Das Haus Lazarus. Michael Marrak
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Название: Das Haus Lazarus

Автор: Michael Marrak

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Memoranda

isbn: 9783948616458

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СКАЧАТЬ ließen sich auch nicht aus der Nacht herabsinken.« Ich fühlte die Pinselspitze an mir herabgleiten und erbebte, als ich die kalte Farbe zwischen meinen Schenkeln spürte. »Sie tauchen aus der Tiefe empor, und der Bylar wacht in ihrer Mitte.« Der Pinsel wanderte in einer Wellenlinie wieder hinauf bis zu meinem Hals. »Er gibt ihnen die Form, nennt ihnen ihre Namen und zählt ihre Zahl.«

      Auf meine mit zitternder Stimme geflüsterte Frage, was denn ein Bylar sei, lächelte er und sagte: »Der Quellherr der Sünde und dunklen Verlockung …«

      16. November 1503

      Käm’ ich doch nur dahinter, was Jeromes ruhelose Seele in den finsteren Stunden umtreibt und ihn dort draußen auf der Dieze suchen lässt. Inzwischen bin ich so weit gegangen, dem Nachtwächter einen Goldgulden zuzustecken, mit der Bitte, ihm heimlich entlang der Kanäle nachzustellen, um herauszufinden, wohin seine Bootsfahrten ihn führen. Und bitte, bitte, bitte, meine liebe Elya, lass es nicht die Hurennester im Fischerviertel sein. Ich würde diese Schmach nicht verkraften.

      19. November 1503

      Ich bin inzwischen wirklich in größter Sorge. Heute Morgen fand ich Jerome in voller Montur auf dem Kanapee im Gesellschaftsraum liegend. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine feuchtklamme, nach Brackwasser stinkende Kleidung zu wechseln. Dabei muss er bereits Stunden zuvor zurückgekehrt sein und im Atelier gearbeitet haben, denn rings um den Schemel war der Boden noch feucht vom herabgetropften Wasser, und im Tümpel auf der Tafel fand sich eine neue Figur. Zuerst hatte ich sie gar nicht wahrgenommen. Erst als ich die Fenster öffnete, um den Abwassergestank auszutreiben, war sie mir aufgefallen. Verwundert war ich daraufhin stehen geblieben und hatte sie mir angeschaut.

      Sie wirkt auf den Betrachter, als hätte Jerome den ursprünglichen an dieser Stelle befindlichen Kopf eines mannsgroßen schwarzen Fisches mit dem Oberkörper einer mönchartigen, in die Lektüre eines Buches vertieften Gestalt übermalt. Dabei beschreibt ihr Körper unterhalb der Wasseroberfläche einen unnatürlichen Knick, der das eine nicht zum anderen passen lassen will. Aber was mag es sein, das da aus ihrer Kapuze ragt? Ein Schnabel? Eine Pestmaske?

      21. November 1503

      Jerome ist seit zwei Tagen krank. Eine schlimme Erkältung hat ihn befallen, zweifelsohne die Folge seiner Eselei, des Nachts mit bis auf die Haut durchnässter Kleidung stundenlang in der Stadt umherzuirren, statt heimzukehren und mich ihm ein warmes Bad bereiten zu lassen. Nun quälen ihn Fieber, Schüttelfrost und ein heftiger Husten, der sich heiser aus seinen Lungen Bahn bricht und ihn weder Schlaf noch Erholung finden lässt.

      Trotz der Sorge um sein Wohlbefinden bin ich erleichtert über seine Bettlägerigkeit, denn so kann ich ihn zu Hause und nicht rastlos in der Stadt umherwandeln wissen.

      »Du kannst den Bylar nicht sehen, Ally, aber er sieht dich«, murmelte er in einem dunklen Moment aus Fieberdelir und der Wirkung der Arznei, die der Medicus ihm verordnet hat. »Versprich mir, dass er deinen Namen niemals in sein Buch schreibt und dir einen Pfuhlgeist schickt.«

      23. November 1503

      Der Nachtwächter, der mir von Jeromes Eskapaden berichtet hatte, ist für einen halben Gulden bereit, mich den Kanal im Fischerviertel hinaufzufahren. Ganz wohl ist mir nicht dabei, jenseits des Jorishofs einige der Atrien und Grachtenhöfe zu erkunden, deren Wasser nach Einbruch der Dunkelheit selbst vom Gesindel gemieden wird.

      Ich habe ein schlechtes Gewissen dabei, Jeromes Zustand auszunutzen, und daher die Haushälterin gebeten, sich um ihn zu kümmern, aber ihn auf keinen Fall im Atelier arbeiten oder gar das Haus verlassen zu lassen.

