Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt
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СКАЧАТЬ die die lateinischen und bilinguen Inschriften des Römischen Reiches erfasst.7

      Auch das Projekt „Graeco-Roman Associations: Texts, Translations, and Commentary“ ist zu erwähnen, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch im Entstehen begriffen ist, aber bereits zwei Bände zur Veröffentlichung gebracht und mit einer instruktiven Einführung8 versehen hat.9 Kategorisiert sind die ausgewählten Inschriften durch ihre geographische Herkunft und innerhalb dieser Kategorie anhand ihrer chronologischen Reihenfolge. Dadurch erhält die Leserschaft die Möglichkeit, sich einen exemplarischen Überblick über das VereinigungswesenVereinigungswesen eines bestimmten geographischen Raumes des Imperium Romanum zu verschaffen, wie es auch das Vorwort formuliert: „Without aspiring to a comprehensive publication of inscriptions, the present volumes aims at a representative selection which illustrates the variety of types of associations, their activities, leadership structures, membership profiles, recruitment strategies, and finances. […] We have, therefore, offered a selection that illustrates the variety of practices, names and internal structures of associations, the distinctive formulae which appear in their inscriptions, and various singular festures not attested in the other inscriptions.“10 Diese Aufarbeitung der Quellen sei als Vorarbeit zu verstehen, die dann in einem Vergleich mit christlichen Gemeinden münden kann: „They [d.h. this volume and the two to follow] are designed principally to provide a ‚thick‘ context for the study of the associative practices of the Christ groups in the cities of the Empire.“11

      1.6 Vereinigungen und Neues Testament – Ausgangspunkte und Zielstellung

      In den vorangehenden Ausführungen ist implizit und explizit bereits deutlich geworden, welche Möglichkeiten und Chancen, aber auch welche Grenzen und Schwierigkeiten ein Vergleich freiwilliger antiker Vereinigungen mit frühen christlichen Gemeinden in Bezug auf ein abgegrenztes Themenfeld besitzt und bietet. Auf einige wenige Aspekte soll für die Weiterarbeit noch einmal dezidiert hingewiesen werden.

      1 Der grundlegende Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Wahrnehmung, dass es sich bei antiken Vereinigungen um ein soziales Phänomen handelte, das in der gesellschaftlichen Sphäre einen breiten Raum einnahm.1

      2 Diese Arbeit verfolgt nicht die Absicht, zu klären bzw. zu entscheiden, ob sich die christlichen Gemeinden in ihrer Organisation aus den SynagogenSynagoge2 oder aus den Vereinigungen oder anderen sozialen Gebilden3 heraus entwickelt oder an diesen orientiert haben. Stattdessen sind mögliche Analogien und Entwicklungen hinsichtlich des sozial-fürsorglichen HandelnsHandeln, sozial-fürsorglich bzw. in Bezug auf das Konzept diakonischen Handelns zu prüfen, das ein Desiderat in der Forschung darstellt: „Inwieweit sie [d.h. die Vereinigungen, JQ] darüber hinaus bedürftigen MitgliedernMitglied soziale Hilfe leisteten, ist […] ungewiß. Fest steht aber, [dass] […] die staatlich konzessionierten Vereinigungen, […] immer einen Nutzen für die Öffentlichkeit (utilias publica), haben mußten […].“4

      3 Die bereits vorliegenden und z. T. dargestellten Arbeiten zum Vergleich zwischen freiwilligen antiken Vereinigungen und christlichen Gemeinden zeigen deutlich, dass es sich in dieser Studie um einen phänomenologischen Vergleich beider Gruppen handeln muss. Ziel der vergleichenden Untersuchung ist daher nicht die Darstellung einer Art Genealogie, sondern vielmehr ein Vergleich, der Vereinigungen als Referenzobjekte versteht, die neben und vor den christlichen Gemeinden eine sozial-gesellschaftliche Prägekraft entfalteten und sich aus diesem Grund als Vergleichsobjekte empfehlen.5

      4 Im Rahmen der Ausführungen zur Quellenlage wurde deutlich, dass nicht jede Inschrift zum Vergleich herangezogen werden kann bzw. sich nicht jede Inschrift für eine Untersuchung anbietet. Einerseits aus strukturellen Gründen (Datierung, Erhaltungsgrad, etc.), anderseits aus inhaltlichen Gründen, soweit sie keine inhaltlichen Anhaltspunkte für den Untersuchungsgegenstand bietet.6 Dadurch wird die Untersuchungsmenge einerseits begrenzt, andererseits ist bei einer großen Anzahl negativer Befunde, d.h. beim Fehlen von Hinweisen auf das Konzept diakonischen Handelns, zu prüfen, ob das Konzept als Merkmal einer grundsätzlichen Differenz zwischen antiken Vereinigungen und christlichen Gemeinden zu verstehen ist.

