Das Haus Lazarus. Michael Marrak
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Название: Das Haus Lazarus

Автор: Michael Marrak

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Memoranda

isbn: 9783948616458

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СКАЧАТЬ ohne zu zögern anschickte hinabzusteigen.

      »Kommen Sie«, klang seine Stimme dumpf herauf, als das Dunkel ihn verschluckt hatte.

      Meine Befürchtung, dass der Weg in einer historischen Klärgrube endete, ließ mich zögern. Schließlich zog ich mein Smartphone aus der Manteltasche und folgte dem Antiquar im Licht des Displays, wobei ich darauf achtete, den feucht glänzenden Wänden nicht zu nahe zu kommen.

      Die Treppe musste sich im Verborgenen durch das Parterre des Hauses bis ins Untergeschoss winden, wo sie in einem kurzen gemauerten Korridor endete. Eine rustikale Flügeltür versperrte nach wenigen Metern den Weg. Der herrschende Gestank ließ mich befürchten, dass ein einziger Funke zu einer Explosion führen könnte, die den gesamten Häuserblock in Schutt und Asche legte.

      »Die menschliche Geburt ist ein Prozess aus Blut, Schleim, Schmerz und dem Odeur eures tiefsten fleischlichen Innern«, sagte van de Dageraad, dem der Gestank offensichtlich nicht im Geringsten auf die Sinne schlug. »Jedem Fötus haftet der Duft des Schoßes an, aus dem er geboren wird – und jeder zutiefst verwerflichen Ausgeburt menschlicher Phantasie der Geruch von Sünde, Laster und Niederträchtigkeit in ihrer reinsten, archaischsten Form.«

      Dann stemmte er sich gegen die Türflügel und drückte sie auf. Die warme Dunstwolke, die in den Korridor quoll, war apokalyptisch. Hinter dem Portal herrschte jedoch keinesfalls Finsternis, und auch meine Befürchtung, eine offene Flamme könnte jederzeit ein Gemisch aus Methan und Faulgasen entzünden, erwies sich als unbegründet.

      Jenseits der Pforte öffnete sich ein gut vier Stockwerke hoher, fast kreisrunder Felsenkessel, der aussah wie das Innere einer Festungsrotunde. Er maß etwa zwanzig Meter im Durchmesser und reichte unterhalb der balkonartigen Konstruktion, auf der wir standen, weitere zehn bis zwölf Meter in die Tiefe bis zu einem schlammigen Tümpel, der zweifellos die Quelle des abscheulichen Gestanks war. Überwältigt vom Fäulnisgeruch und dem Anblick des Beckens wähnte ich mich in einer altertümlichen Gerberei, deren Betreiber nach Verwesung stinkende Tierhäute noch in einer Lohbrühe aus altem Urin, Kot und Alaun bleichten. Entlang der Kesselwand führte ein aus Planken, Bohlen und Stützpfeilern gefertigtes Gerüst in einer weiten Spirale hinab zu einem den Pfuhl umschließenden Rundsteg. Er war so schwarz, als hätte ein Feuer das Holz verkohlt. Vom Ufer aus ragten vier weitere Stege in die Mitte des Tümpels, wo ein zäher, dampfender Sud aus der Tiefe emporquoll.

      An der gegenüberliegenden Seite der Halle war ein großes, geschlossenes Metalltor in die Wand eingelassen. Es glich einem Schleusenportal und schien mit einem Mechanismus aus Handwinden und massiven Zahnrädern auf und ab bewegt werden zu können. Obwohl ich es zum ersten Mal sah, war es mehr als nur eine Vermutung, dass es jene tunnelartige Passage verschloss, welche den Grachthof mit dem einst hinter der Stadtmauer gelegenen Diezekanal verband.

      Fraglos blickte ich auf jenen Ort hinab, an dem sich Aleyd van de Mervennes Schicksal erfüllt hatte. Aber nichts war mehr so, wie es in ihren Briefen geschrieben stand. Das Zentrum des einstigen Grachthofs war im Laufe der Jahrhunderte in Form eines primitiven Kolosseums ummauert und von den benachbarten Gebäuden getrennt worden. Obwohl ich nur schätzen konnte, wie tief die Wendeltreppe in das Fundament des Hauses hinabgeführt hatte, musste der dampfende Pfuhl am Grund der Rotunde weit unterhalb des heutigen Wasserspiegels liegen. Dort herrschte im Schein zahlloser Pechfackeln ein seltsames Treiben, das sich am treffendsten mit ›phlegmatischer Betriebsamkeit‹ beschreiben ließ. Auf den Stegen verteilt standen mehr als ein Dutzend vermummter, gedrungener Gestalten, die ihre Gesichter mit Lumpen, Tüchern und altertümlichen Fliegerbrillen vor den Ausdünstungen zu schützen versuchten. Ohne van de Dageraad oder mich eines Blickes zu würdigen, rührten und stocherten sie mit langen Stangen in der sämigen Brühe. Andere waren unentwegt damit beschäftigt, die erstarrte schwarze Kruste vom Holz der Stege zu kratzen und in den Tümpel zurückzuwerfen. Ab und an glaubte ich für einen Augenblick Dinge aus der wallenden Masse ragen zu sehen, die aussahen wie Brust- oder Rückenflossen, warzenbedeckte Buckel oder gar schwarze, rudimentäre Hände mit drei oder vier plumpen, stummelartigen Fingern.