      24. November 1503

      Liebe Elya, ich bin wohlbehalten aus dem Fischerviertel zurück, obgleich meine Sinne unter den dort herrschenden Verhältnissen reichlich gelitten hatten. Wo der Nachtwächter seinen Worten zufolge Jerome des Nachts aus den Augen verloren hatte, liegt verborgen hinter einem Abschnitt der Stadtmauer ein heruntergekommener, von Ruinen umgebener Grachthof, in dessen Nähe mir schauderte. Mit dem Kanal verbunden ist das gut zwanzig Meter im Karree messende Areal durch einen unter der Mauer und den angrenzenden Häusern verlaufenden Tunnel, gerade einmal breit genug, um ihn mit einem Kahn zu durchfahren. Im Brackwasser dahinter treiben Tierkadaver, deren Gestank einem den Atem verschlägt.

      Während ich mich angewidert in dem Geviert umsah, kam es mir vor, als hätten Fäulnis und Verwesung sogar das Fundament der Häuser befallen, um sich an den Fassaden emporzufressen. Vom Wasser führen schmale, geländerlose Stiegen hinauf zu Türen, die seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden sein dürften. Die Läden aller Fenster von den Hochparterres bis hinauf unter die Dächer sind geschlossen, leere Fensterhöhlen mit Brettern und Latten vernagelt.

      Nach meinem Besuch dieser Kloake bin ich sicher, dort die gleiche Fäulnis gerochen zu haben, wie sie jüngst Jeromes Kleidung angehaftet hatte. Was um alles in der Welt hatte er zu vorgerückter Stunde dort verloren gehabt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas mit der Bruderschaft zu tun hat. Der Orden würde sich nie und nimmer dazu herablassen, sich an diesem unwürdigen Ort zu treffen. Was also geschieht dort nach Einbruch der Dunkelheit, das Jerome verleitete, immer wieder diesen schauderhaften Pfuhl aufzusuchen? Wonach sucht er – oder was hat er gefunden, das ihn Nacht für Nacht zu sich lockt?

      27. November 1503

      Ich habe mich entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, solange Jerome noch das Bett hüten muss – und ich werde es allein tun. Heute Nacht. Schelte mich eine Närrin, Elya, doch sorge dich nicht. Ich weiß auf mich aufzupassen.

      28. November 1503

      Liebe Elya, ich bin wie durch ein Wunder wohlauf, aber mein Glaube und mein Weltbild sind in ihren Grundfesten erschüttert. Ich kann die Feder nicht halten, ohne dass meine Finger zittern. Vielleicht hätte ich nach dem Vorfall in der Passage umkehren sollen. Dann würde ich jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, im Innern sicherlich nicht noch immer vor Grausen beben.

      Die nächtliche Fahrt auf dem Kanal war ruhig und ohne Aufsehen verlaufen, bis ich den Eingang des Tunnels passiert hatte. Da ich im Inneren darauf achtete, mit dem Stakholz nicht an die Decke zu stoßen, war mein Blick nach hinten gerichtet, bis aus Richtung des Grachthofes unvermittelt ein Rauschen erklang. Mit Schrecken erkannte ich ein dunkles Etwas, das unter Wasser auf mich zuschoss und dabei eine Stoßwelle vor sich hertrieb. Ich vermochte es gerade noch, mich mit einer freien Hand an die Bootswand zu klammern, ehe es unter dem Kahn hindurchglitt. Mit Wucht hob es ihn an, sodass ich gezwungen war, mich zu ducken, um nicht mit dem Kopf gegen die Decke des Tunnels zu stoßen. Ich vernahm unter dem Rumpf ein kurzes, lautes Schaben, dann war dieses Ding unter dem Kahn hindurchgetaucht. Dabei zog es eine Spur aus Blasen hinter sich her, welche die ohnehin übel riechende Luft im Tunnel nach dem Platzen mit einem abscheulichen Gestank schwängerten.

      Als mein Schreck sich so weit gelegt hatte, dass ich das Stakholz wieder mit fester Hand zu führen vermochte, drang ich nach kurzem Zögern weiter bis in den Grachthof vor. Heute weiß ich, dass ich hätte kehrtmachen sollen, statt verbissen an meinem Vorhaben festzuhalten. Aber mein verhängnisvollster Fehler in dieser Nacht war nicht der Eigensinnigkeit oder gar der Dummheit geschuldet, sondern der Unwissenheit. So erreichte ich zwar wohlbehalten jene nahe der Tunnelmündung gelegene, in einer kleinen Nische des Hofs versteckte Treppe, die ich mir für mein Vorhaben ausgesucht hatte. Doch wurde mir eine Begebenheit zum Verhängnis, die mir bei meinem ersten Besuch nicht aufgefallen war: Das Wasser des Grachthofs befand sich in unmerklichem, aber beständigem Fluss, fast so, als würde es aus der Tiefe von einer Quelle gespeist. Sie war zu schwach, um die Oberfläche in Wallung zu versetzen, aber ausreichend, um für eine sanft zirkulierende Strömung zu sorgen. Ein Born, bei dem es sich angesichts des herrschenden Gestanks jedoch nie und nimmer um einen natürlichen Zustrom handeln konnte.

      So СКАЧАТЬ