Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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»Wisst Ihr … der Simon … nun, er hat keinen Vater.«
Der Sohn der Blanchotte trat in diesem Augenblick über die Schwelle der Schultüre. Er war sieben oder acht Jahre alt, etwas bleich, sehr sauber angezogen und von furchtsamen beinahe linkischen Wesen. Er wollte gerade zu seiner Mutter nach Hause gehen, als seine Schulgefährten, die immer noch flüsternd in Gruppen beisammen standen und ihn mit jenem tückischen und grausamen Blick der Kinder betrachteten, aus dem die Absicht irgend eines bösen Streiches spricht, sich ihm langsam näherten und ihn schliesslich ganz dicht umringten. Er blieb überrascht und verlegen mitten unter ihnen stehen, ohne recht zu begreifen, was sie eigentlich wollten. Aber der Bengel von vorhin, der noch ganz stolz auf die Neuigkeit war, die er den anderen gebracht hatte, fragte ihn:
»Du, wie heisst Du?«
»Simon!« antwortete er.
»Simon, was?« fragte der andere weiter.
»Simon«, wiederholte das Kind ganz bestürzt.
»Man heisst doch nicht nur Simon … das ist doch kein eigentlicher Name … Simon« rief ihm der Bengel zu.
»Ich heisse Simon«, sagte das arme Kind, dem jetzt die Tränen nahe standen, zum dritten Male. Die Jungens begannen zu lachen.
»Seht Ihr nun, dass er keinen Vater hat?« rief der Bengel triumphierend aus.
Hierauf entstand tiefes Schweigen. Die Kinder waren ganz bestürzt durch diese seltsame, fast undenkbare Tatsache, -- ein Junge, der keinen Vater hatte; -- sie betrachteten ihn wie ein Wunderding, ein unnatürliches Wesen, und allmählich griff auch in ihnen jene Verachtung Platz, die sie bisher bei ihren Müttern bemerkt hatten, ohne sie zu verstehen.
Simon hatte sich an einen Baum gelehnt, um nicht umgestossen zu werden, und stand nun erschreckt und verwirrt vor ihnen. Er suchte nach einer Erklärung, aber er fand nichts, womit er die schreckliche Tatsache, keinen Vater zu haben, hätte widerlegen können. Endlich rief er ihnen auf gut Glück zu:
»Wenn ich aber einen habe?«
»Wo ist er denn?« fragte der große Bengel.
Simon schwieg; er wusste es ja nicht. Die Kinder lachten wie toll. Diese Bauernjungen, tierisch von Natur aus, fühlten eine grausame Lust ähnlich der, wie sie die Hühner haben, wenn sie eines von ihnen, das krank oder verletzt ist, mit ihren Schnäbeln gänzlich umbringen. Plötzlich bemerkte Simon unter der Schar einen kleinen Nachbarn, den Sohn einer Witwe, den er immer allein mit seiner Mutter gesehen hatte.
»Und Du«, sagte er, »Du hast ja auch keinen Papa.«
»Wohl«, antwortete der andere, »ich habe einen.«
»Wo ist er denn«, warf Simon ein.
»Er ist tot«; erklärte das Kind mit stolzer Zuversicht, »mein Papa liegt im Grabe.«
Ein Beifallsgemurmel lief durch die Schar der Jungen, als wenn die Tatsache, einen toten Vater im Grabe zu haben, ihren Kameraden bedeutend gehoben hätte, während der andere sich mit nichts dergleichen rühmen konnte. Und diese Gassenbuben, deren Väter in der Hauptsache Taugenichtse, Trinker, Diebe und schlechte Ehemänner waren, drängten sich immer enger zusammen, als wollten sie den gewaltsam ersticken, der ihnen ausserhalb des Gesetzes zu stehen schien.
Plötzlich streckte der eine, der sich Simon gerade gegenüber befand, ihm mit verächtlicher Miene die Zunge aus und rief:
»Keinen Papa, keinen Papa!«
Simon fasste ihn mit beiden Händen beim Schopfe und stiess ihn mit den Füssen, während er ihn heftig in die Backe biss. Nun ging eine gewaltige Rauferei los. Die beiden Kämpfenden wurden getrennt, und Simon fühlte sich gerissen, gestossen und in einem Kreise von Jungens auf der Erde herumgewälzt, welche alle lebhaft Beifall klatschten. Als er wieder aufstand und mechanisch mit den Händen sein Röckchen vom Staube säuberte, rief ihm einer zu:
»Geh und sag’s Deinem Papa!«
Da empfand er in seinem kleinen Herzen einen grausamen Schmerz. Sie waren stärker wie er; sie hatten ihn beschimpft und er konnte ihnen nichts antworten, denn er fühlte es nur zu gut: Es war richtig; er hatte keinen Papa. Stolz suchte er eine Weile gegen die aufquellenden Tränen anzukämpfen; aber schliesslich überwältigte es ihn. Ein inneres Schluchzen erschütterte seinen Körper, dann rannen langsam, ohne dass er einen Ton von sich gab, die Tränen in großen Tropfen über seine Wangen.
Dies erregte bei seinen Feinden ein wildes Freudengeheul; sie fassten sich bei den Händen und tanzten um ihn herum, wie es die Wilden bei ihren schrecklichen Opferfesten machen. Dabei riefen sie fortwährend: »Keinen Papa! Keinen Papa!«
Aber plötzlich hörte Simon auf zu weinen; eine sinnlose Wut ergriff ihn. Vor ihm lagen Steine auf dem Boden; er hob sie auf und schleuderte sie mit aller Kraft nach den kleinen Teufeln. Drei oder vier derselben wurden getroffen und rannten laut heulend davon. Seine Mienen hatten einen so wilden Ausdruck angenommen, dass auch die übrigen ein panischer Schreck ergriff. Feige, wie es stets die Menge vor dem Zorne eines Einzelnen ist, lösten sie ihre Reihen auf und suchten ihr Heil in der Flucht.
Als der arme Kleine sich allein sah, rannte er nach dem Felde zu; denn es war ihm plötzlich eine Erinnerung aufgetaucht, die in seinem kleinen Gehirn eine vollständige Umwälzung hervorrief: Er wollte sich im Flusse ertränken.
Es fiel ihm nämlich ein, dass vor wenigen Tagen ein armer Teufel, der sich mühsam durch die Welt bettelte, sich ins Wasser gestürzt hatte, weil er kein Geld mehr besass. Simon war zugegen, als man ihn herausfischte, und der arme stille Mann, der ihm sonst höchst beklagenswert, schmutzig und widerwärtig СКАЧАТЬ