Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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»Es geht zu Ende mit mir; ich sterbe …« dachte sie. Und von Furcht ergriffen sprang sie aus dem Bett, schellte Rosalie, wartete, schellte abermals, und wartete wieder, während sie fast vor Frost erstarrte.
Die Zofe kam nicht. Ohne Zweifel lag sie im ersten festen Schlafe, aus dem man nicht leicht erwacht. Johanna, der die Sinne fast vergingen, stürzte barfuss an die Treppe.
Geräuschlos tappte sie hinauf, fand die Tür, öffnete sie und rief: »Rosalie!« sie schritt immer weiter vor, tastete sich nach dem Bett, fuhr mit der Hand darüber und fand es leer. Es war unberührt und kalt; niemand konnte darin geschlafen haben.
»Merkwürdig, dass sie bei solchem Wetter noch irgendwo herumläuft«, sagte sie bei sich.
Da aber ihre Herzaffektion immer heftiger wurde, stieg sie mit zitternden Knien wieder herunter, um Julius zu wecken.
Hastig trat sie bei ihm ein, von dem Gefühl gepeinigt, dass sie sterben müsse und von dem Verlangen beseelt, ihn noch einmal zu sehen, ehe sie das Bewusstsein verlor.
Beim Schimmer des halberloschenen Feuers bemerkte sie auf dem Kopfkissen neben ihrem Manne das Gesicht Rosaliens.
Bei dem Schrei, den sie ausstiess, richteten sich beide empor. Einen Augenblick stand sie regungslos vor Schreck über diese Entdeckung. Dann rannte sie davon, in ihr Zimmer zurück. Julius hatte ihren Namen gerufen, und sie hatte eine entsetzliche Furcht, ihn sehen zu müssen, seine Stimme zu hören; sie hätte es nicht ertragen können, jetzt seine Auseinandersetzungen, seine Lügen zu vernehmen, ihm Auge in Auge gegenüber zu stehen. Und abermals stürzte sie an die Treppe, um herunter zu eilen.
Als sie unten war, setzte sie sich auf eine Treppenstufe, immer nur noch im Hemd und blosfüssig; halb von Sinnen sass sie da.
Julius war aus dem Bett gesprungen und zog sich schnell an. Sie hörte, wie er hastig herbeikam. Sie wandte sich um, um abermals zu fliehen. Schon kam er die Treppe herunter und rief: »Johanna, höre doch!«
Nein; sie wollte nicht hören, noch sich auch nur mit einer Fingerspitze berühren lassen. Sie stürzte in den Speisesaal; sie floh vor ihm wie vor einem Mörder. Sie suchte einen Ausgang, ein Versteck, irgend einen dunklen Winkel, um ihm auszuweichen. Sie kroch schliesslich unter den Tisch. Aber schon öffnete er, ein Licht in der Hand, die Türe, immer wieder »Johanna« rufend. Sie floh von Neuem wie ein aufgescheuchter Hase, stürzte in die Küche, rannte zweimal darin rings umher wie ein gehetztes Wild; und als er ihr dorthin nachkam, öffnete sie hastig die Tür zum Garten und flüchtete ins Freie.
Die eisige Berührung des Schnees, in dem sie mit ihren nackten Füssen oft bis an die Knie versank, flösste ihr plötzlich eine verzweiflungsvolle Energie ein. Trotz ihrer Blösse spürte sie keine Kälte; sie empfand nichts mehr ausser der beklemmenden Seelenangst. Weiß wie der Boden selbst rannte sie weiter. Sie verfolgte die gerade Allee, flüchtete durch das Bosquet, sprang über den Graben und rannte auf die Heide.
Der Mond war noch nicht zu sehen; die Sterne glänzten am dunklen Himmel wie Milliarden kleiner Lichter. Die Ebene aber lag hell und klar vor ihr, schmutzig weiß, starr und regungslos in ewigem Schweigen.
Atemlos rannte Johanna weiter, ohne zu überlegen, ohne zu wissen, was sie tat. Und plötzlich fand sie sich am Rand der Küste. Instinktiv blieb sie halten und kauerte sich nieder; sie war nicht mehr Herrin ihres Willens und ihrer Gedanken.
In dem finsteren Dunkel vor ihr strömte das unsichtbare schweigsame Meer seinen salzigen und mit dem Sumpfgeruch des Seegrases vermischten Duft aus.
Lange kauerte sie dort, geistig und körperlich wie gelähmt. Dann plötzlich begann sie zu zittern, aber es war ein eigentümliches Zittern, wie bei einem vom Winde hin und her gezerrten Segel. Ihre Arme, ihre Hände, ihre Füsse wurden wie von einer unsichtbaren Macht geschüttelt; sie wurden in heftigen Stössen hin und her geschwenkt. Plötzlich kehrte ihr Bewusstsein klar und deutlich zurück.
Bilder aus der Vergangenheit spiegelten sich vor ihrem Geiste wieder. Diese Fahrt mit ihm im Boote des Papa Lastique, ihre Plauderei, die beginnende Liebe, die Taufe der Bark. Sie griff dann weiter zurück bis auf den seltsamen Traum der ersten Nacht in Peuples. Und jetzt! ja jetzt? Ach! ihr Leben war vernichtet, jede Freude zu Ende, jede Hoffnung aussichtslos; vor ihr lag nur die furchtbare Zukunft mit all ihren Qualen, mit ihrer Enttäuschung und Verzweiflung. Lieber jetzt sterben! Dann war alles zu Ende.
»Hier, hier sind ihre Fussspuren; schnell, schnell hierher!« hörte sie plötzlich eine Stimme rufen. Es war Julius, der sie suchte.
Ach! sie wollte ihn nicht wiedersehen. In dem Dunkel vor sich hörte sie jetzt ein leichtes Geräusch, das unbestimmte Rauschen des Meeres am Fusse der Felsen.
Sie erhob sich, fest entschlossen sich herabzustürzen. Schon nahm sie Abschied vom Leben und seufzte verzweifelt das eine Wort aller Sterbenden, das eine Wort »Mutter«, mit dem der junge Soldat in der Schlacht sein Leben aushaucht.
Plötzlich trat ihr der Gedanke an ihr Mütterchen vor die Seele. Sie sah sie schluchzen, sah den Vater verzweifelt vor ihrer Leiche knien, sie erlitt einen Augenblick mit ihnen zusammen all ihr Leid und ihren Jammer.
Da sank sie langsam rückwärts in den Schnee. Sie rannte nicht mehr fort, als Julius und Papa Simon mit Marius, der eine Laterne trug, herbeikamen und sie bei den Armen greifend rückwärts zogen; denn so nahe war sie schon am Rand des Gestades.
Jene konnten mit ihr machen was sie wollten; denn sie rührte sich nicht mehr. Sie fühlte, wie man sie aufhob, dann wie man sie auf ein Bett legte und mit warmen Tüchern rieb. Schliesslich schwand ihr jede Erinnerung, jedes Bewusstsein.
Dann quälte sie ein Alpdruck. War es wirklich ein solcher? Sie lag in ihrem Zimmer. Es war lichter Tag, aber sie konnte nicht aufstehen. Warum nicht? Sie begriff es nicht. Sie hörte ein Geräusch auf dem Fussboden, ein Kratzen, ein Rascheln und plötzlich huschte eine Maus, eine kleine graue Maus, eiligst über ihre Decke. Bald folgte eine zweite, eine dritte, die sich mit ihrem kurzen schnellen Trippeln auf ihre Brust zu СКАЧАТЬ