Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Während ihr unwillkürlich einzelne Schreie zwischen den zusammengepressten Lippen entschlüpften, musste Johanna immer an Rosalie denken, die fast gar nicht gelitten, fast nicht einmal geseufzt hatte, und deren Kind, der Bankert, ohne Mühen und Qualen zur Welt gekommen war.
Unaufhörlich stellte sie in ihrem armen gequälten Herzen Vergleiche an. Sie haderte mit Gott, an dessen Gerechtigkeit sie so fest geglaubt hatte. Sie zürnte über die eigenmächtige Bevorzugung des Schicksals und tadelte im Stillen das Wort derer, die Recht und Gerechtigkeit predigten.
Zuweilen wurden die Anfälle so heftig, dass sie beinahe die Besinnung verlor. Sie hatte keine Kraft, keinen Lebensmut mehr; sie fühlte nur noch ihre furchtbaren Schmerzen.
In den Augenblicken der Ruhe musste sie stets den Blick auf Julius richten. Dann drang ein anderer Schmerz, ein geistiger, ihr durch die Seele. Sie erinnerte sich des Tages, wo ihre Zofe zu Füssen eben dieses Bettes gelegen hatte, ihr Kind im Schosse, den Bruder des kleinen Wesens, das so grausam jetzt ihr Inneres zerriss. Vor ihren Augen standen noch lebhaft alle Blicke, alle Bewegungen alle Worte ihres Gatten beim Anblick dieses Mädchens. Und jetzt las sie auf seinem Gesichte, als wären seine Gedanken darauf ausgeprägt, denselben Verdruss, dieselbe Gleichgültigkeit gegen sie wie gegen die andere, dieselbe Unzufriedenheit eines Egoisten, den der Gedanke ärgert, Vater zu sein.
Aber ein neuer furchtbarer Krampf ergriff sie, ein Krampf so grausig, dass sie sich sagte: »Ich muss sterben; das ist der Tod.« Dann erfüllte ihre Seele eine wilde Erregung, ein Bedürfnis zu schimpfen, ein grenzenloser Hass gegen diesen Mann, der sie ins Unglück gestürzt hatte, und auch gegen das Kind, das sie tötete.
Sie quälte sich mit furchtbarer Anstrengung diese Bürde loszuwerden. Plötzlich schien es ihr, als ob ihr ganzes Innere sich gewaltsam erweiterte. Dann ließ der Schmerz nach.
Die Wärterin und der Arzt hatten sich über sie gebeugt, und tasteten an ihr herum. Sie nahmen irgendetwas fort und dasselbe kollernde Geräusch, welches sie damals schon gehört hatte, ließ sie erschaudern. Dann drang ihr dieser schmerzliche Schrei, dieses schwache Wimmern eines neugeborenen Kindes durchs Herz, ihr ganzer ermatteter Körper erbebte davon. Mit einer fast unbewussten Gebärde breitete sie die Arme aus.
Sie empfand plötzlich eine innige Freude, eine Sehnsucht nach einem neuen Glück, das ihr entstanden war. Sie fühlte sich in einem Augenblick wie umgewandelt, beruhigt; so glücklich, wie sie noch nie gewesen war. Geist und Körper lebten wieder auf; sie fühlte sich Mutter!
Nun wollte sie auch gern ihr Kind sehen. Es hatte noch keine Haare und keine Nägel, da es viel zu früh gekommen war. Aber als sie sah, wie dieses Würmchen sich bewegte, wie es den Mund öffnete und sein Gewimmer ausstiess, als sie dieses hässliche runzlige verkümmerte Wesen berührte und Leben in ihm spürte, da wurde sie von einer unwiderstehlichen Freude ergriffen. Sie fühlte sich gerettet, gesichert vor jeder Verzweiflung; denn sie hielt da etwas in ihren Händen, über dessen Liebe sie alles andere vergessen würde.
Von da an hatte sie nur noch einen Gedanken! Ihr Kind. Sie wurde plötzlich eine schwärmerische Mutter; umso schwärmerischer, als sie vorher in ihrer Liebe verletzt, in ihren Hoffnungen getäuscht worden war. Die Wiege musste immer ganz nahe an ihrem Bett stehen; dann, als sie aufstehen durfte, konnte sie tagelang am Fenster sitzen neben sich das leichte Bettchen, das sie schaukelte.
Sie war eifersüchtig auf die Amme und wenn das kleine Wesen durstig die Ärmchen nach der großen blaugeaderten Brust ausstreckte und die dunkle faltige Warze zwischen seine gierigen Lippen nahm, schaute sie bleich und zitternd, die robuste ruhige Bäuerin an, mit einem Gefühle, als müsse sie ihr das Kind entreissen und mit ihren Nägeln diese Brust zerfleischen, an der es so begierig sog.
Dann begann sie selbst zu nähen, um es in feine sorgfältig« ausgewählte Kleidchen zu stecken. Es bewegte sich in einem Meer von Spitzen und trug die kostbarsten Häubchen. Sie sprach nur von diesen Sachen, hielt in der Unterhaltung inne, um ein Wickelband, ein Lätzchen oder eine zierlich gestickte Schleife bewundern zu lassen. Sie hörte nichts von allem, was um sie vorging; sie begeisterte sich über irgend ein Wäschestück, das sie lange in der erhobenen Hand hin und herwandte, um es besser sehen zu können. Dann fragte sie plötzlich: »Glaubt Ihr, dass ihm das gut stehen wird?«
Der Baron und die Mama lächelten über diese übermässige Zärtlichkeit. Julius dagegen, der sich in seinen Gewohnheiten gestört und in seinem Herrscher-Ansehen durch diesen schreienden und allmächtigen Tyrannen herabgesetzt fühlte, war von unbewusster Eifersucht auf dieses Stücken Mensch erfasst, das ihn von seinem Platz im Hause verdrängte: »Sie wird wirklich lästig mit ihrem Wurm« wiederholte er stets zornig und ungeduldig.
Allmählich beherrschte diese Liebe sie so sehr, dass sie die Nächte an der Wiege sass, um den Schlaf des Kleinen bewachen zu können. Da sie sich bei dieser leidenschaftlichen krankhaften Neigung so aufrieb, dass sie sich selbst keine Ruhe mehr gönnte und abmagerte und hustete, ordnete der Arzt an, dass man sie von ihrem Söhnchen trennen möge.
Sie war ausser sich; sie bat und flehte; aber man blieb taub gegen ihre Bitten. Jeden Abend wurde das Kind zu seiner Amme gebracht. Und jede Nacht stand die Mutter auf, schlich barfuss an die Tür und lauschte durch das Schlüsselloch, ob der Knabe auch ruhig schlief, ob er nicht aufwachte, oder irgendetwas nötig hätte.
Als Julius einmal spät von einem Diner bei den Fourvilles heimkehrte fand er sie dort. Seitdem wurde sie nachts in ihr Zimmer eingeschlossen, um sie zu zwingen ins Bett zu gehen.
Gegen Ende August fand die Taufe statt. Der Baron war Pathe und Tante Lison Pathin. Das Kind erhielt den Namen Peter, Simon, Paul; letzterer war sein Rufname.
In den ersten Tagen des September reiste Tante Lison in aller Stille ab; ihre Abwesenheit wurde ebensowenig bemerkt wie ihre Anwesenheit.
Eines Abends nach dem Diner erschien der Pfarrer. Er machte einen etwas verlegenen Eindruck als habe er irgend ein Geheimnis auf dem Herzen; und nach einer Weile allgemeiner СКАЧАТЬ