Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

Автор: Guy de Maupassant

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962817695

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СКАЧАТЬ wel­cher seit ges­tern Abend fiel und ihre Abrei­se hin­zu­hal­ten droh­te, war der ers­te große Kum­mer ih­res Le­bens. Aber schon nach we­ni­gen Mi­nu­ten kam sie ei­lig aus dem Zim­mer ih­rer Mut­ter und rief durchs gan­ze Haus:

      »Papa, Papa! Lass an­span­nen! Mama ist ganz ein­ver­stan­den.«

      Das Un­wet­ter ließ in­des­sen kei­nes­wegs nach; es schi­en sich viel­mehr ver­dop­pelt zu ha­ben, als der Rei­se­wa­gen vor­fuhr.

      Jo­han­na stand schon zum Ein­stei­gen be­reit, als die Baro­nin die Trep­pe her­un­ter­kam. Sie wur­de auf der einen Sei­te von ih­rem Gat­ten und auf der and­ren von der Kam­mer­jung­fer ge­stützt. Letz­te­re, kräf­tig und von männ­li­chem Wuchs, war eine Nor­man­nin aus der Um­ge­gend von Caux. Man hät­te sie min­des­tens für eine Zwan­zi­ge­rin ge­hal­ten, wenn­gleich sie erst acht­zehn Jah­re zähl­te. In der Fa­mi­lie be­han­del­te man sie wie eine zwei­te Toch­ter, denn sie war Jo­han­nas Milch­schwes­ter ge­we­sen. Sie hiess Ro­sa­lie.

      Ihre Haupt­auf­ga­be war üb­ri­gens die, ihre Her­rin beim Ge­hen zu un­ter­stüt­zen. Die­sel­be war in Fol­ge ei­ner Herz­ver­fet­tung, wel­che den Ge­gen­stand ih­rer un­aus­ge­setz­ten Kla­ge bil­de­te, aus­ser­or­dent­lich stark ge­wor­den.

      Die Baro­nin er­reich­te pus­tend und stöh­nend den Flur des alt­mo­di­schen Ho­tels, und warf einen Blick auf den vom Re­gen be­spül­ten Hof.

      »Es ist der rei­ne Un­sinn«, mur­mel­te sie seuf­zend.

      »Aber es war doch ge­ra­de Ihr Wunsch, Ma­da­me Ade­laï­de!« mein­te ihr Gat­te mit höf­li­chem Lä­cheln.

      Er setz­te dem hoch­tra­ben­den Na­men Ade­laï­de stets das Wort »Ma­da­me« vor; doch hat­te die­se re­spekt­vol­le Be­zeich­nung einen klei­nen Bei­ge­schmack von Sar­kas­mus.

      Mit großer An­stren­gung klet­ter­te die Baro­nin in den Wa­gen, des­sen sämt­li­che Fe­dern be­denk­lich knack­ten. Der Baron setz­te sich ne­ben sie, wäh­rend Jo­han­na und Ro­sa­lie auf dem Rück­sit­ze Platz nah­men.

      Die Kö­chin Lu­di­vi­ne schlepp­te eine Men­ge Män­tel her­bei, wel­che man über die Knie aus­brei­te­te. Dann schob sie noch zwei Kör­be un­ter die Wa­gen­sit­ze. Hier­auf klet­ter­te sie zu Papa Si­mon auf den Bock, sich von oben bis un­ten in eine mäch­ti­ge De­cke ein­hül­lend. Der Haus­meis­ter und sei­ne Frau schlos­sen un­ter tie­fen Bück­lin­gen den Schlag und emp­fin­gen die letz­ten Be­feh­le we­gen der Kof­fer, die auf ei­ner Kar­re fol­gen soll­ten. Als­dann roll­te der Wa­gen da­von.

      Papa Si­mon, der Kut­scher, sass bei dem hef­ti­gen Re­gen mit tief ge­senk­tem Haup­te und stark ge­krümm­ten Rücken auf sei­nem Sit­ze; er ver­schwand fast ganz un­ter dem drei­fa­chen Kra­gen sei­nes eng­li­schen Kut­scher­man­tels. Unauf­hör­lich klatsch­te der Re­gen an die Fens­ter­schei­ben, wäh­rend die Stras­se ei­nem See glich.

      Der Wa­gen roll­te in schar­fem Tra­be dem Ha­fen­damm ent­lang bei den großen Schif­fen vor­bei, die mit ih­ren lee­ren Mas­ten und Raen und dem schlaff her­ab­hän­gen­den Tau­werk wie ent­blät­ter­te Bäu­me trau­rig gen Him­mel starr­ten. Dann bog er in den lan­gen Bou­le­vard du mont Ri­bou­det ein.

      Bald fuhr man an weit­ge­streck­ten Wie­sen vor­über. Hin und wie­der tauch­te eine Wei­de ihre her­ab­hän­gen­den Zwei­ge in die blin­ken­de Was­ser­flä­che. Sonst zeig­te sich nichts Le­ben­des in die­ser trost­lo­sen Öde. Man hör­te nur den Huf­schlag der tra­ben­den Ros­se und das Rol­len des Wa­gens, des­sen vier Rä­der wie große Was­ser­schei­ben aus­sa­hen.

