Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn. Moses Mendelssohn
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СКАЧАТЬ und sehr nachdrückliche Rede, in welcher er alle Verleumdungen und boshaften Gerüchte, die man zu seinem Nachtheil ausgestreut, ohne Bitterkeit wiederlegte, seine Ankläger beschämte und in ihren eigenen Beschuldigungen Widersprüche und Ungereimtheiten zeigte. Seinen Richtern begegnete er zwar mit der erfoderlichen Ehrerbietigkeit, sprach aber in einem so festen und seines Vorzugs sich bewußten Tone, daß seine Rede öfters durch unzufriedenes Murmeln unterbrochen ward. Er beschloß mit folgenden Worten:

      »Werdet nicht ungehalten, Athenienser! daß ich, wider die Gewohnheit der Verklagten, nicht in Thränen zu euch rede, oder meine Kinder, Verwandten und Freunde in einem kläglichen Aufzuge erscheinen lasse, um euch zum Mitleiden zu bewegen. Nicht aus Hochmuth oder Trotz habe ich dieses unterlassen; sondern weil ich es für unanständig halte, einen Richter anzuflehen, und ihn anders, als durch die Rechtmäßigkeit der Sache, einnehmen zu wollen. Der Richter hat sich durch einen Eid verpflichtet, nach Gesetz und Billigkeit zu urtheilen, und sein Mitleiden so wenig als seinen Zorn den Ausspruch thun zu lassen. Wir Angeklagten handeln also wider Recht und Billigkeit, wenn wir euch durch unsre Klagen eidbrüchig zu machen suchen, und wider die Achtung, die wir euch schuldig sind, wenn wir euch fähig halten, es zu werden. Ich will auf keinerley Weise meine Errettung solchen Mitteln zu verdanken haben, die weder recht, noch billig, noch gottesfürchtig sind; vornehmlich da ich vom Melitus so eben der Gottlosigkeit beschuldiget worden bin. Wenn ich durch mein Flehen euch meyneidig zu machen suchete, so wäre dieses der überzeugendste Beweis, daß ich keine Götter glaube; mithin würde mich diese Vertheidigung selbst der Atheisterey überführen. Aber nein! ich bin mehr, als alle meine Ankläger, von dem Daseyn Gottes überzeugt, und ergebe mich daher Gotte und euch, mich nach Wahrheit zu richten, und über mich zu verhängen, was ihr so wohl für euch, als für mich für das Beste haltet.«

      Die Richter waren höchst unzufrieden über dieses gesetzte und unerschütterte Wesen, und unterbrachen den Plato, der nach ihm hervortrat, und zu reden begonn. »Ob ich schon der jüngste bin, Athenienser! fieng Plato an, von denen, welche diesen Ort hinaufgestiegen –« Heruntergestiegen riefen sie ihm zu und ließen ihn seine Rede nicht fortsetzen. Sokrates wurde durch die Mehrheit von drey und dreyßig Stimmen für schuldig erkannt.

      Es war die Gewohnheit zu Athen, daß die Verurtheilten sich selbst eine gewisse Strafe, Geldbuße, Gefängniß oder Verbannung auflegen mußten, um dadurch die Billigkeit des Urtheils zu bekräftigen, oder vielmehr ihre Verbrechen einzugestehen. Sokrates sollte wählen; aber er wollte auf keinerlei Weise gegen sich selbst so ungerecht seyn, sich für schuldig zu erkennen.

      »Wenn ich frey sagen soll, was ich verdient zu haben glaube, so wisset, Athenienser! ich glaube, durch die Dienste, die ich der Republik geleistet, wohl werth zu seyn, daß man mich auf öffentliche Kosten im Prytaneum unterhalte.« Auf Zureden seiner Freunde verstand er sich gleichwohl zu einer kleinen Geldbuße, wollte aber nicht zugeben, daß sie unter sich eine größere Summe zusammen schießen sollten.

      Nachdem er hierauf den Richtern, die ihn verurtheilt, freymüthig, aber ohne Galle, einige Wahrheiten gesagt, wendete er sich zu denjenigen, die für seine Lossprechung gestimmet hatten, und unterhielt sie mit einer Art von Betrachtung über Leben, Tod und Unsterblichkeit, die damals ziemlich der Fassungskraft des gemeinen Volks angemessen gewesen seyn mag. Als er aber mit seinen Schülern und vertrauten Freunden allein war, ließ er sich über eben diese Materie mit mehrerer Gründlichkeit heraus: daher wir unsre Leser, die in folgenden Gesprächen, mit den reifern Gedanken dieses Weltweisen unterhalten werden sollen, mit jener exoterischen Philosophie billig verschonen.

      Man führte ihn ins Gefängniß, das, wie Seneka sagt, durch die Gegenwart dieses Mannes seine Schmach verlor, indem das kein Kerker seyn kann, wo ein Sokrates ist. Unterwegs begegneten ihm einige von seinen Schülern, die über dasjenige was ihm widerfahren, ganz untröstlich waren. »Warum weinet ihr? fragte sie der Weise. Hat mich die Natur nicht gleich bey meiner Geburt zum Tode verurtheilt? Wenn mich der Tod einem wahren und ersprießlichen Gute entrissen, so hätte ich, und diejenigen die mich lieben, Ursache, mein Schicksal zu bedauren. Da ich aber hienieden nichts, als Jammer und Elend zurücklasse: so sollten mir meine Freunde zu meiner Reise vielmehr Glück wünschen.«

      Apollodorus, der als ein sehr gutherziger Mensch, aber etwas schwacher Kopf beschrieben wird, konnte sich gar nicht zufrieden geben, daß sein Lehrer und Freund so unschuldig sterben müßte. Guter Apollodorus! sprach Sokrates lächelnd, indem er ihm die Hand auf den Kopf legte, würdest du es lieber sehen, wenn ich schuldig sterben müßte?

      Was übrigens im Gefängnisse und in den letzten Stunden des sterbenden Sokrates vorgegangen, wird der Leser in folgenden Gesprächen erfahren. Nur ist noch eine Unterredung mit dem Krito nicht aus der Acht zu lassen, aus welcher Plato ein besonderes Gespräch gemacht hat. Einige Tage vor der Hinrichtung des Sokrates, kam Krito vor Anbruch des Tages zu ihm ins Gefängniß, fand ihn in süßem Schlafe, und setzte sich leise neben sein Bett, um ihn nicht zu stören. Als Sokrates erwachte, fragte er ihn, »warum so früh heute, Freund Krito?« Dieser meldete ihm, er hätte Nachricht, daß den nächsten Tag das Todesurtheil vollzogen werden sollte. »Wenn es der Wille Gottes ist, antwortete Sokrates, mit seiner gewöhnlichen Gelassenheit, so sey es! Indessen glaube ich nicht, daß es morgen vor sich gehen werde. Ich hatte, so eben als du zu mir kamst, einen angenehmen Traum. Mir erschien ein Frauenzimmer von ungemeiner Schönheit, in einem langen weißen Gewande, rief mich beym Namen und sprach: In drey Tagen wirst du in dein fruchtbares Phthia anlangen.« Eine feine Anspielung! wodurch er zu verstehen gab, daß er sich nach jenem Leben, wie beym Homer der erzürnte Achilles sich aus dem Lager weg, und nach Phthia, seinem Vaterlande, sehnete. Krito aber, der ganz andre Absichten СКАЧАТЬ