Das weibliche Genie. Hannah Arendt. Julia Kristeva
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Название: Das weibliche Genie. Hannah Arendt

Автор: Julia Kristeva

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783863935665

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СКАЧАТЬ »Ich habe ihm gegenüber mein Leben lang gleichsam geschwindelt, immer so getan, als ob all dies nicht existiere und als ob ich sozusagen nicht bis drei zählen kann, es sei denn in der Interpretation seiner eigenen Sachen; da war es ihm immer sehr willkommen, wenn sich herausstellte, daß ich bis drei und manchmal sogar bis vier zählen konnte. Nun war mir das Schwindeln plötzlich zu langweilig geworden, und ich habe eins auf die Nase gekriegt. Ich war einen Augenblick lang sehr wütend, bin es aber gar nicht mehr, bin eher der Meinung, daß ich es irgendwie verdient habe – nämlich sowohl für Geschwindelt haben wie für plötzliches Aufhören mit dem Spiel.«29

      Dennoch besucht sie ihn 1950 und auch 1952. Sie führen erneut einen Briefwechsel, und von 1967 an bis zu seinem Tod 1975 begibt sich Arendt jedes Jahr nach Deutschland, um Heidegger zu sehen. Seine Briefe zeigen ihn gerührt und besonders beeindruckt durch die Beziehung, die er zwischen Hannah Arendt und Elfriede Heidegger, seiner Gattin, zu fördern sucht. Nachdem er an die Rolle seiner Frau Elfriede bei der Errichtung seiner Arbeitsstätte, der »Hütte«, erinnert hat und sich auf das neue vorausgesetzte – gewünschte – Verstehen zwischen Elfriede und Hannah bezieht, schreibt Heidegger am 8. Februar 1950: »So mag der gewordene Einklang künftig eingetönt werden in den warmen Ton der Holzwände dieser Stube. Ich bin froh, daß Dein Herdenken sich jetzt im Einblick in diese Werkstatt und durch ihren Ausblick auf die Wiesen und Berge bewegen kann.«30

      Einen Monat später, am 19. März 1950, kommt Heidegger auf Hannahs ersten Besuch nach dem Krieg zurück: »Ich wußte dies, als ich Dir am 6. Februar wieder gegenüber stand und ›Du!‹ sagte. Ich wußte, daß jetzt für uns ein neues Wachstum beginne, aber auch die liebende Mühe, alles in ein offenes Vertrauen zu pflanzen. Wenn ich Dir sage, daß meine Liebe zu meiner Frau jetzt erst wieder ins Klare und Wache gefunden, so danke ich es ihrer Treue und ihrem Vertrauen zu uns und Deiner Liebe.«

      Heidegger beschwört Hannah, sich seiner Gattin zu nähern: »Ich brauche ihre Liebe, die still die Jahre hindurch alles getragen hat und zu wachsen bereit geblieben ist. Ich brauche Deine Liebe, die, in ihren frühen Keimen geheimnisvoll gewahrt, das Ihre aus ihrer Tiefe bringt. So möchte ich auch eine stille Freundschaft zu Deinem Mann im Herzen nähren, der Dir in diesen leidvollen Jahren Gefährte wurde.«31 Zu dieser Idylle zu viert kommen die Landschaftsklischees, die die deutsche Erde feiern: »Denke, Hannah, wenn die große Stadt allzu rasend an Dir reißt, an die steilen Tannen, die auf den winterlichen Bergen vor uns in die leichte Luft der mittäglichen Höhe ragten.«32

      Das grüne Kleid ist jetzt plötzlich braun. Am 12. April 1950 betont der treu sein wollende Liebhaber in seltsamer Weise die Symbolik der … braunen Farbe und ihrer erdhaften Konnotationen, wobei er das Wiederfinden in Freiburg mit ihrer ersten Begegnung fünfundzwanzig Jahre zuvor in Marburg in Zusammenhang bringt: »Als Du beim ersten Wiedersehen in Deinem schönsten Kleid auf mich zukamst, schrittest Du gleichwohl für mich durch die vergangenen fünf Jahrfünfte. Hannah – kennst Du das Braun eines frisch umgepflügten Ackers im Lichte der Abenddämmerung? Alles überstanden und zu allem bereit. Für jenen Augenblick des Wiedersehens bleibe Zeichen mir Dein braunes Kleid. Dieses Zeichen werde uns immer zeigender.«33

      1969 veröffentlicht Arendt »Martin Heidegger ist achtzig Jahre alt«, einen Text, der »den Wind seines Denkens« und seiner Gefahren lobt, jedoch unter der Hommage den Hinweis auf den skandalösen Kompromiß von Denkern wie Platon und Heidegger mit Tyrannen und Diktaturen kaum versteckt. Im Lauf der Jahre bemüht sich Arendt, das Denken Heideggers in den Vereinigten Staaten zu verteidigen und bekannt zu machen. Sie widersteht den gegen ihn gerichteten Angriffen und entwickelt ihr eigenes Werk in enger Beziehung zu dem ihres Lehrers: »…es […] schuldet Dir in jeder Hinsicht so ziemlich alles«, schreibt sie ihm anläßlich der Vita activa34, und auf einem getrennten Blatt, das sie nicht abschickt, heißt es: »Re Vita activa: / die Widmung dieses Buches ist ausgespart. / Wie sollte ich es Dir widmen, / dem Vertrauten, / dem ich die Treue gehalten / und nicht gehalten habe, / Und beides in Liebe.«35 So wie sie zuvor die »Falle« des »Fuchses« befragte.36

      Treu und untreu: So entdecken wir sie, ihrer intellektuellen Erfahrung folgend. Als Kontrapunkt zur Einsamkeit des Daseins entwickeln die Schriften von Arendt ein Denken des Lebens und der Tat, das bescheiden scheinen mag, verglichen mit dem Ruhm des Seins in seiner Lichtung. Nichtsdestotrotz bleibt das Arendtsche Abenteuer kühn verglichen mit den Sackgassen des »professionellen Denkers« und seines »Werkes«, wenn diese wagen, sich der Pluralität der Welt zu stellen.

