Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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»Höre mich, Kind; man muss mit Klugheit handeln. Man darf nichts überstürzen. Such mit Deinem Manne auszukommen, bis wir einen Entschluss gefasst haben … Willst Du mir das versprechen?«
»Ich verspreche es Dir«, murmelte sie, »aber wenn ich gesund bin, bleibe ich nicht länger hier. Wo ist Rosalie jetzt?« fügte sie dann leiser hinzu.
»Du wirst sie nicht wiedersehen«, antwortete der Baron. Aber sie gab nicht nach.
»Wo ist sie; ich will es wissen?«
Da teilte er ihr mit, dass sie zwar das Haus noch nicht verlassen habe, dass dies aber in allernächster Zeit geschehen würde.
Nachdem der Baron das Zimmer verlassen hatte, suchte er, noch glühend vor Zorn und in seinem Vaterherzen aufs tiefste gekränkt, sofort Julius auf.
»Ich komme, mein Herr«, sagte er schroff, »um Rechenschaft wegen Ihres Verhaltens gegenüber meiner Tochter zu verlangen. Sie haben sie mit ihrer Kammerzofe hintergangen. Das ist doppelt unwürdig.«
Aber Julius spielte den Gekränkten. Er leugnete alles heftig ab, beteuerte seine Unschuld und rief Gott zum Zeugen an. Was hatte man denn für Beweise? War Johanna wirklich ganz bei Sinnen? Hatte sie nicht soeben eine Gehirn-Entzündung hinter sich? War sie nicht beim Beginn ihrer Krankheit damals nachts in einem Fieberanfall in den Schnee herausgelaufen? Und war es nicht in diesem Anfall gerade, als sie halbnackt durchs Haus lief und dabei ihre Zofe im Bette ihres Gatten gesehen haben wollte?
Er wurde immer heftiger und drohte mit einer Klage. Er redete sich vollständig in den Zorn hinein. Und der Baron wurde ganz verwirrt; er fing an sich zu entschuldigen, bat um Verzeihung und bot schliesslich Julius die Hand zur Versöhnung, die Jener aber ausschlug.
Als Johanna die Antwort ihres Gatten erfuhr, regte sie sich keineswegs auf.
»Er lügt, Papa«, sagte sie einfach, »aber wir werden ihn schliesslich doch überführen.«
Zwei Tage lang war sie schweigsam und dachte meistens still vor sich hin.
Dann am dritten Tage verlangte sie Rosalie zu sehen. Der Baron wollte das Mädchen nicht heraufholen lassen; sie sei abgereist, behauptete er. Aber Johanna gab nicht nach:
»Man soll sie von zu Hause holen«, verlangte sie stets aufs Neue.
Und als der Doktor eintrat, war sie bereits sehr aufgeregt. Man sagte ihm, worum es sich handle. Johanna, an der Grenze ihrer Fassungskraft angelangt, fing plötzlich heftig zu weinen an und rief immer wieder: »Rosalie soll kommen; ich will Rosalie sehen.«
Da nahm der Arzt sie bei der Hand und sagte leise:
»Beruhigen Sie sich, Madame; jede Gemütsbewegung könnte von ernstlichen Folgen sein. Sie tragen ein Kind unterm Herzen.«
Sie war sprachlos, wie vom Schlage getroffen; es schien ihr, als spüre sie, dass sich etwas unter ihrem Herzen rege. So blieb sie schweigsam, in Gedanken versunken, ohne darauf zu hören was die anderen sagten. Sie konnte die ganze Nacht nicht schlafen, fortwährend von der neuen Vorstellung wach gehalten, dass unter ihrem Herzen ein Kind lebe. Es berührte sie peinlich, dass es ein Kind von Julius sei; sie war beunruhigt bei dem Gedanken, dass es ihm gleichen möchte. Am nächsten Tage ließ sie den Baron rufen.
»Papachen, mein Entschluss ist gefasst; ich will alles wissen, jetzt gerade erst recht. Ich will, hörst Du? Du weißt, dass man mir in meinem jetzigen Zustande nicht widersprechen darf. Höre also. Du musst zum Pfarrer gehen. Ich brauche ihn, damit er Rosalie vom Lügen abhält. Dann, sobald er hier ist, lässt Du sie heraufkommen und bleibst mit Mama zugegen. Sorge nur vor allem, dass Julius keinen Verdacht schöpft.«
Eine Stunde später trat der Priester ein; er war noch stärker wie früher geworden und keuchte ebenso wie die Baronin. Sein Leib hing noch tiefer herunter.
»Nun, Frau Baronin,« begann er scherzend, während er sich gewohnheitsmässig mit dem buntkarrierten Taschentuche wischte, »ich glaube, wir sind beide nicht magerer geworden. Wir würden ein hübsches Paar abgeben.« Dann wandte er sich dem Krankenbette zu. »Nun, was höre ich, meine junge Dame? Wir werden bald wieder taufen? Ha, ha, ha! aber diesmal keine Barke. Es wird ein Vaterlandsverteidiger werden,« fügte er ernster hinzu, »wenn es nicht eine gute Hausfrau wird, wie Sie, Madame« sagte er mit einer Verbeugung gegen die Baronin.
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und Rosalie erschien auf der Schwelle. Sie war ganz ausser sich, schluchzte, weigerte sich einzutreten und klammerte sich krampfhaft an die Klinke fest. Der Baron verlor die Geduld und stiess sie mit einem kräftigen Ruck ins Zimmer. Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und blieb heulend stehen.
Sobald Johanna sie bemerkte, richtete sie sich auf und sass da, bleicher als die Kissen, in denen sie ruhte. Ihr Herz klopfte so heftig, dass die Spitzen ihres Hemdes auf- und abwogten. Sie konnte kaum atmen und rang krampfhaft nach Luft. Endlich sprach sie mit halberstickter Stimme: »Ich … ich … hätte nicht … nötig … Dich zu fragen. Es … war für mich … genug …, Deine … Deine Schmach … mit eigenen Augen … zu sehen.«
Nach einer Pause, in der sie wieder Atem schöpfte, begann sie abermals: »Aber ich will alles wissen … Alles … ganz genau, Ich habe den Herrn Pfarrer gebeten; es soll eine Art Beichte sein, verstehst Du.«
Rosalie stand regungslos da und stiess nur hin und wieder eine Art Schrei zwischen den krampfhaft geschlossenen Händen hervor.
Der Baron, von Zorn übermannt, fasste sie bei den Armen, riss ihr die Hände vom Gesicht und zwängte sie vor dem Bett auf die Knie.
»Sprich jetzt …« schrie er, »antworte!« Sie blieb am Boden mit der Haltung einer Magdalene, ihre Mütze war ganz schief gerückt, die Schürze bedeckte den Boden. Mit den Händen verbarg sie abermals das Gesicht.
»Nun, meine Tochter,« begann jetzt der Priester, »höre, was man Dir sagt und gib Antwort. Wir wollen Dir nichts Übles zufügen, aber wir wollen wissen, was sich zugetragen hat.«
Johanna СКАЧАТЬ