Название: Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman
Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726482362
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„Sie wissen schon vom Arbeiter, Seigneur?“ fragte Io-Rasa ziemlich erstaunt. „Sie sind recht wohl informiert.“
„Nicht hinreichend, Madame, bei weitem nicht hinreichend“, erwiderte ich. „Aber ich ahne etwas sehr Großes an diesem Arbeiter, und ich weiß, daß er als einziger den Vollbart trägt.“
„Das ist nicht alles“, meinte sie, „und es ist auch nicht genau so. Den Vollbart tragen auch noch einige andre Personen.“
Alle Gespräche in der Runde verstummten. Ich hätte auch ohne B.H.s Blicke genau gefühlt, daß es nicht zum guten Ton gehörte, an eine Dame mehrere Fragen nacheinander zu richten. Aber mein Forscherdrang und das Interesse, das der Begriff des „Arbeiters“ in mir erweckte, ließ sich nicht bemeistern:
„Ist der Arbeiter nur ein Mann, oder ist er auch ein Gegenstand?“ fragte ich und schämte mich dieses Satzes, der mich an irgendein archaisches Gesellschaftsspiel gemahnte.
Ehe aber Io-Rasa, die Brautmutter, meine ungehörige Frage noch beantworten konnte, wurden wir durch ein kleines Ereignis unterbrochen, welches die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zog. Ein Hund sprang ins Zimmer. Wahrhaftig, es war ein Hund, ein Hund mit vier Pfoten, rotbraunem Fell, großen haarigen Ohrlappen und einer länglichen Schnauze. Schmal, mittelgroß und überaus lebhaft wie er war, konnte ich seine Rasse nicht bestimmen. Er schien aber konzentrierter ein Inbegriff der Hundheit zu sein als die Hunde zu meiner Zeit, die vielfach übertriebene Züchtungsprodukte gewesen sind. Ich sage und schreibe:
Hund. Was aber war aus dem Hund seit tausend Jahrhunderten in immer engerem Umgang mit Menschen und menschlicher Pflege geworden? Leibesform, Fell, Schnauze, Ohrlappen, Pfoten, all dies war vollauf hündisch geblieben. Durch die traurige und tiergefesselte Grundierung dieses Hündischen aber äugte, ächzte, schnupperte, schmeichelte die Menschenhaftigkeit hervor, genauer, die Angemenschtheit, in jedem Zu- und Wegspringen, im Zögern oder in der Entschließung der Bewegungen und vor allem im aufmerksamen Blick, im abschätzenden Blick, im habgierig berechnenden Blick. Ich traute meinen Augen nicht. Doch noch viel weniger traute ich meinen Ohren, als der Hund zu reden begann. Es war ein Bellen, aber ein hundertfach modulierteres als das mir bekannte Hundegebell, aus dem sich ein beschränkter, jedoch zum Ausdruck des Hundegeistes hinreichender Wortschatz ganz natürlich zu entwickeln begann.
„Der Hund spricht ja“, kam’s mir über die Lippen.
Alle sahen mich erstaunt an. Bisher hatte ich mich trotz steifer Hemdbrust und weißer Binde dem Abenteuer gewachsen gezeigt. Jetzt schienen meine feingesichtigen Gastfreunde zu denken: Was will er eigentlich? Der Hund spricht ja? Die Hunde sprechen seit jeher. Sollten sie einmal nicht gesprochen haben? O du Idiot, sagte ich zu mir selbst, natürlich haben die Hunde immer gesprochen. Daß sie sich jetzt auch gewählt ausdrücken können, das liegt im Gesetze der Entwicklung und ist nichts Erstaunliches. Wann werde ich endlich genügend ruhige Nerven haben, um mir keine Blößen mehr zu geben?
Inzwischen sprang das Tier abwechselnd am Brautvater Io-Fagòr und an der Brautmutter Io-Rasa empor; im übersprudelnden Hundegestammel seiner Herrschaft den Hof machend und, wie mir sofort auffiel, mit der durchtriebenen und käuflichen Naivität eines Kinderfilmstars etwa, die Worte durcheinanderplärrend. Es war komisch, dieses seelisch verderbte Tier bediente sich eines affektierten Argots. Es bellte gewissermaßen in einem langgezogenen, neckischen Tonfall:
„’n Tag, Mamachen, ’n Tag, Papachen, da seid ihr ja. Wo wart ihr denn? Gibt’s nichts für mich? Heut ist doch erstes Hochzeitsfestmahl, da muß es was für mich geben. Vom Grünen bitte, vom Pistaziengrünen. Io-La hat mich heraufgeschickt. Wer ist denn alles da? Darf ich den Gummiball am Springbrunnen jagen? Bitte, bitte! Was ist das für ein Leben? Ihr wißt doch, Sur braucht seinen Auslauf. Haha, hmhm!“
Plötzlich witterte der Hund, daß es hier nicht mit ganz rechten Dingen zugehe. Er unterbrach sein kindlich tuendes Geplapper und prätentiöses Gekläff. (Zweiundfünfzig Jahre, wie man mir verriet, hatte er schon auf dem Buckel.) Er begann am ganzen Körper zu zittern, legte die Ohren zurück, klemmte den Schwanz zwischen die Hinterbeine und stieß, mich entsetzt anstarrend, ein langes, singendes Gewinsel hervor. Na endlich, dachte ich, bemerkst du etwas. Deine redlichen Vorfahren waren schlechtere Schauspieler und Deklamatoren als du. Aber ihr ungebrochener Instinkt hätte ein Gespenst sofort entdeckt, im Umkreis einer Meile mindestens, gleichgültig ob es im steifen Hemd erschienen wäre oder im Negligé seines Kirchhoflakens.
