Название: Ausgewählte philosophische Werke von Moses Mendelssohn
Автор: Moses Mendelssohn
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027207183
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Cebes schwieg, und Sokrates fuhr fort: Habe ich die Meynung des Philolaus anders recht begriffen, so kann sich die Seele zwar niemals von einem höhern Wesen, als sie selbst ist, oder nur von einer höhern Fähigkeit, als sie selbst besitzet, einen der Sache gemäßen Begriff machen; allein sie kann gar wohl überhaupt die Möglichkeit eines Dinges begreifen, dem mehr Wesen und weniger Mängel zu Theile worden, als ihr selbst, das heißt, welches vollkommener ist, als sie; oder hast du es vielleicht vom Philolaus anders gehört?
Nein!
Und von dem allerhöchsten Wesen, von der allerhöchsten Vollkommenheit hat sie auch nicht mehr, als diesen Schimmer einer Vorstellung. Sie kann das Wesen desselben nicht in seinem ganzen Umfange begreifen; aber sie denkt ihr eigenes Wesen, das, was sie Wahres, Gutes, und Vollkommenes hat, trennet es in Gedanken von dem Mangel und Unwesen, mit welchem es in ihr vermischt ist, und geräth dadurch auf den Begriff eines Dinges, das lauter Wesen, lauter Wahrheit, lauter Güte und Vollkommenheit ist. –
Appollodorus, der bisher alle Worte des Sokrates leise nachgesprochen hatte, gerieth hier in Entzückung und wiederholte laut: das lauter Wesen, lauter Wahrheit, lauter Güte, lauter Vollkommenheit ist.
Und Sokrates fuhr fort: Sehet ihr, meine Freunde! wie weit sich der Weisheitliebende von den Sinnen und ihren Gegenständen entfernen muß, wenn er das begreifen will, was zu begreifen wahre Glückseligkeit ist, das allerhöchste und vollkommenste Wesen? In dieser Gedankenjagdt muß er Augen und Ohren verschließen, Schmerz und Sinnenlust ferne von seiner Achtsamkeit seyn lassen, und wenn es möglich wäre, seines Leibes ganz vergessen, um desto einsamer sich ganz auf seine Seelenvermögen und ihre innere Wirksamkeit einzuschränken.
Der Leib ist seinem Verstande bey dieser Untersuchung nicht nur ein unnützlicher, sondern auch ein beschwerlicher Gesellschafter: denn jetzt sucht er weder Farbe noch Größe, weder Töne noch Bewegung, sondern ein Ding, das alle möglichen Farben, Größen, Töne und Bewegungen, und, was noch weit mehr ist, alle möglichen Geister sich aufs deutlichste vorstellet, und in allen ersinnlichen Ordnungen hervorbringen kann. Welch ein unbehülflicher Gefährte ist der Körper auf dieser Reise?
Wie erhaben! rief Simmias, aber auch wie wahr!
Die wahren Weltweisen, sprach Sokrates, die diese Gründe in Erwägung ziehen, können nicht anders, als diese Meynung hegen, und einer zum andern sprechen: Siehe! hier ist ein Irrweg, der uns immer vom Ziele weiter weg führet, und alle unsere Hoffnungen vereitelt. Wir sind versichert. daß die Erkenntniß der Wahrheit unser einziger Wunsch sey. Aber so lange wir uns hier auf Erden mit dem Leibe schleppen; so lange unsere Seele noch mit dieser irrdischen Seuche behaftet ist, können wir uns unmöglich schmeicheln, diesen Wunsch ganz erfüllt zu sehen. Wir sollen die Wahrheit suchen. Leider! läßt uns der Körper wenig Muße zu dieser wichtigen Unternehmung. Heute fodert sein Unterhalt unsere ganze Sorge; morgen fechten ihn Krankheiten an, die uns abermals stören; so dann folgen andere Leibesangelegenheiten, Liebe, Furcht, Begierden, Wünsche, Grillen und Thorheiten, die uns unaufhörlich zerstreuen, die unsere Sinnen von einer Eitelkeit zur andern locken, und uns nach dem wahren Gegenstande unserer Wünsche, nach der Weisheit, vergebens schmachten lassen. Wer erregt Krieg, Aufruhr, Streit und Uneinigkeit unter den Menschen? wer anders, als der Körper, und seine unersättlichen Begierden? Denn die Habsucht ist die Mutter aller Unruhen, und unsere Seele würde niemals nach eigenthümlichen Gütern geizen, wenn sie nicht für die hungrigen Begierden ihres Leibes zu sorgen hätte. Solchergestalt sind wir die meiste Zeit beschäfftiget, und haben selten Muße zur Weltweisheit. Endlich, erzielet man auch irgend eine müßige