Das weibliche Genie. Hannah Arendt. Julia Kristeva
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Название: Das weibliche Genie. Hannah Arendt

Автор: Julia Kristeva

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783863935665

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СКАЧАТЬ bedingen scheint (wir werden auf den Sinn dieser »Bedingung« zurückkommen, wie sie in der Vita activa definiert ist), daß sie – Leben und Werk ineinander verzahnt – eine »Objektivation« oder ein »Knotenpunkt« des »Lebens« wird.

      Hannah Arendt, 1906 in Linden bei Hannover geboren, ist die Tochter von Paul Arendt und Martha Cohn. Die Arendts sind eine »alte Königsberger Familie«, wie die Philosophin in ihrem Fernsehinterview von 1964 mit Günter Gauss erwähnt.11 Als reformierte Juden und Bewunderer von Hermann Vogelstein, einem der berühmtesten Führer der liberalen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, zeigen sie sich gegenüber den Zionisten kritisch, empfangen jedoch Kurt Blumenfeld, den künftigen Vorsitzenden der deutschen zionistischen Organisation. Er wird mit der kleinen Hannah bei ihrem Großvater Max spielen und sie in der Bejahung ihrer jüdischen Identität bestärken. Jacob Cohn, der Großvater mütterlicherseits (im heutigen Litauen geboren), machte aus dem Familienunternehmen die bedeutendste Firma für den Import russischen Tees nach Königsberg (vorher war der englische Tee marktführend). Unter den Cohns gab es viele »großzügige und sensible« Witwen, wie die Großmutter Fanny Spiero-Cohn, zweite Frau Jacobs, die sich gern slawisch kleidete und Deutsch mit russischem Akzent sprach.

      Paul Arendt arbeitete als Ingenieur mit einem in Alberta erworbenen Diplom in einer Gesellschaft für elektrische Ausrüstungen; Martha studierte Französisch und Musik während eines dreijährigen Aufenthaltes in Paris. Beide hegten Sympathien für die deutschen Sozialdemokraten und teilten die Goetheschen Ideale der deutschen Bildungselite. Die jüdische Identität war auf natürliche Weise in der Familie gegenwärtig, während die christliche Kultur durch Ada, das Kindermädchen, das sich um Hannah kümmerte, eindrang. Von Geburt ihrer Tochter an führen die Arendts ein Heft Unser Kind, das ihre Entwicklung festhält und in dem sich die scharfsinnigen Bemerkungen von Martha, der aufmerksamen Mutter, der nichts entgeht, herausheben: Als Einjährige »liebt es Hannah sehr, wenn es lebhaft um sie herum zugeht«; Mit anderthalb ist es »in der Hauptsache […] ihre Sprache die sie sehr geläufig hersagt. Versteht alles.«; mit zwei Jahren gibt es für die musikalische Mutter eine Enttäuschung, Hannah »singt nun zumeist falsch, leider!!«; aber mit drei kann sie sprechen, und zwar »nun so ziemlich alles, wenn auch für Fernstehende nicht ganz erkennbar« (schon Philosophin?). Sie ist »ausserordentlich lebhaft immer in Eile u. Bewegung, sehr zutraulich, auch zu ganz fremden Leuten«; mit sechs »lernt [sie] leicht und ist augenscheinlich begabt, rechnet ganz besonders gut.«12

      Dieses Glück währte nicht lange, es wurde schnell getrübt durch den körperlichen Verfall Paul Arendts, der an Syphilis erkrankt war. In seiner Jugend zugezogen, lange stabilisiert, verschlimmert sich die Krankheit zwei Jahre nach der Geburt seiner Tochter und erreicht 1911 eine dramatische Phase mit Verletzung, Ataxie und Paresie (eine Art Demenz). Paul Arendt muß seine Arbeit aufgeben, die Familie läßt sich in Königsberg nieder, wo er ins Krankenhaus kommt. Der Großvater Max heitert diese traurigen Stunden während der Spaziergänge mit seiner Enkelin durch seine Kunst des Erzählens auf; und wenn man später im Werk der Philosophin eine Apologie des erzählten Lebens, bios / Biographie, finden wird, dem sie das biologische und stumme Leben, zoe, entgegenstellt, wird man sich an die erzählerische Magie eines anderen Vaters erinnern, der Hannah an das Leben band, während Paul Arendt seinen unerbittlichen Verfall erlebte.

      1913: Max stirbt im März, Paul im Oktober. Martha notiert in Unser Kind, daß Hannah von diesem doppelten Ableben nicht berührt wird. »Bis sie mir gelegentlich erklärt, man müsse an traurige Dinge so wenig wie möglich denken, es hat doch keinen Sinn dadurch traurig zu werden. Und das ist so recht bezeichnend für ihre grosse Lebensfreudigkeit […] Sie nimmt das als etwas Trauriges für mich auf. Sie selbst ist unberührt davon. […] Sie ist auch bei der Beerdigung dabei u. weint, ›weil so schön gesungen wird‹…«13

      Naivität des kleinen siebenjährigen Mädchens? Oder bereits ein Leben, das sich im Denken entfaltet und weiß, daß es möglich ist, entsprechend seinem Willen zu denken: an traurige Dinge – davon ist abzuraten – oder lieber an Lieder? Wenn ich im Denken bin, fehlt mir nichts? Man kann dies in der Tat annehmen, wenn man die Reflexionen ihrer Mutter liest: »Nun denkt sie auch wieder an ihren lieben Opa u. spricht von ihm lieb u. mit warmem Ton, aber ob er ihr fehlt? Ich glaube es kaum.«14 Ist das Denken nicht die einzige Art und Weise, mit den Toten zu leben, sie nicht zu verlieren und die Trauer zu transzendieren? Wir werden die Spur dieses frühreifen Ausweichens vor dem Tod dank eines Denkens, dem nichts fehlt, im impliziten Streit Hannah Arendts mit dem »Sein-zum-Tode« Heideggers wiederfinden. Ohne sich der Tragik des Todes zu entziehen, eröffnet sie neue Perspektiven, um den gemeinsamen Raum des Erscheinens zu denken: Bindungen, Teilung, Handeln.