      Im Augenblick jedoch befinden wir uns im Jahre 1933: Das Leben der jungen Philosophin verschmilzt mit der Geschichte ihres Volkes und der Völker des zwanzigsten Jahrhunderts, ohne daß Hannah aufhört, die Existenz einer begehrenden, ihre Leidenschaften erzählenden Frau zu führen. Sie gesteht sie indirekt, wenn sie von den Leidenschaften Rahels37 berichtet. Schließlich werden sie Teil einer einzigartigen Mischung von Selbstverleugnung und Sublimierung in ihrer Meditation der conditio humana. Ihre intellektuelle Erfahrung offenbart sich schlicht als durchdachtes Leben, das heißt als durch die Arbeit, das Werk und vor allem das Handeln der Biologie entrissenes Leben, in dem jene höchste Form der menschlichen Existenz – das plurale und unvollendete Denken – gipfelt: wenn, und nur wenn es in einer vielfältigen und widersprüchlichen Welt geteilt wird. »Die Welthaftigkeit der Lebewesen bedeutet, daß kein Subjekt nicht auch Objekt ist und als solches einem anderen erscheint, das seine ›objektive‹ Wirklichkeit gewährleistet.« Und in Vom Leben des Geistes schreibt sie, daß die »Mehrzahl […] das Gesetz der Erde« sei.38

      Arendt begegnet Heinrich Blücher (1899–1970) zu Beginn des Frühlings 1936 in Paris. Man kann beim Lesen ihrer Skizze des Porträts von Leo Jogiches, des Gefährten von Rosa Luxemburg, erraten, wie sie ihn wahrnimmt: »In Rosa Luxemburgs Augen war er entschieden masculini generis, was für sie von großer Bedeutung war. […] in einer Ehe ist es nicht immer einfach, die Gedanken der einzelnen Partner auseinanderzuhalten.«39 Schwer einzuordnen, war Blücher nacheinander: Kommunist, Spartakist, verhinderter Revolutionär, Freund von Kurt Blumenfeld, zionistischer Parteigänger, ohne Jude zu sein. Die Biographen stimmen jedenfalls darin überein, ihn als einen Anarchisten zu definieren. Zweimal verheiratet, bevor er Hannah heiratet, Autodidakt mit weiter politischer und künstlerischer Bildung, wird dieser Drahtzieher – ein Beruf, den er gern in seinen Ausweisen angab – in den Vereinigten Staaten Philosophieprofessor. Blücher – »masculini generis« – vervollkommnete die politische Bildung Hannahs, indem er ihr Marx und Lenin zu lesen gab, aber vor allem erlaubte er ihr, ihr Gefühlsleben zu stabilisieren und sich ganz dem Denken zu widmen, doch stets in Kontakt mit der Welt des Lebens, wie der Briefwechsel40 der beiden Liebenden, die bald Ehegatten sein sollten, zeigt. Fand der strippenziehende Bohemien einen Gleichklang mit dem kleinen überschwenglichen Mädchen von vor dem Tod ihres Vaters? Unser Kind erzählt, daß sie zu ihrem sechsten Geburtstag ein Puppentheater bekommen hatte. Das kleine Mädchen hatte ein so kompliziertes und leidenschaftliches Schauspiel erfunden, daß es mit einem Tränenausbruch endete!

      Heinrich Blücher war überaus vielseitig und einfallsreich – eine Zeitlang war er Assistent des von Adler beeinflußten Psychoanalytikers Fritz Fränkel gewesen und rühmte sich, eine depressive Hysterikerin ohne irgendeine Interpretation geheilt zu haben: Er hatte einfach das Bett, von dem die Kranke sich angeblich nicht erheben konnte, mit Kerosin übergossen und angezündet. Ebenso wirksam gelang es Blücher, wie es scheint, die berühmten morgendlichen Melancholien von Hannah zu heilen, die einst ihre Mutter in Angst versetzten: Er achtete überhaupt nicht auf sie, sondern schlief skrupellos weiter. Die Krankheit als Erpressung der Mutter: Blücher machte sich nichts vor. Wie man weiß, hat Hannah Arendt indessen die Psychoanalyse zeit ihres Lebens verachtet …

      Arendt gelingt es, nach fünf Wochen aus dem Lager von Gurs zu fliehen, in dem sie gemeinsam mit den »Ausländern deutscher Herkunft« interniert war, worauf sie Blücher 1940 in zweiter Ehe heiratet. Der fehlende Mann, dessen »Schatten« die Kindheit und Jugend der jungen Hannah verdunkelte, ist endlich wiedergefunden. Fremd, Fremder: СКАЧАТЬ