Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Es war dies ein bronzener Bienenkorb von vier Marmorsäulen getragen, die sich über einem Garten von vergoldeten Blumen erhoben. Ein zierlicher Perpendikel, der aus einem schmalen Schlitz des Bienenkorbes heraushing, trug an seinem Ende eine kleine Biene mit emaillierten Flügeln, die auf diese Weise sich über den vergoldeten Blumen hin und her bewegte. Das Zifferblatt zeigte sehr feine Porzellanmalerei.
Jetzt schlug es 11 Uhr. Der Baron küsste seine Tochter und zog sich auf sein Zimmer zurück. Johanna bedauerte, dass es schon Zeit war, schlafen zu gehen; aber schliesslich legte sie sich auch zu Bett.
Mit einem letzten Blick durchflog sie das Zimmer, dann löschte sie ihr Licht aus. Aber zur Linken des Bettes, das nur mit dem Kopfende an der Wand stand, befand sich ein Fenster, durch welches das Mondlicht fiel und einen hellen Streifen auf den Boden des Zimmers bildete.
Kleine Reflexe spiegelten sich auf den Wänden und umschmeichelten leise die Liebesszene zwischen Pyramus und Thysbe.
Durch das andere Fenster gegenüber dem Fussende gewahrte Johanna einen großen Baum, dessen Zweige ganz von mildem Lichte umflossen waren. Sie legte sich auf die Seite und schloss die Augen; aber nach einigen Minuten öffnete sie dieselben wieder.
Sie glaubte noch das Rütteln des Wagens zu verspüren, dessen Rollen noch in ihrem Kopfe widerhallte. Anfangs rührte sie sich nicht, in der Hoffnung, dann umso eher einzuschlafen; aber bald übertrug sich die Unruhe ihres Geistes auch auf ihren Körper.
Es zuckte ihr in allen Gliedern; ihre Unruhe wuchs mit jeder Minute. Endlich sprang sie auf und ging mit ihren blossen Füsschen, nur mit dem langen Nachthemd bekleidet, welches ihr das Aussehen einer Erscheinung gab, über den Lichtstreifen hinweg auf das Fenster zu. Sie öffnete es und sah hinaus.
Die Nacht war so hell, dass man wie am lichten Tage sehen konnte. Das junge Mädchen erkannte die ganze Gegend wieder, die es schon als Kind so sehr geliebt hatte.
Da war zunächst ihr gegenüber ein weitläufiger Rasenplatz, der bei dem Mondlichte wie gelbe Butter aussah. An beiden Ecken desselben vor dem Schlosse streckten zwei riesige Bäume ihre Äste aus, rechts eine Platane und links eine Linde.
Am anderen Ende dieses Tummelplatzes der Küstenwinde befand sich ein Gebüsch, welches von fünf Reihen alter Ulmen eingefasst war. Die Stürme vieler Jahrzehnte hatten ihre Wipfel geschüttelt, ihre Äste geknickt und ihre Stämme gekrümmt, sodass sie ihr Laubwerk wie ein Vordach zur Seite hängen liessen.
Diese Art Park war rechts und links von zwei aus mächtigen Pappeln bestehenden Alleen eingesäumt; man nannte sie im Dialekt der Normandie »les peuples«, woher auch der Name des Schlosses stammte. Sie trennten die Wohnungen der dort hausenden beiden Pächterfamilien Couillard und Martin voneinander.
Jenseits dieses Parks lag eine geräumige unbebaute Fläche, in deren Riedgras Tag und Nacht der Seewind spielte. Dann stieg plötzlich die Küste auf, eine Hügelkette von etwa hundert Meter Höhe, steil und kahl, deren Fuss von den Wogen des Meeres umspült wurde.
Johanna bemerkte ganz in der Ferne den langen, glänzenden Streifen des Wassers, welches bei dem sanften Mondlicht zu schlummern schien. In dieser erquickenden Frische der Nacht spürte man doppelt den würzigen Hauch der Blüten und Kräuter. Der durchdringende Duft des Jasmins, welcher an den Fenstern des Erdgeschosses rankte, mischte sich mit dem leichten Geruche des durch den gestrigen Regen neuerquickten Laubes. Ein leichter Luftzug trug von fern her die salzige Ausdünstung des Meeres und des Seegrases herüber.
Das junge Mädchen sog mit Wonne die erquickende Luft ein; die Ruhe der Natur wirkte auf sie wie ein erfrischendes Bad.
Alle Tiere, die mit dem Einbruch der Nacht zum Leben erwachen und ihr Dasein unter ihrem Schutze fristen, erfüllten das stille Halbdunkel mit ihrer geräuschlosen Tätigkeit. Große Vögel, deren Schatten weithin auf die Erde fielen, flogen ohne einen Schrei wie dunkle Flecken durch die Luft. Das Summen unsichtbarer Insekten klang an Johannas Ohr; leichtes Rascheln ertönte in dem dichten Grase oder auf dem Sande der einsam daliegenden Parkwege.
Nur hin und wieder ließ eine Kröte ihren melancholischen einförmigen kurzen Ruf vernehmen.
Johanna fühlte, wie ihr das Herz aufging, wie das stille geräuschlose Leben dieser Nacht in demselben tausend Begierden erweckte. Der eigentümliche Reiz dieser schlummernden und doch so belebten Natur umfasste alle ihre Sinne. Sie glaubte übermenschliche Laute zu vernehmen, sie hörte ein Stammeln von unerreichbaren Wünschen, das Rauschen eines unbekannten Glückes. Sie begann von Liebe zu träumen.
Liebe! Seit zwei Jahren hatte sie mit steigender Furcht deren Nahen gescheut. Jetzt hatte sie das Recht zu lieben; sie brauchte ihr nur zu begegnen, die Liebe.
Wie würde »er« beschaffen sein? Noch wusste sie es nicht recht und wollte es auch eigentlich nicht wissen. Er würde eben »er« sein. Das genügte zunächst.
Sie wusste nur, dass sie denselben von ganzem Herzen verehren, dass sie ihm mit ganzer Seele angehören würde. Sie würden in Nächten wie diese, beim Glanz der Sterne, zusammen lustwandeln. Sie würden Hand in Hand, fest aneinander geschmiegt, dahingehen, würden das Klopfen ihres Herzens hören, die Wärme ihres Körpers spüren, ihre zärtlichen Gefühle mit den lieblichen Düften dieser Nacht verschmelzen und sich ganz dem wonnigen Gefühle hingeben, eins zu sein in ihrem Denken und Fühlen.
Und das würde so fort und fort gehen in dem Rausche einer unzerstörbaren Liebe.
Plötzlich schien es ihr, als ob sie »ihn« drüben bemerkte; ein unerklärlicher wollüstiger Schauer durchrieselte sie vom Kopf bis zu den Füssen. Sie presste СКАЧАТЬ