Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel
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Название: Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman

Автор: Franz Werfel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726482362

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СКАЧАТЬ queme misesopono.“

      Da hatt’ ich’s nun. Es war wie zuckriges Gezwitscher. Ja, wenn man so eine Sprache nur von außen sieht wie eine Hausfront, da weiß man nichts von den Bewohnern. Da gibt’s auch keinen Unterschied zwischen astronomischer Fortgeschrittenheit und uranfänglicher Primitivität.

      „Hilf mir doch, B.H.“, entrang es sich mir.

      Das Gesicht meines Freundes, der nun beinahe drohend, in voller Figur hinter der Skulptur hervorkam, war ganz bleich. Er preßte eine Hand an die Schläfe, wie um den Kopfschmerz zu betonen, den ich, seine verkörperte Blamage, durch mein Benehmen in ihm hervorgerufen hatte.

      „Haltung, F.W.“, flüsterte er scharf, „und ein bißchen Psychologie, möchte ich bitten. In der monolingualen Sprache dieses Zeitalters kann man verletzende Dinge, die man aufdringlicherweise für Wahrheiten und Aufrichtigkeiten hält, nicht öffentlich ausdrücken.“

      Da war’s, als ob mir jäh Ohren und Kehle wieder aufgingen und, unversehens und unbewußt der derzeitigen Sprache wieder mächtig, wandte ich mich mit einer Verbeugung an unsern Hausherrn, Io-Fagòr:

      „Ihr Hund ist sehr schön und sehr klug“, sagte ich. Das ging wie geschmiert, und ich empfand nicht den geringsten Gewissensbiß bei dieser Lüge, noch auch das Bedürfnis, das auszudrücken was ich wirklich dachte. Ich hatte darüber hinaus die erleuchtete Empfindung, daß es heutzutage auch gar nicht notwendig war, auszudrücken was man dachte, da jeder es bis zu einem gewissen Grade schon wußte. Ich fügte zu meinem Lob noch folgende Frage hinzu:

      „Was für einer Rasse gehört der Hund Sur an? Ich konnt’s nicht genau unterscheiden . . .“

      Neues Erstaunen der Runde. Der Beständige Gast fragte unsicher:

      „Was verstehen Sie unter ,Was für Rasse’, Seigneur? Ist Hund nicht Hund? Es gibt ja doch nur eine Art Hund.“

      Genau an diesem Punkte der Unterhaltung begann ich, die Gesichter zu unterscheiden. Aus dem blassen Hintergrunde der allgemeinen Schönheit und Jugendlichkeit traten, zum erstenmal für mein Auge, individuelle Züge und Differenzen hervor. Der Beständige Gast zum Beispiel hatte eine lange Nase und tiefere Einbuchtungen der Wangen als die andern Persönlichkeiten. Auch verschwand seine Stirne beinahe unter dem silbernen Lockenaufbau aus opalisierender Masse. Er erinnerte mich an die Büste eines barocken Habsburgers oder Bourbonen mit Allongeperücke. Über der Betrachtung der Gesichter vergaß ich zu antworten. Daher mischte sich B.H. ins Gespräch, um keine Pause aufkommen zu lassen und mir zu helfen:

      „Mein Freund F.W.“, sagte er, „hat einige Rassen und Arten von Hunden gekannt.“

      Und er zwinkerte mir ermunternd zu, ich möge frisch drauflos erzählen und mich unterhaltsam über diesen harmlosen Gegenstand verbreiten, bei dem ja nicht viel passieren konnte.

      Da ich mich aber durch B.H.s Ermunterung unangenehm aufgeführt fühlte, schwieg ich, der unterscheidenden Betrachtung der Gesichter hingegeben. Darauf schwärzte sich der Hausweise ins Gespräch, ein etwas dickeres Gesicht als die andern, mit einer Spur von Doppelkinn, ein zugleich eitler wie weichlicher Mann wahrscheinlich, der vom Wortführer als eine überflüssige Nebenerscheinung des Haushaltes tyrannisiert zu werden pflegte:

      „In der folkloristischen Abteilung unseres Sephirodroms“, sprach er schnell, als ob er befürchte, seinen Satz nicht ungestört beenden zu können, „ja, in dieser Bibliothek beschäftigen sich mehrere Dissertationen mit einem Mythus über fünf oder sechs verschiedene Hundearten, von welchen jede einem besonderen Zwecke gedient haben soll, der Tötung von Tieren die eine, der Führung von Blinden die zweite, der Bewachung kleiner Kinder die dritte, der Verfolgung von Verbrechern die vierte und der Vollbringung gewisser Zauberriten, mit Göttin Hekate zusammenhängend, die fünfte.“

      Er hatte recht gehabt, für seinen Satz zu fürchten, denn der Wortführer schnitt ihm mit einer Handbewegung die Rede ab. Ich aber sagte:

