Das weibliche Genie. Hannah Arendt. Julia Kristeva
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Название: Das weibliche Genie. Hannah Arendt

Автор: Julia Kristeva

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783863935665

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СКАЧАТЬ ihrem »Außerhalb-aller-gesellschaftlichen-Bindungen-Stehen« sowie »völliger Vorurteilslosigkeit«.18 Wir werden auf den Arendtschen Gedanken eines »Akosmismus« des jüdischen Volkes zurückkommen, der frei ist von Territorien und politischen Begriffen und als Kontrapunkt zu diesem Mangel »eine besondere Wärme« entwickelt, die allerdings nach der Gründung des Staates Israel vom Verschwinden bedroht ist.

      In Berlin stößt die sich leidenschaftlich für Kierkegaard interessierende Theologiestudentin schnell auf eine Aporie: »Ich hatte dann nur Bedenken, wie man das denn nun macht, wenn man Jüdin ist. Und wie das vor sich geht?«19 Sie entscheidet sich, alles Interessante zu hören, was in den Universitäten des Landes an Philosophie gelehrt wird: daher Marburg und Heidegger (1889–1976). »Das Gerücht sagte es ganz einfach: Das Denken ist wieder lebendig [sic] geworden, die totgeglaubten Bildungsschätze der Vergangenheit werden zum Sprechen gebracht, wobei sich herausstellt, daß sie ganz andere Dinge vorbringen, als man mißtrauisch vermutet hat. Es gibt einen Lehrer; man kann vielleicht das Denken lernen […]; die Vorstellung von einem leidenschaftlichen Denken, in dem Denken und Lebendigsein eins [sic] werden«, befremdet einigermaßen. »Dies Denken, das als Leidenschaft aus dem einfachen Faktum des In-die-Welt-geboren-seins aufsteigt und nun ›dem Sinn nachdenkt, der in allem waltet, was ist‹, kann so wenig einen Endzweck […] haben wie das Leben selbst.«20

      Begeistert und sprudelnd vor Lebendigkeit verliebt sich Hannah, »die Grüne« genannt – sie trug oft ein schönes Kleid dieser Farbe –, in den Professor, der seinerseits leidenschaftlich angezogen wird durch ihre Schönheit und die Tiefe ihres Denkens. Die geheime Idylle beginnt im Februar 1924; Hannah ist achtzehn Jahre alt, Martin Heidegger fünfunddreißig. Der vor kurzem publizierte Briefwechsel von Hannah Arendt und Heidegger ergänzt das polemische Buch von Elzbieta Ettinger und ermöglicht es, die Kraft dieser Verbindung nachzuvollziehen, der nur noch ihre eigene Unmöglichkeit gleichkommt.21 Heidegger, mit Elfriede verheiratet – einer dynamischen Frau mit nationalsozialistischer Gesinnung und dabei einigermaßen »feministisch« – und Vater von zwei Söhnen, hat keineswegs die Absicht, sich scheiden zu lassen. Dennoch beseelt eine intensive Leidenschaft den Professor. So kann man folgenden Absatz in einem Brief aus der Hand Heideggers vom 13. Mai 1925 lesen:

      »Diesmal versagt sich mir alle Rede – und ich kann nur weinen, weinen – und das Warum hat auch keine Antwort – und versinkt – vergeblich wartend – im Danken und Glauben. […] Und Deine große Stunde – wo Du eine Heilige wirst – wo Du ganz offenbar wirst. Die Linien Deines Gesichtes sich straffen – gedrängt von der inneren Kraft einer – Sühne, die Dein Leben trägt. Kind – daß Du das kannst – und darin ehrfürchtig und groß geworden bist. Der Ehrfurcht erschließt sich das Leben – und gibt ihm Größe.«22

      Codiertes Ritual der heimlichen Treffen; Entfernung Hannahs nach Heidelberg, wo sie – aus offensichtlichen gesellschaftlichen und deontologischen Gründen – unter der Leitung von Karl Jaspers, Korrespondent und Freund Heideggers, an ihrer Doktorarbeit schreibt; die Komplexität dieser Beziehung verzehrt die Studentin. Verletzt, jedoch stolz, verteidigt sich die junge Muse, so gut sie kann. Sie schützt sich hinter einem Schild von Freunden und Liebhabern: Hans Jonas, Zionist; Erwin Löwensohn, Essayist und expressionistischer Schriftsteller; Benno von Wiese, der Nationalsozialist wird und nach dem Krieg als herausragender Professor deutsche Literatur an der Bonner Universität lehrt; und Günter Stern, den sie 1929 heiratet. Günter Stern ist ebenfalls Schüler Heideggers und arbeitet an einer Dissertation über die Philosophie der Musik, die ihm die Kritik Theodor Adornos einträgt, bevor das Vordringen des Nationalsozialismus sich für seine Universitätslaufbahn als fatal erweisen wird.