      »Was um Gottes willen ist das?«, stieß ich angewidert hervor, als ich die Sprache wiedergefunden hatte.

      Van de Dageraad schnaubte abfällig durch die Nase. »Ginge es nach Gott, würde dieser Ort gar nicht mehr existieren …« Er trat ans Geländer und breitete die Arme aus. »Das, Herr Simmonis, ist alles, was von der Pracht Edens übrig geblieben ist.«

      »Eden?«, wiederholte ich mit schwerer Zunge. Die Dämpfe, die den riesigen Kessel schwängerten, wirkten auf fast schon widerwärtige Art berauschend und begannen meinen Verstand zu vernebeln.

      »Nicht gerade eine Augenweide, ich weiß.« Die Mundwinkel des Antiquars verzogen sich zu einem gehässig-spöttischen Lächeln. »Jeder Paradiesgarten mag durch göttliche Hand erblühen und vergehen. Was ihr Idyll letztlich überdauert, sind ihre Malebolgen, die Sündenpfuhle menschlichen Sinnens und Strebens.«

      »Wollen Sie mir weismachen, hier habe der Garten Eden gelegen?« Ich bemühte mich gar nicht erst, meiner Stimme einen Ausdruck zu verleihen, als würde ich van de Dageraad ernst nehmen. »In Brabant?«

      »Nicht der Garten, Herr Simmonis. Ein Garten. Es existierte nicht nur ein einziges Paradies. Und keinesfalls auch nur zu einer einzigen Zeit. Das hier ist nicht die erste Menschheit. Und es wird beileibe nicht die letzte bleiben. In den Hunderten von Millionen Jahren, in denen Leben auf diesem Planeten existiert, gab es viele Edengärten. Jeder von ihnen hatte seinen lauteren Lebensquell, seinen leuchtenden Baum der Erkenntnis, einen Hain schamloser Lebensfreude, den Nimbus der Harmonie allen Seins – und seinen Uterus der Sünde, an dessen Ufern stets Zwielicht herrscht. Die Malebolgen mögen vielleicht nicht der Anfang des göttlichen Plans gewesen sein, aber sie sind stets das Ende.«

      »Und welche Rolle spielen Sie in diesem sogenannten ›Plan‹?«

      »Ich führe Buch über jede Ausgeburt, die dem Zwielicht entsteigt.« Van de Dageraad wandte sich zu mir um. »Ich gebe ihr den Namen und die Form und weise ihr den Weg zu dem menschlichen Ungeist, der sie ersonnen hat.« Er deutete in die Tiefe. »Sehen Sie!«

      Ich blickte hinab auf den Schlammtümpel. Von den Stangen der Vermummten ans Ufer dirigiert, begann ein amorphes Ding aus dem Wasser zu kriechen, das aussah wie eine riesige, mit rudimentären Gliedmaßen ausgestattete Molluske. Und es war beileibe nicht das erste seiner Art. Unter dem Dunstschleier kaum von den rundgeschliffenen, pechbedeckten Uferfelsen zu unterscheiden, entdeckte ich vier oder fünf weitere dieser Kreaturen, welche wie Föten zusammengerollt reglos am Ufer lagen.

      Entgeistert musterte ich den Antiquar. »Sie sind der Bylar aus Aleyds Briefen …«

      Mein Gegenüber deutete eine Verbeugung an. »Bel Arion, um korrekt zu sein.«

      »Aber – das war vor fünfhundert Jahren!«

      »Fünfhundertfünfzehn.« Van de Dageraad hob lauernd seinen Pinguinkopf. »Ich erlaube Ihnen dieses eine Mal, meinen Namen laut auszusprechen, Herr Simmonis. An diesem unheiligen Ort und zu dieser unheiligen Stunde. Tun Sie es ein zweites Mal, egal wie, wo, wem gegenüber oder wann, werde ich Ihre Zunge kürzen. Tun Sie es ein weiteres Mal, werde ich dafür sorgen, dass Ihnen wie dem bedauernswerten Melchior die Augen in den Höhlen verfaulen oder jede noch so köstliche Speise, die Sie zu sich nehmen, nach warmem menschlichem Kot und jeder Trank nach Urin schmecken wird.«

      Er erwiderte meinen Blick, wobei er zu ergründen schien, ob ich ihn beim Wort nahm oder alles für einen schlechten Scherz hielt. »Nichts für ungut«, fügte er schließlich hinzu. »Morgen schon werden Sie kaum noch einen Gedanken daran verschwenden. Kommen Sie, ich möchte Sie einer alten Freundin vorstellen.« Van de Dageraad ging an mir vorbei und betrat den abwärtsführenden Steg. »Können Sie zufällig mit Pinsel СКАЧАТЬ