Johanna und Julius waren noch in der Betrachtung dieses Prachtstückes versunken, als der Marquis und die Marquise eintraten. Die Dame war stark gepudert, liebenswürdig aus Gewohnheit und geziert in dem Bestreben herablassend zu sein. Der Herr, stark von Figur mit blonden geradeauf stehenden Haaren, legte in alle seine Bewegungen, in seine Sprache und in seine ganze Haltung etwas Gemessenes, um die Erhabenheit seiner Person darzutun.
Sie gehörten zu jener Art von steifen Leuten, deren Geist, deren Gemüt und Redensarten stets auf Stelzen zu gehen scheinen.
Sie führten allein das Wort, ohne lange auf Antworten zu warten, mit einem indifferenten Lächeln; es war, als betrachteten sie es als eine ihnen durch Geburt auferlegte Pflicht, die kleinen Edelleute der Umgegend höflich bei sich aufzunehmen.
Johanna und Julius waren wie erstarrt, bemühten sich aber höflich zu sein. Es war ihnen unbequem, lange zu bleiben und doch konnten sie den geeigneten Augenblick zum Aufbruch nicht finden. Schliesslich machte die Marquise ihrerseits dem Besuch ein Ende indem sie mit ungezwungener natürlicher Haltung das Gespräch beschloss, wie eine Königin die in höflicher Form eine Audienz aufhebt.
»Wenn es Dir recht ist,« meinte Julius auf dem Heimwege, »so machen wir dort keinen Besuch wieder; mir für meine Person genügen die Fourvilles.« Johanna stimmte ihm völlig bei.
Der Dezember, dieser finstere Monat, dieses dunkle Loch am Ende des Jahres, ging langsam zur Neige. Das einsame Leben begann wieder wie im vorigen Jahre. Johanna langweilte sich indessen keineswegs; sie war unausgesetzt mit Paul beschäftigt, den Julius von der Seite mit unruhiger missvergnügter Miene betrachtete.
Zuweilen, wenn die Mutter ihn auf den Armen hielt und ihn mit jenen zärtlichen Schmeicheleien liebkosete, die jede Mutter für ihr Kind hat, zeigte sie ihn auch dem Vater und sagte: »So küsse ihn doch mal; man sollte wirklich denken, Du möchtest ihn nicht.« Dann berührte er ganz von Weitem mit seinen Lippen die glatte Stirn des Babys; aber er schnitt ein widerwilliges Gesicht dazu und beugte sich weit vor um nur nicht die kleinen lebhaft greifenden Händchen anzurühren. Hierauf ging er sofort heraus; man hätte denken können, dass ein Ekel ihn forttriebe.
Hin und wieder kamen der Maire, der Pfarrer und der Doktor zum Essen. Zuweilen stellten sich auch die Fourvilles ein, mit denen man sich immer mehr anfreundete.
Der Graf schien eine innige Zuneigung zu Paul gefasst zu haben. Er hatte ihn fortwährend auf dem Schosse, selbst wenn der Besuch den ganzen Nachmittag dauerte. Er schaukelte ihn vorsichtig auf seinen großen Riesenfäusten, kitzelte ihm die Nasenspitze mit seinen langen Schnurrbartenden und küsste ihn unzählige Male mit einer Leidenschaftlichkeit, wie eine Mutter sie nicht grösser haben konnte. Er litt unaussprechlich darunter, dass seine eigene Ehe kinderlos blieb.
Im März begann das Wetter, klar, trocken und beinahe milde zu werden. Gräfin Gilberte begann aufs neue von den Spazierritten zu sprechen, die sie zu Vieren unternehmen wollten. Johanna, die der langen Abende und Nächte und der ebenso monotonen Tage doch etwas müde war, gab ganz vergnügt diesem Plane ihre Zustimmung. Eine ganze Woche lang beschäftigte sie sich mit der Zurichtung ihres Reitkleides.
Dann begannen die Spazierritte. Sie ritten immer zu zweien, die Gräfin mit Julius voraus, Johanna und der Graf hundert Schritte dahinter. Letztere plauderten harmlos wie Freunde; denn sie waren Freunde geworden durch die Berührung ihres redlichen Gemütes, ihrer einfachen Seelen. Jene dagegen sprachen leise miteinander, lachten zuweilen laut auf, und sahen sich plötzlich an, als ob ihre Augen sich etwas erzählen wollten, was der Mund nicht aussprechen konnte. Dann sprengten sie wieder im Galopp davon, als wollten sie weit, recht weit fliehen.
Hin und wieder schien Gilberte sehr reizbar zu sein. Der Wind trug ihre laute Stimme bis zu den Ohren der langsam hinterdrein Reitenden. »Sie ist nicht immer gut gelaunt, meine Frau«, sagte der Graf alsdann lächelnd zu Johanna.
Eines Abends auf dem Heimwege, haranguierte die Gräfin ihre Stute besonders; bald stach sie ihr den Sporn in die Flanke, bald riss sie heftig am Zügel. Man konnte deutlich hören, wie Julius ihr mehrmals sagte: »Geben Sie Acht, geben Sie Acht, sie wird Ihnen durchgehen.«
»Einerlei; das geht Sie nichts an«, antwortete sie so herb und scharf, dass die Worte deutlich über’s Feld hallten als seien sie in der Luft aufgehängt.
Das mutige Tier bäumte sich schliesslich hoch auf und biss schäumend auf die Stange. »Gib doch Acht, Gilberte«, rief der Graf aus voller Lunge. Da hieb sie wie in einem Anfall von Raserei, die nichts zurückhält, zornig mit ihrer Gerte das Tier gerade zwischen beide Ohren. Die Stute stieg kerzengerade in die Höhe, schlug einen Augenblick die Luft mit den Vorderfüssen, fasste dann wieder Boden, machte einen furchtbaren Satz, und rannte mit Aufbietung aller Kräfte wie toll davon.
Zuerst ging es über eine Wiese, dann über einen Sturzacker, wobei eine Wolke von Staub und Schmutz sie einhüllte. Sie rannte so flüchtig, dass man Ross und Reiterin kaum noch voneinander unterscheiden konnte.
»Madame, Madame!« rief Julius, der ganz verzweifelt und verwirrt halten blieb.
Der Graf ließ ein leises Brummen vernehmen, beugte sich über den Hals seines Pferdes, nachdem er es mit seinem ganzen Körpergewicht vorgedrückt hatte und sprengte davon. Er hob es mit solcher Kraft, trieb es mit Peitsche Spore und Zuruf so energisch vorwärts, dass es aussah, als trüge der riesige Reiter das Tier zwischen seinen Schenkeln davon. So ging es mit unglaublicher Schnelligkeit hinter einander her. Johanna sah, wie ganz weit hinten die Schatten der beiden Eheleute dahinflogen, wie sie immer kleiner wurden, bald verschwanden, bald wieder auftauchten gleich zwei Vögeln, die sich verfolgen, um endlich sich ganz im Äther zu verlieren.
Julius näherte sich ihr, immer СКАЧАТЬ