      Heidegger tut so, als ob er nicht versteht, daß diese Verteidigungsstrategie ein glühender Appell an seine ausschließliche Liebe ist, die ihr zu gewähren für ihn nicht in Frage kommt. Die künftige Philosophin gibt sich daraufhin jener Melancholie hin, die sie bereits in »Traum«, »Müdigkeit« und »Adieu« (1923–1924) ausgedrückt hatte, Gedichte, die auf ihre Beziehung mit Ernst Grumbach anspielten. 1925 schickt Hannah Heidegger ein Selbstporträt in Die Schatten, dem im folgenden Jahr weitere Gedichte folgen. In der dritten Person und in Heideggers Vokabular verfaßt, versuchen diese Verse, ihre Angst zu zähmen, ihre Gefühle der Fremdheit und Entfremdung in der Welt ebenso wie das bittere Bewußtsein ihrer Andersartigkeit. Eine grausame Angst, eine schreckliche Phobie – »In diesem Zustand überfiel die Hingestreckte die Angst vor der Wirklichkeit, diese sinn- und gegenstandslose, leere Angst, vor deren blindem Blick alles Nichts wird, die Wahnsinn, Freudlosigkeit, Bedrängung, Vernichtung bedeutet […] mit fast sachlich abwägender Erwartung irgendeiner Roheit […] es sei sie versuchte in gefügiger Freundlichkeit sich anzuschmiegen, blass und farblos und mit der versteckten Unheimlichkeit eines über den Weg huschenden Schattens« –, kaum moduliert von der Eitelkeit der Liebenden, die befürchtet, wegen ihrer erotischen Geschichte könnten die anderen denken, daß sie »hässlicher und gewöhnlicher wurde bis zur Stumpfheit und Zuchtlosigkeit«.23

      Die Niederschrift der Vita der Rahel Varnhagen kommt gerade recht: Indem sie sich in dieser Biographie entwirft, indem sie das Leben einer anderen enttäuschten Liebhaberin erzählt, einer assimilierten Jüdin, die schließlich zur »bewußten Paria« wird, und indem sie an ihre Ursprünge anknüpft, scheint Hannah Arendt einen kathartischen Akt zu vollziehen, wenn nicht gar einen selbstanalytischen. Parallel und dank des Einflusses von Kurt Blumenfeld und seiner zionistischen Freunde wird sie sich des Ernstes der politischen Situation in Deutschland bewußt und schließt sich schrittweise dem Lager des Widerstandes an: In Berlin beteiligt sie sich an der Rettung von Regimegegnern, hilft im Frühjahr 1933 Kommunisten, übernimmt einen Auftrag der Deutschen Zionistischen Vereinigung, wird von der Polizei verhaftet und kann – wie durch ein Wunder – fliehen. Im August 1933 verläßt sie schließlich Deutschland, um mit ihrer Mutter nach Frankreich zu gehen.

      In diesem Frühjahr 1933 löst Martin Heidegger als Rektor der Universität Freiburg seinen sozialdemokratischen Vorgänger ab, der entlassen wird, weil er sich geweigert hatte, jene Mitteilung zu plakatieren, die den Juden die Lehre verbietet. Heidegger glaubt, die Kultur zu retten, wenn er diese »Rettung des Seins«, für die ursprünglich allein seine philosophische Meditation zuständig war, auf das nationalsozialistische Projekt und den Kult des Volkes überträgt.

      Hannah hatte sich 1929 verheiratet, ihre Beziehungen zu Martin brachen 1930 ab.24 »Daß Du jetzt nicht kommst – ich glaube, ich habe verstanden«, hatte sie ihm im April 1928 geschrieben. »Der Weg, den Du mir zeigtest, ist länger und schwerer als ich dachte. Er verlangt ein ganzes Leben.« Hannah erklärt sich bereit, diesen Weg der Einsamkeit zu gehen, da er ihr »die einzige Lebensmöglichkeit« zu sein scheint. Für sie heißt Leben Heidegger lieben: »Ich hätte mein Recht zum Leben verloren, wenn ich meine Liebe zu Dir verlieren würde.« Ohne das gewöhnliche Deine Hannah beendet sie ihren Brief wie folgt: »Und wenn Gott es gibt / Werd ich Dich besser lieben nach dem Tod.«25

      Hannah Arendt wird dieses Versprechen halten, dessen Sinn sich in und mit der Zeit wandeln wird: Zunächst engagiert sie sich im politischen Kampf und in einer Reflexion, die keine Gemeinsamkeiten mit der philosophischen Arbeit Heideggers aufweist; im letzten Teil ihres Lebens schließt sie sich seinen grundsätzlichen Überlegungen in wachsamer, vielleicht auch ironischer, aber ganz sicher divergierender Nähe an, was sie dazu führt, eine echte Dekonstruktion des Denkens des Seins durchzuführen. Man könnte sich fragen, ob nicht eine gewisse weibliche Abhängigkeit, im Sinne einer unterwürfigen Passivität, diesen Weg heimlich begleitet. Tatsächlich distanziert sich Arendt nach dem Krieg deutlich von Heidegger26, den sie für die Entlassung Husserls an der Universität Freiburg verantwortlich macht – ein Irrtum, den Jaspers im Briefwechsel korrigiert.27 Sie legt Wert darauf, diesem mitzuteilen, daß sie ohne Einschränkung die Pathologie der Person Heidegger und sein Desinteresse an ihrem Werk, dem Werk einer Frau, verurteilt: »Mir hat immer geschienen, daß Heidegger in dem Moment, wo er seinen Namen unter dies Schriftstück zu setzen hatte, hätte abdanken müssen. Für wie töricht man ihn auch halten mag, diese Geschichte konnte er verstehen. […] СКАЧАТЬ