Das Haus Lazarus. Michael Marrak
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Название: Das Haus Lazarus

Автор: Michael Marrak

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Memoranda

isbn: 9783948616458

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СКАЧАТЬ durch die Flure krochen und alles absorbierten, was unter ihre Leiber geriet. Das Ungeziefer vermehrte sich jedoch ebenso schnell, wie es dezimiert wurde. Alles war erfüllt vom Knistern, Knattern und Brummen seiner Beine und Flügel.

      Die Buhltürme sind nicht gänzlich von Mauern durchspannt oder gar massiv. Ihr Kern ist hohl und bildet einen breiten Schacht, der vom Dach bis tief hinab ins Fundament führt. Den Raum, in dem früher das Tilgerpendel schwang, haben nun die Insekten für sich eingenommen. Garstige Biester aller Couleur, die im Verborgenen lauern oder bei der Jagd tollkühn auf und ab schießen. Nachtschwarze Kreaturen, die ihre Beute mit dornbesetzten Klauen im Flug ergreifen, um sie auszusaugen, bei lebendigem Leib aufzufressen oder ihre Eier in sie zu pumpen, sie in Kokons einzuspinnen oder einfach nur in Fetzen zu reißen.

      Der Korridor, über den ich also dereinst schlich, mündete auf die unterste Galerie des zentralen Treppenhauses, wo schwere Bronzelüster wie erstarrte Klauen von der Decke hingen und kostbare Gemälde und Gobelins an den Wänden verrotteten. Auf dem Boden verstreut lagen die Überreste menschlicher Gebeine: Hände, Wirbelsäulen, Thoraxe, Schädel – doch kein einziger Knochen eines Regenten.

      Ob es sterbliche Überreste aus Zeiten der Revolution waren oder in den Treppenschacht geworfene Orgienabfälle, konnte ich nicht sagen. Für Kriegsopfer wirkten sie zu frisch. Aber vielleicht hatten das herrschende Dämmerlicht und die Flamme meiner Öllampe mir auch einen Streich gespielt.

      O ja, die Regenten tun es, und das nicht selten mit Genuss. Auch dieses Gerücht ist wahr. Habt ihr schon mal vom Bankett der neun Pforten gehört? Kennt ihr die Entweihung Abbadons oder das Fest Benebelial? Wie unsereins früher einen Hammel oder einen Hasen geschlachtet hat, so schlachten die Schatten heute uns.

      Nein, Kinder, lauft nicht weg! Bleibt unter den Ruinendächern! Zeigt den Häschern in den Wolken keine Blöße. Ich vermag euch nicht alle zu schützen. Bitte kommt zurück. Alles ist gut, glaubt mir. Die Türme sind fern.

      Kommt näher. Näher!

      So ist es gut …

      Verzeiht, ich wollte euch nicht ängstigen. Aber ich habe vor dem Lumenschrein geschworen, die Wahrheit zu sagen, so bitter und grausam sie auch sein mag.

      Ich habe es geschworen!

      Ja, ihr versteht es. Tröstet jene unter euch, die es noch nicht vermögen. Nehmt sie in eure Mitte. Steht einander bei und lauscht um euer Überleben willen meinen Worten – denn die Hoheit der Schatten beruht nicht auf Hexerei. Lasst mich erzählen, wie ich zu meinen Flügeln kam, denn meine Zeit ist knapp bemessen.

      Von Schauder geschüttelt ob des Gewimmels und des Anblicks, der sich mir dereinst auf der untersten Galerie bot, beeilte ich mich, das Parterre des Buhlturms unter mir zu lassen. Je höher ich stieg, desto weniger Unrat und Verfall umgab mich. Stockwerk für Stockwerk ging die Veränderung vonstatten. Selbst mit dem Ungeziefer aus der Schattenwelt vollzog sich ein Wandel. Hatte es sich in der Tiefe noch gänzlich schwarz oder fahl gezeigt, mischten sich auf Leibern und Flügeln nun Farben und Muster hinzu. In den obersten Etagen fand ich mich schließlich in einem derart harmonischen Beieinander fremdartiger Geschöpfe wieder, dass es mir schwerfiel zu glauben, jene Welt, aus der die Regenten in die unsere eingefallen waren, könne keine andere sein als die Hölle.

      Weit mehr als die scheinbar aus einem Paradiesgarten entfleuchten Insekten erregte die Galerie selbst meine Aufmerksamkeit, denn einer der acht sternförmig in die Außenbereiche des Turms führenden Korridore war vollständig verrammelt.