      5 Um die Auswahl der Quellen bzw. der geeigneten Inschriften auf eine objektiv nachvollziehbare Basis zu stellen, wurden bereits in den vorangegangenen Abschnitten Kriterien und Maßstäbe für die Auswahl und Untersuchung der Inschriften formuliert, die unter die Trias Zeit – Raum – Grenzen subsumiert wurden.7 Begleitet wird die Untersuchung außerdem durch eine heuristische Bestimmung des Konzepts diakonischen Handelns, die mit den Quellen ins Gespräch gebracht werden kann.8

      6 Das Ziel der Untersuchung ist es zu zeigen, in welcher Form sich das frühe Christentum innerhalb der Vielfalt gegebener sozialer Vollzüge und Zusammenhänge etablierte und wie weit es dabei auf HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge zurückgegriffen hat, die einen gesellschaftlichen Konsens darstellten. Dabei wird deutlich werden, in welcher Hinsicht das frühe Christentum Anziehungskraft für breite Teile der Bevölkerung besaß. Außerdem wird sich zeigen, in welcher Hinsicht die frühen christlichen Gemeinden grundlegend neue gemeinschaftliche Ideale prägten und worin das Proprium des christlich verantworteten Konzepts diakonischen Handelns bestand. Damals wie heute ist der gesellschaftliche Ort christlicher Gemeinden zu bestimmen und ihr sozial-fürsorgliches HandelnHandeln, sozial-fürsorglich in den Markt der sozialen Möglichkeiten einzuordnen. Im Vergleich mit freiwilligen antiken Vereinigungen kann deutlich werden, ob es sich bei dem Konzept diakonischen Handelns um ein Spezifikum und Alleinstellungsmerkmal christlicher Gemeinden handelt, oder aber um die Anpassung verbreiteter antiker Handlungsvollzüge und Denkmuster.

      Eine Untersuchung freiwilliger antike Vereinigungen bietet die Möglichkeit und das Potential, historische Entwicklungen und Gegebenheiten fruchtbar für aktuelle Herausforderungen und HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge zu machen. Dass sich diese Möglichkeit auf Begründungszusammenhänge zu beschränken hat, liegt aufgrund differierender Handlungsvollzüge und des historischen Abstands auf der Hand. Damit kann die Einschätzung von Schmeller überprüft werden, der in Bezug auf einen Vergleich zwischen christlichen Gemeinden und freiwilligen Vereinigungen festhält: „Zugleich nehmen wir dort [d.h. in den frühen christlichen Gemeinden, JQ] aber – bei aller Besonderheit – auch ein erstaunliches Maß an Gemeinsamkeit mit nichtchristlichen Gruppen wahr, eine selbstverständliche Offenheit, die heutigen Gemeinden Selbstbewusstsein und Gelassenheit vermitteln kann.“9

      2. Quellenanalyse: Vereinigungen in Selbstdarstellungen

      2.1 Vorbemerkungen

      Der Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 v. Chr. konservierte die AlltagskulturAlltagskultur einer römischen Stadt im 1. vorchristlichen Jahrhundert. Unter der Asche und dem Staub haben sich in Pompeji eine Vielzahl an Graffitis und Schmierereien erhalten, die einen fragmentarischen Einblick in das Leben der Bewohner dieser Stadt ermöglichen. Darunter ist der folgende Text erhalten:

      „Abomino paupero(s). Quisqui(s) quid gratis rogat, factu(u)s est; aes det et accipiat res. Ich verabscheue die Armen. Wer irgend etwas gratis haben will, ist ein Einfaltspinsel. Er soll Geld geben und seine Einkäufe mitnehmen.“1

      Das Graffiti stellt nicht mehr als eine Momentaufnahme dar, eröffnet darin aber einen Einblick in die Gedankenwelt und die Emotionen eines Menschen, der vermutlich als Händler tätig war. Aus seiner epigraphischen Hinterlassenschaft spricht eine Abneigung (abomino) gegenüber marginalisierten Gruppen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass Angehörige dieser Gruppe augenscheinlich Ansprüche an die Gesellschaft formulierten und kostenfreie Hilfeleistungen erwarteten. Diese Erwartung kommt auch in einem Wandgemälde aus Pompeji zum Ausdruck, das Longenecker beschreibt:2 Darauf zu sehen ist eine vermeintlich wohlhabende Frau, die einem Bedürftigen auf dem Forum der Stadt eine Münze überlässt:3 „In an ordinary Pompeian day, along with children playing, youth being taught, and adults bartering, one might also catch a glimpse of one of the urban poor being given a coin by a sub-elite woman.“4

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