder Dichter gern erlauben wird, um den Beystand einer Gottheit zu flehen, bevor wir zum Werke schreiten. – Er schwieg, und saß eine Zeit lang wie in Gedanken vertieft; sodann sprach er: Doch, meine Freunde! mit lauterm Herzen die Wahrheit suchen, ist die würdigste Anbetung der einzigen Gottheit, die uns Beystand leisten kann. Zur Sache also! Der Tod, o Cebes! ist eine natürliche Veränderung des menschlichen Zustandes, und wir wollen itzt untersuchen, was bey dieser Veränderung so wohl mit dem Leibe des Menschen, als mit seiner Seele vorgehet. Nicht?
Richtig!
Sollte es nicht rathsam seyn, erst überhaupt zu erforschen, was eine natürliche Veränderung ist, und wie die Natur ihre Veränderungen nicht nur in Ansehung des Menschen, sondern auch in Ansehung der Thiere, Pflanzen, und leblosen СКАЧАТЬ