      Wenige Schritte vor der Barriere ließ mich ein leises Geräusch innehalten, das sich vom Huschen, Schwirren und Trippeln um mich herum abhob. Als ich nach längerer Stille bereits glaubte, mich getäuscht zu haben, vernahm ich es erneut; ein gleichförmiges Scharren, bald begleitet von einem Hecheln und Gurren. Das Metall der Stange in meiner Faust fühlte sich heiß an, als ich mich vorsichtig der Barrikade näherte. Allerdings achtete ich dabei nicht auf den Boden und das handgroße Insekt, das dort kauerte. Knirschend zerplatzte sein Leib unter meiner Schuhsohle.

      Augenblicklich herrschte Stille. Dann hörte ich hinter der Barriere ein Zischen, gefolgt von einem Geräusch wie von Krallen, die über das Holz kratzten.

      Ich wusste nicht, was sich auf der anderen Seite an der Barrikade zu schaffen machte, aber es war zweifellos kein Regent oder Häscher, der da rumorte. Dicht über dem Boden vernahm ich nun wieder leises Scharren, fast so, als wollte mein mysteriöses Gegenüber sich durchs Gestein graben. Unvermittelt erzitterte die Barrikade unter einem kräftigen Hieb, dann hörte ich sich rasch entfernende Schritte, die klangen, als würden zwei oder drei Kreaturen gleichzeitig die Flucht ergreifen.

      Ich wartete, bis ich sicher war, dass das Wesen nicht zurückkehren würde, dann brach ich eine Bresche in das Hindernis und schlüpfte durch die Öffnung.

      O ja, Kinder, ich bin der Kreatur gefolgt. Ihr fragt euch, welcher Teufel mich geritten haben mag, so unverfroren in das Refugium eines Regenten vorzudringen.

      Ich weiß es nicht.

      Vielleicht war meine Waghalsigkeit der Gewissheit geschuldet gewesen, dass nach all den Jahren des Gedankenspendens für die Schatten sowieso nicht mehr viel von mir übrig war und ich daher kaum noch etwas zu verlieren gehabt hatte.

      Die Eisenstange schlagbereit erhoben, schritt ich über den Korridor, in der Erwartung, aus einem der angrenzenden Räume angefallen zu werden. Doch nichts dergleichen geschah. Was auch immer die Barrikade errichtet und bewacht hatte, schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

      Bereits von Weitem konnte ich erkennen, dass der Flur zu einem Hochbalkon führte. Und dort, am Ende des Korridors, fand ich die Schwingen! Wie eine wertvolle Trophäe aus dem Krieg der Schatten gegen das Licht prangten sie an der Wand; kupferrot, glänzend, formvollendet.

      Seht nur her, wie wunderschön sie sind!

      Nun rennt doch nicht gleich wieder davon, Kinder. Es ist nur eine Maschine mit Riemen und metallenen Schalen. Habt ihr denn jegliches Vertrauen verloren? Die Schwingen sind meine Diener, nicht ich der ihre. Kommt her, berührt sie, fühlt ihre Wärme. Das Metall wächst mir nicht aus dem Leib. Ich mag ja vieles sein, aber bestimmt kein Wolkenscherge oder gar Regent.

      Während ich im Buhlturm einst ebenso staunend wie ihr vor ihnen stand und mit der freien Hand über das Metall strich, nahm ich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. Doch ich reagierte zu langsam, um es genau erkennen zu können. Ich sah nur etwas Massiges, Dunkles, das sich durch die von mir geschaffene Bresche in der Barrikade hinaus auf die Galerie zwängte.

      Nachdem ich ihm rasch zurück ins Treppenhaus gefolgt war, erschaute ich im Halbdunkel ein unförmiges schwarzes Etwas, das auf einer Vielzahl von Armen und Beinen die Stufen hinabrannte. Auf Höhe der vierten Galerieebene sah es von der gegenüberliegenden Seite des Treppenschachts zu mir empor und schenkte mir einen unergründlichen Blick, dann hetzte es weiter abwärts.

      Und dann, als das Stakkato seiner Schritte sich in der Tiefe verloren hatte, traf mich eine Windböe …

      Während ich mich verwundert nach der Ursache umsah, wurde der Wind jäh zum Sturm, und der Sturm zum Orkan. Ich beugte mich über die Balustrade und blickte in den weit unter die Grundfeste des Turmes reichenden Abgrund. Etwas Gigantisches quoll aus der Tiefe empor wie aufsteigendes Magma in einem Vulkanschlot, eine kosmische, alles verschlingende Schwärze ohne Konturen. Entsetzt wirbelte ich herum, kroch durch den Durchschlupf zurück in den Korridor – und rannte!

      Ehe ich das Ende des Flurs erreicht hatte, sprengte der Sturm hinter mir die Barriere und wirbelte Balken und Bretter wie Geschosse umher. Atemlos am Ende des Korridors СКАЧАТЬ