Название: Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn
Автор: Moses Mendelssohn
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027207183
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Sage ihm, o Cebes, erwiederte Sokrates, nichts als die Wahrheit: daß ich diese Gedichte keinesweges in der Absicht verfertiget, ihm in der Dichtkunst den Rang abzulaufen; denn ich weiß, wie schwer dieses ist; sondern bloß um eines Traumes willen, dem ich mir vorgenommen in allen möglichen Bedeutungen nachzuleben, und daher auch in dieser Art von Musik, in der Dichtkunst, meine Kräfte zu versuchen. Die Sache verhält sich aber folgender Gestalt. Ich hatte in vergangenen Zeiten sehr oft einen Traum, der mir unter vielerlei Gestalten erschien, aber immer eben denselben Befehl gab, Sokrates befleißige dich der Musik und übe sie aus! Bisher hielt ich diese Ermahnung bloß für eine Aufmunterung und Anfrischung, wie man sie den Wettläufern nachzurufen pflegt. Der Traum, dachte ich, will mir nichts neues zu thun befehlen; denn die Weltweisheit ist ja die vortrefflichste Musik, und dieser habe ich mich stets beflissen; er will also bloß meinen Eifer, meine Liebe zur Weisheit anfeuern, damit sie nicht erkalte. Nunmehr aber, nachdem das Urtheil über mich gesprochen worden, und das Fest des Apollo meinen Tod eine zeitlang aufgeschoben, kam mir der Gedanke ein, ob man mir nicht vielleicht der gemeinen Musik obzuliegen befohlen, und ich hatte Muße genug, diesen Gedanken nicht fruchtlos verschwinden zu lassen. Ich machte den Anfang mit einem Lobgesange auf den Gott, dessen Fest damals gefeyert ward. Allein mir fiel nachher bey, daß, wer Poet seyn will, Erdichtungen, aber nicht Vernunftsätze behandeln müsse; daß aber ein Lobgesang keine Erdichtungen enthielte. Da ich nun selbst keine Gabe zu dichten besitze; so bediente ich mich anderer Leute Erfindungen, und brachte einige Fabeln des Aesops, die mir zuerst vor die Hand kamen, in Verse. – Dieses kannst du, mein Cebes, dem Evenus antworten. Entbiete ihm auch meinen Gruß, und wenn er weise ist, so mag er mir bald folgen.
Ich werde, allem Ansehen nach, auf Befehl der Athenienser noch heute abreisen.
Und dieses wünschest du dem Evenus? fragte Simmias. Ich kenne diesen Mann sehr gut, und so viel ich von ihm urtheilen kann, dürfte er dir für diesen Wunsch schlechten Dank wissen. – Wie? versetzte jener, ist denn Evenus kein Weltweiser? Mich dünkt, ja, sprach Simmias. – Nun so wird er mir gewiß gerne folgen, erwiederte Sokrates, er, und jedermann, der diesen Namen verdienet. Er wird zwar nicht selbst Hand an sich legen; denn dieses ist unerlaubt, wie einem jeden bekannt ist. – Indem er dieses sagte, ließ er beide Füße vom Bette auf die Erde herab, um in dieser Stellung die Unterredung fortzusetzen. Cebes fragte: Wie ist dieses zu verstehn, Sokrates? Es ist nicht erlaubt, sagst du, sich selbst zu entleiben, und dennoch soll jeder Weltweise einem Sterbenden gerne nachfolgen? Wie? Cebes, sprach Sokrates: Du und Simmias, ihr habet beide den Weltweisen Philolaus gehört, hat er euch denn niemals hiervon etwas gesagt? Nichts Ausführliches, mein Sokrates. Nun gut! Ich habe verschiedenes von der Sache gehöret, und will euch solches gerne mittheilen. Mich dünkt, wer reisen will, habe Ursach, sich nach der Beschaffenheit des Landes, dahin er zu kommen gedenkt, wohl zu erkundigen, um sich einen richtigen Begriff davon zu machen. Diese Unterredung ist also meinen jetzigen Umständen angemessen, und was könnte man auch den heutigen Tag bis Sonnen Untergang Wichtigeres vornehmen? Wodurch beweiset man, fragte Cebes, daß der Selbstmord unerlaubt sey? Philolaus und andere Lehrer haben mir zwar vielfältig eingeschärft, daß er verboten sey, aber mehr hat mir niemand davon beigebracht. – Wohlan! So mache dich gefaßt, itzt ein mehreres davon zu erfahren. Was meynest du, Cebes! ich behaupte, daß der Selbstmord schlechterdings in allen möglichen Fällen unerlaubt sey. Wir wissen, es giebt Leute, für welche es besser wäre, gestorben zu seyn, als zu leben. Nun dürfte es dich befremden, daß die Heiligkeit der Sitten auch von diesen Unglücklichen fodern sollte, sich nicht selbst wohl zu thun, sondern eine andere wohlthätige Hand abzuwarten. – Das mag eine Stimme vom Jupiter erklären! antwortete Cebes lächelnd.