      Doch die Ruhe währt nur ein Jahr: Mit dem großen Krieg und der sexuellen Entwicklung des sehr jungen Mädchens beginnen die Ärgernisse. Hannah ist nicht mehr ganz so fröhlich, informiert uns Unser Kind; ihre quer wachsenden Zähne erfordern eine Zahnregulierung, unter der sie leidet; ihre schriftlichen Arbeiten sind nicht mehr so ausgezeichnet wie sonst, und selbst im Mündlichen ist sie schwächer – womit alles gesagt ist! Sehr leicht verletzbar, von launenhafter Stimmung, ist sie sogar »ungehorsam und rüpelhaft«! Das Ganze vor dem Hintergrund wiederkehrender kleiner Krankheiten: Fieber, Husten, Nasenbluten, Kopf- und Halsweh. Die Pubertät hat offensichtlich eingesetzt, und Hannah gelingt es noch nicht zu entscheiden, ob sie so robust wie … ihr Vater sein wird. »Könnte sie nicht ihrem Vater ähneln!« notiert Martha. Das wird schon kommen!

      Eine harmlose Bemerkung des kleinen achtjährigen Mädchens (wir befinden uns im Jahre 1914) verrät die männliche Identifizierung, die sich abzeichnet: »…wenn uns jetzt ein Kind geboren wird, dann kennt es auch nicht seinen Vater«15, sagt Hannah ihrer Mutter. Seltsame Worte! Hinter dem Begehren zu wissen, woher die Kinder kommen, und seine Eltern zu erkennen, um dabei von ihnen anerkannt zu werden, ist in diesen Worten Hannahs die Auseinandersetzung zwischen den beiden Frauen und ihr Begehren nach dem abwesenden Mann erkennbar – Begehren, diesen Mann zu haben, Begehren, dieser Mann zu sein. Und das Fragen nach ihrem Platz zwischen den beiden Frauen: Wenn wir ein Kind machen würden, wer wäre der Vater? Da Paul und Max tot sind, wo ist der Mann? Wer ist der Mann? Du? Ich? Ein Fremder? Existiert der Mann? Wer kann erkennen, wer kann wissen? Wer kann uns – mir – ein Kind machen? Du? Ich? Niemand? Wenn uns jetzt ein Kind geboren wird, würde es seinen Vater nicht kennen: Wer ist der Vater? Eine intensive Komplizenschaft, die den Mann »erfaßt«, taucht zwischen den beiden Frauen auf, dermaßen, daß das »Paar« Mutter / Tochter 1927 den fünfundzwanzigsten Jahrestag des … Paares Martha / Paul feiert. Hannah ist zu diesem Zeitpunkt einundzwanzig Jahre alt und arbeitet an ihrer Dissertation in Heidelberg.

      1920 heiratet Martha Martin Beerwald, einen Geschäftsmann, Witwer und Vater zweier Töchter, Clara und Eva. Die Beziehung Hannahs zu dieser Schwiegerfamilie und insbesondere zu ihrem Schwiegervater ist, wie man sich vorstellen kann, stürmisch. Sie entzieht sich durch eine ausgesprochene Neigung zu »wilderen Eskapaden«16: jugendliche Version des Lebens, wo Begehren und Freundschaft sich vermengen? Eine glühende Freundschaft verbindet sie mit Anne Mendelssohn, Nachfahrin des Komponisten Felix Mendelssohn (Enkel von Moses Mendelssohn, Haupt der gesellschaftlichen und kulturellen Emanzipation der Juden in der Zeit der Aufklärung) und Freundin von Ernst Grumbach. Fünf Jahre älter als sie, hört dieser junge Mann die Vorlesungen von Heidegger und überträgt auf Hannah seine Begeisterung für den glänzenden Marburger Professor. Anne ist es, die einige Jahre später ihrer Freundin die seltenen Ausgaben der Schriften von Rahel Varnhagen schenkt, deren »Leben« Hannah Arendt schreiben wird.

      Mittlerweile sind die zahlreichen Freunde von der intellektuellen Lebhaftigkeit und der Gelehrsamkeit Hannahs beeindruckt. Doch gerät sie in Streit mit einem Lehrer ihrer »Luisenschule« und wird von dort verwiesen! Wie immer ergreift die Mutter ihre Partei, die unruhige Schülerin wird das Abitur als freie Kandidatin ablegen, was ihr 1924 (ein Jahr vor ihrer Klasse) so glänzend gelingt, daß sie die Goldmünzen mit dem Abbild des Herzogs Albrechts I. von Preußen erhält.17 Nachdem Anne nach Allenstein gegangen ist, wird Hannah die Freundin von Ernst Grumbach: Dies ist Anlaß zu heftigem Klatsch, СКАЧАТЬ