Dem Hundegebell entrang es sich winselnd:
„Mamachen, Papachen, was ist das, was habt ihr mir da wieder angetan? Den da soll es doch gar nicht geben! Den gibt es ja auch gar nicht. Der gehört nicht her zu uns. Laßt mich fort . . .“
Trotz dieser artikulierten Worte schlug die echte Tierangst jetzt über seiner durchtriebenen Angemenschtheit zusammen. Ich aber, bestürzt über meine Situation und angeekelt sowohl von der Kalfakterei als von der Feigheit des Hundes, brummte in mich hinein:
„Vor mir muß sich niemand fürchten, du, außerdem bin ich ja nicht wirklich tot. Ich atme, ich esse, wie du siehst, lieber Hund.“
Der Hausherr, Io-Fagòr, noch verlegener als ich, setzte dem Zwischenfall ein rasches Ende:
„Hinaus mit dir, Sur! Winsle unsern Gast nicht an! In den Garten, du Dummkopf, und sei pünktlich zurück . . .“
Ohne Abschied entwich Sur. So menschlich er sich auch gab, er hieß nur Sur. Das Präpositiv Io, das Ich bedeutet und mithin Unsterblichkeit, wurde ihm trotz allen Fortschritts und aller Verhätschelung doch nicht zugebilligt.
„Entschuldigen Sie, bitte, Surs Taktlosigkeit“, wandte sich Io-Fagòr zu mir, „es gibt eben doch Grenzen der Hundeerziehung, selbst bei geistig und moralisch befähigteren Exemplaren. Aber gewisse Demokraten wollen es nicht wahrhaben. Sie sind verbittert, daß zwischen Menschenund Hunderechten Unterschiede bestehn. Ich erinnere nur an die berühmte Publikation: ,Der Unfall, als Hund geboren zu werden, und die Verpflichtung des Menschengeschlechts zur Ersatzleistung an die betroffene Kreatur.“
„Das geht entschieden zu weit“, gelang es mir noch zu sagen. Darauf aber stieß mir ein gesellschaftlicher Unfall zu, der mich und infolgedessen auch B.H. in die schmählichste Lage brachte: Ich wollte klipp und klar vor dem Hausherrn bekennen, was in Bezug auf Sur meine bestimmte Empfindung und feste Ansicht war: „Ihr Hund, mein Herr, ist ein sehr schlechter Charakter.“ Plötzlich aber war ich der Sprache dieses Zeitalters, in dem ich so unerwartet mich auf Besuch befand, ganz und gar nicht mehr mächtig. Während ich noch knapp vorher mit den wunderschönen Herren und Damen reifen Alters hier aufs unbewußteste in ihrem Idiom parliert hatte, als sei es meine eigene Muttersprache, brachte ich plötzlich keine Silbe dieses Idioms mehr über die Lippen und verstand auch keine Silbe mehr. Es war ein grauenhaftes Impotenzgefühl, an das ich mich noch jetzt erinnern kann. Das Herz schlug mir bis zum Hals, und ich glaubte zu ersticken.
„Votre chien“, stammelte ich zuerst französisch, „a un très mauvais charactère.“
Der Mann sah mich verdutzt und verständnislos an. Niemand antwortete. Da versuchte ich’s auf italienisch:
„Il Suo cane a un molto brutto carattere.“
Die Betretenheit rings wuchs. Ich murmelte mechanisch den Satz in ein paar andern Sprachen, in denen ich mich dank meines langen Exils ein wenig ausdrücken konnte. Es hat gewiß geklungen wie in der Berlitz-School: „This dog has a very bad character“ — „Ten pies má bardzo marny charakter.“
Ich hörte, wie Io-Rasa und Io-Fagòr СКАЧАТЬ