      Im In­nern herrsch­te all­ge­mei­nes Schwei­gen; der Geist der Rei­sen­den schi­en wie die Erde in der Feuch­tig­keit zu er­sti­cken. Mama hat­te den Kopf an die Pols­ter ge­lehnt und schloss die Au­gen. Der Baron be­trach­te­te ge­lang­weilt die ein­för­mi­ge trie­fen­de Ge­gend; Ro­sa­lie, die ein Packet auf dem Schos­se hat­te, träum­te in je­ner stumpf­sin­ni­gen Art der Leu­te aus dem Vol­ke. Nur Jo­han­na fühl­te bei die­sem ein­för­mi­gen Ge­rie­sel des Re­gens ih­ren Geist neu er­wa­chen, wie eine Pflan­ze, die man aus dem dump­fen Zim­mer in die fri­sche Luft bringt. In ih­rem Her­zen war kein Platz für trüb­sin­ni­ge Ge­dan­ken. Wenn­gleich sie sich eben­falls stumm ver­hielt, so hät­te sie doch am liebs­ten laut ge­sun­gen und die Hän­de zum Fens­ter her­aus­ge­streckt, um den Re­gen auf­zu­fan­gen. Sie freu­te sich, dass der schar­fe Trab der Pfer­de sie im­mer wei­ter ins Land her­aus­führ­te, des­sen Öde für sie nichts Ab­schre­cken­des hat­te.

      Die Krup­pen der Pfer­de glänz­ten un­ter dem nie­der­strö­men­den Re­gen wie blan­ke Spie­gel.

      All­mäh­lich schlief die Baro­nin rich­tig ein. Ihr von sechs Lo­cken­rei­hen gleich­för­mig um­rahm­tes Ge­sicht sank im­mer tiefer auf die drei­fa­che Wöl­bung ih­res Un­ter­kinns, des­sen letz­ter Teil sich bei­na­he mit ih­rer hoch­ge­wölb­ten Brust ver­ei­nig­te. End­lich neig­te sich ihr Haupt nach rück­wärts, ihre hoch­geröte­ten Wan­gen blie­sen sich bei je­dem Atem­zu­ge auf, wäh­rend zwi­schen ih­ren halb­ge­öff­ne­ten Lip­pen ein kräf­ti­ges Schnar­chen her­vor­drang. Ihr Mann beug­te sich zu ihr her­über und leg­te lei­se in ihre ge­fal­te­ten Hän­de eine klei­ne Le­der­ta­sche.

      Sie wach­te bei die­ser Berüh­rung auf und be­trach­te­te den Ge­gen­stand mit schlaf­trun­ke­nem Blick wie je­mand, der aus tie­fem Trau­me em­por­fährt. Das Täsch­chen fiel her­un­ter und aus sei­nem In­ne­ren roll­ten Gold­stücke auf den Bo­den der Ka­le­sche, wäh­rend meh­re­re Bank­no­ten neu­gie­rig her­vor­lug­ten. Sie er­wach­te jetzt völ­lig bei dem herz­haf­ten kind­li­chen Ge­läch­ter ih­rer Toch­ter.

      »Schau, mei­ne Teu­re!« sag­te der Baron, das Geld zu­sam­men­raf­fend und ihr in den Schoss le­gend, »das ist al­les, was mir vom Ver­kauf des Pacht­ho­fes von Ele­tot üb­rig ge­blie­ben ist. Wir müs­sen es für die Re­stau­rie­rung von Peup­les ver­wen­den, wo wir zu­künf­tig sehr oft woh­nen wer­den.«

      Sie zähl­te sechs­tau­send vier­hun­dert Fran­cs, wel­che sie ru­hig in ihre Ta­sche steck­te.

      Von den ein­und­dreis­sig Pacht­hö­fen, die ih­nen die El­tern hin­ter­las­sen hat­ten, war dies der neun­te, den sie ver­kauf­ten. Sie be­sas­sen im­mer­hin noch zwan­zig­tau­send Li­vres an Ein­künf­ten aus ih­ren Be­sit­zun­gen, die bei halb­wegs gu­ter Ver­wal­tung leicht auf dreis­sig­tau­send hät­ten ge­stei­gert wer­den kön­nen.

      Bei ih­rer an sich ein­fa­chen Le­bens­wei­se hät­te die­ses Ein­kom­men voll­stän­dig ge­nügt, wenn es in ih­rem Haus­hal­te nicht ein un­er­gründ­li­ches Loch ge­ge­ben hät­te: ihre Her­zens­gü­te. Die­se ließ das Geld un­ter ih­ren Hän­den schmil­zen wie den Schnee un­ter der Son­ne. Kaum ein­ge­nom­men, war es auch schon wie­der da­hin. Wo­hin? Nie­mand wuss­te es ge­nau. Je­den Au­gen­blick sag­te ei­nes von ih­nen: »Ich möch­te nur wis­sen, wie das zu­geht; ich habe heu­te wie­der hun­dert Fran­cs ge­braucht, ohne et­was Be­son­de­res ge­kauft СКАЧАТЬ