Stunde, und macht sich bereit, die Wahrheit zu umarmen: so stehet uns abermals dieser Störer unsrer Glückseligkeit, der Leib, im Wege, und bietet uns seine Schatten, statt der Wahrheit, an. Die Sinne halten uns, wider unsern Dank, ihre Scheinbilder vor, und erfüllen die Seele mit Verwirrung, Dunkelheit, Trägheit und Aberwitz: und sie soll in diesem allgemeinen Aufruhr gründlich nachdenken und die Wahrheit erreichen? unmöglich! Wir müssen also die seligen Augenblicke abwarten, in welchen Stille von Außen und Ruhe von Innen uns das Glück verschafft, den Leib völlig aus der Acht zu schlagen, und mit den Augen des Geistes nach der Wahrheit hinzusehen. Aber wie selten, und wie kurz sind auch diese seligen Augenblicke! –
Wir sehen ja deutlich, daß wir das Ziel unserer Wünsche, die Weisheit, nicht eher erreichen werden, als nach unserm Tode; beym Leben ist keine Hoffnung dazu. Denn kann anders die Seele, so lange sie im Leibe wohnet, die Wahrheit nicht deutlich erkennen, so müssen wir eines von beiden setzen: entweder, wir werden sie niemals erkennen, oder, wir werden sie nach unserm Tode erkennen, weil die Seele alsdann den Leib verläßt, und vermuthlich in dem Fortgange zur Weisheit weit weniger aufgehalten wird. Wollen wir uns aber in diesem Leben zu jener seligen Erkenntniß vorbereiten, so müssen wir unterdessen dem Leibe nicht mehr gewähren, als was die Nothwendigkeit erfodert; wir müssen uns seiner Begierden und Lüste enthalten, und uns, so oft als möglich, im Nachdenken üben, bis es dem Allerhöchsten gefallen wird, uns in Freyheit zu setzen. Alsdann können wir hoffen, von den Thorheiten des Leibes befreyet, die Quelle der Wahrheit, das allerhöchste und vollkommenste Wesen, mit lautern und heiligen Sinnen zu beschauen, indem wir vielleicht andere neben uns eben derselben Glückseligkeit genießen sehen. Einem Unheiligen aber ist es nicht erlaubet, die Heiligkeit selbst anzurühren. – Diese Sprache, mein lieber Simmias! dürfen die wahren Wissensbegierigen unter einander führen, wenn sie sich von ihren Angelegenheiten besprechen, und diese Meynung müssen sie auch hegen, wie ich glaube; oder dünkt es dich anders?
Nicht anders, mein Sokrates!
Wenn aber dem also ist, mein Lieber! hat ein solcher, der mir heute nachfolget, nicht große Hoffnung, da wo wir hinkommen, besser als irgend wo, das zu erlangen, wornach er im gegenwärtigen Leben so sehr gerungen?
Allerdings!
Ich kann also meine Reise heute mit guter Hoffnung antreten, und jeder Wahrheitliebender mit mir, wenn er bedenkt, daß ihm ohne Reinigung und Vorbereitung kein freyer Zutritt zu den Geheimnissen der Weisheit verstattet wird.
Dieses kann nicht geleugnet werden, sprach Simmias.
Diese Reinigung aber ist nichts anders, als die Entfernung der Seele von dem Sinnlichen, und anhaltende Uebung über das Wesen und die Eigenschaften der Seele selbst Betrachtungen anzustellen, ohne sich darinn etwas, das nicht die Seele ist, irren zu lassen; mit einem Worte, die Bemühung, sowohl in diesem als in dem zukünftigen Leben, die Seele von den Fesseln des Leibes zu befreyen, damit sie ungehindert sich selbst betrachten, und dadurch zur Erkenntniß der Wahrheit gelangen möge.
Allerdings!
Die Trennung des Leibes von der Seele nennet man den Tod.
Freylich.
Die wahren Liebhaber der Weisheit, wenden also alle ersinnliche Mühe an, sich dem Tode, so viel sie können, zu nähern, sterben zu lernen: Nicht?
Es scheinet so.
Wäre es nun aber nicht höchst ungereimt, wenn ein Mensch, der in seinem ganzen Leben nichts gelernet, als die Kunst zu sterben, wenn ein solcher, sage ich, zuletzt sich betrüben wollte, da er den Tod sich nahen sieht, und wäre es nicht lächerlich?
Unstreitig.
Also, Simmias, muß den wahren Weltweisen der Tod niemals schrecklich, sondern allezeit willkommen seyn. – Die Gesellschaft des Leibes ist ihnen bey allen Gelegenheiten beschwerlich; denn wofern sie den wahren Entzweck ihres Daseyns erfüllen wollen, so müssen sie suchen die Seele vom Leibe zu trennen, und gleichsam in sich selbst zu versammeln. Der Tod ist СКАЧАТЬ