      „Es wäre ein Fehler, das einen Mythus zu nennen, wovon die Dissertationen im Sephirodrom handeln. Sie sehn, ich gebrauche schon keckerweise das Wort Sephirodrom, ohne ganz genau zu wissen, was es bedeutet. — Nein, das mit den Hunderassen ist durchaus kein Mythus, sondern geschichtliche Wirklichkeit.“ Und ich begann aufzuzählen: „Windspiele und Bernhardiner und Chows und kleine Pekinesen und Wolfshunde und Doggen und Dobermans und Terrier . . .“

      B.H. winkte mir ab. Nun aber verneigte sich der Wortführer gegen mich:

      „Ihnen, Seigneur“, sprach er, „der einer farbenreichen, formenstrotzenden Märchenwelt entsprossen ist, muß die unsere, die moderne Welt sehr verarmt erscheinen . . .“

      „Nicht verarmt“, entgegnete ich, ebenso höflich wie er, denn ich wußte schon, daß man sich mit jedem Wort angenehm machen sollte. „Nicht verarmt, aber vereinfacht Geht nicht der Aufstieg des Lebens vom ich-losen Gewimmel zur einmaligen Persönlichkeit, vom tausendfach wiederholbaren Cliché zur Rarität, von der ameisigen Emsigkeit zur ruhevollen Vereinzelung? In diesem Sinne scheint Ihre Welt, meine Herrschaften, hoch über unsere emporgestiegen zu sein, mag sie auch an Buntheit und Formenfülle verloren haben unter dem grellen und ewig wolkenlosen Himmel dort oben. Ist es nicht Wesen des Schöpferischen überhaupt, daß es sich im Anfang der wahllosen Üppigkeit befleißigt, um auf dem Höhepunkte, durch auswählende Kritik gezügelt, einer vornehmen Kargheit und fast heiligen Sterilität zuzuneigen? Wir nannten das seinerzeit den Weg zum Klassischen und Monumentalen.“

      B.H.s Blicke nahmen mich an die Kandare. Ich hatte mit meiner Kulturphilosophie wahrscheinlich wieder die Grenze überschritten. Das Wort „heilige Sterilität“ glich einem Tintenklecks auf einem säuberlichen Glückwunschbrief.

      „Mein Freund bevorzugt seit jeher allgemeine Reflexionen“, sagte B.H. und lächelte begütigend nach allen Seiten, „das ist so seine Art.“

      Der Hausherr Io-Fagòr aber senkte nachdenklich den Kopf. Mein physiognomisches Unterscheidungsvermögen hatte sich nun schon so weit entschleiert, daß ich genau empfand, dieses ist nicht nur der vornehmste, sondern auch der bedeutsamste Mann unter den Anwesenden. Es schien mir, als sei sein Gesicht blasser und männlicher als das der andern. (Die Glätte der Haut und das Fehlen der Rasur auf den Männergesichtern hatte anfangs einen störenden Eindruck bei mir hervorgerufen.) Io-Fagòr sprach mit einer tiefen Stimme, an meine Worte anknüpfend:

      „Ich verstehe Seigneur sehr wohl. Er hat recht, wenn er das Erreichte lobt. Wir könnten ganz zufrieden sein mit dem Zustand unter unserm ewig grellen und ewig wolkenlosen Himmel, wenn nur die Natur sich überreden ließe, solch einem günstigen Zustand konservative Dauer zu verleihen. Aber die Natur führt immer etwas im Schilde. Und was den Menschen betrifft, unsre guten Familien sind nicht alle auf der Höhe ihrer Aufgabe. Das lässig häusliche Leben, die tatlos beschauliche Ruhe, die Freiheit von allen Zwecken und Zwängen, das heitere, absichtslose Spiel, alles was Gott uns nach so vielen Wirrsalen eines schier endlosen Altertums geschenkt hat, ohne daß wir ein schlechtes Gewissen darum haben müssen, es wird von unsern Kindern nicht mehr als Lust empfunden . . .“

      Und indem er sich mit einer tiefen Verbeugung an die Ahnfrau wandte, der die archaisch stilisierten Locken der Silberperücke sich über den makellos zarten Nacken ringelten, schloß er:

      „Ihre Generation, Madame, war die absolute Höhe, denn sie kannte keinen Zweifel.“

      Die Ahnfrau lächelte mit blitzend weißen Zähnen und hellen Augen, die freilich recht tief in den Höhlen lagen. Ich empfand jetzt beim Anblick dieses schönen Gesichtes einen leichten Schreck, ich kann nicht sagen warum. Vielleicht ahnte ich einen Zynismus ohnegleichen, den die folgenden Worte der Ahnfrau СКАЧАТЬ