Und gleichwohl ist es so schwer nicht, diese anscheinende Ungereimtheit durch Gründe zu tilgen. Was man in den Geheimnissen zu sagen pflegt, daß wir Menschen hienieden wie die Schildwachen ausgestellt wären, und also unsere Posten nicht verlassen dürften, bis wir abgelöset würden, scheinet mir etwas zu hoch und unbegreiflich. Allein ich habe einige Vernunftgründe, die nicht schwer zu fassen sind. Ich glaube als ausgemacht voraussetzen zu können, die Götter (laßt mich jetzt sagen Gott, denn wen habe ich zu scheuen?) Gott ist unser Eigenthumsherr, wir sein Eigenthum, und seine Vorsehung besorgt unser Bestes. Sind diese Sätze nicht deutlich?
Sehr deutlich, sprach Cebes.
Ein Leibeigener, der unter der Vorsorge eines gütigen Herrn stehet handelt sträflich, wenn er sich den Absichten desselben widersetzt. Nicht?
Allerdings!
Vielleicht wenn ein Funken von Rechtschaffenheit in seinem Busen glimmet, muß es ihm eine wahre Freude seyn, die Wünsche seines Gebieters durch sich erfüllet zu sehen, und um so vielmehr, wenn er von der Gesinnung seines Herrn überzeugt ist, daß sein eigenes Bestes an diesen Wünschen Theil nimmt. Unvergleichlich! mein Sokrates. Aber wie? Cebes, als Gott den künstlichen Bau des menschlichen Leibes gewirkt, und ein vernünftiges Wesen hinein gesetzt, hatte er da böse oder gute Absichten?
Ohne Zweifel gute.
Denn er müßte sein Wesen, die selbständige Güte, verleugnen, wenn er mit seinem Thun und Lassen böse Absichten verknüpfen könnte; und was ist ein Gott, der sein Wesen verleugnen kann?
Ein Unding, Sokrates, ein fabelhafter Gott, dem das leichtgläubige Volk wandelbare Gestalten andichtet. Ich erinnere mich der Gründe gar wohl mit welchen du bey einer andern Gelegenheit diesen lästerlichen Irrthum bestritten.
Derselbe Gott, Cebes, der den Leib gebauet, hat ihn auch mit Kräften ausgerüstet, die ihn stärken, erhalten, und vor dem allzufrühen Untergang bewahren. Wollen wir auch diesen Erhaltungskräften höchst gütige Absichten zum Ziele setzen?
Wie könnten wir anders?
Als treugesinnte Leibeigenen also, muß es uns eine heilige Pflicht seyn, die Absichten unsers Eigenthumsherrn zu ihrer Reife gedeihen zu lassen, sie nicht gewaltsamer Weise in ihrem Laufe zu hemmen; sondern vielmehr alle unsere freywilligen Handlungen mit denselben auf das vollkommenste übereinstimmen zu lassen.
Darum habe ich gesagt, mein lieber Cebes, daß die Weltweisheit die vortrefflichste Musik sey, denn sie lehret uns, unsere Gedanken und Handlungen so einzurichten, daß sie, so viel uns möglich ist, mit den Absichten des allerhöchsten Eigenthumsherrn vollkommen übereinstimmen. Ist nun die Musik eine Wissenschaft, das Schwache mit dem Starken, das Rauhe mit dem Sanften, und das Unangenehme mit dem Angenehmen in eine Harmonie zu bringen: so kann gewiß keine Musik herrlicher und vortrefflicher seyn, als die Weltweisheit, die uns lehret, nicht nur unsere Gedanken und Handlungen unter sich, sondern auch die Handlungen des Endlichen mit den Absichten des Unendlichen, und die Gedanken des Erdbewohners mit den Gedanken des Allwissenden in eine große und wundervolle Harmonie zu stimmen. – O Cebes! und der verwegene Sterbliche, sollte sich erdreisten diese entzückende Harmonie zu zerstören?
Er würde den Abscheu der Götter und Menschen verdienen, mein lieber Sokrates!
Sage mir aber auch dieses, mein Trauter! Sind die Kräfte der Natur nicht Diener der Gottheit, die ihre Befehle vollstrecken?
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