Название: Landsby
Автор: Christine Millman
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Landsby
isbn: 9783947634927
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Ich atme tief durch und versuche, mich zu entspannen. Eine halbe Ewigkeit liege ich in der Trommel, lausche den wechselnden Lauten und stellte mir vor, welche Abartigkeiten Oberst Weiß auf seinem Monitor erkennen mag. Der Gedanke schenkt mir Hoffnung, denn sollte er eine Anomalie entdecken, bliebe mir wenigstens das Reproduktionsprogramm erspart.
Schweiß bricht mir aus allen Poren. Wann ist diese elende Prozedur endlich vorüber? Ich unterdrücke den Impuls, mir die Kopfhörer herunterzureißen, den Notknopf zu drücken und zu brüllen, sie sollen mich doch lieber verbannen, als mich mit ihren gruseligen Geräten zu quälen.
Wie auf Kommando verstummt das Rattern abrupt. Ein leises Summen erklingt und die Liege fährt nach draußen. Theo erwartet mich. Er nickt Richtung Tür. »Oberst Weiß wertet die Ergebnisse aus und gibt dir dann bescheid. Du sollst im Flur warten.«
Ich versuche, etwas aus seinem Gesicht zu lesen. Wirkt er nervös? Betroffen? Mitleidig? Doch seine Miene bleibt undurchdringlich. Bestimmt hat er das geübt, damit die Leute nicht schon vor der Diagnose in Panik verfallen.
»Wie sieht es aus? Weißt du schon was?«, frage ich hoffnungsvoll.
Er schüttelt den Kopf. »Nein, tut mir leid.«
Im Flur erwartet mich eine Frau in einem weißen Kittel. »Bist du Jule?«
Ich nicke. Sie mustert mich streng, während sie mir zu meiner Entscheidung gratuliert und sich als Dr. Schneider vorstellt. Dann führt sie mich in einen Raum, in dem ein gynäkologischer Untersuchungsstuhl steht. Ich stocke.
»Keine Angst, wir machen nur einen Ultraschall und nehmen einen Abstrich. Zur Sicherheit.«
Ihre Worte beruhigen mich nicht. Im Gegenteil. Ihre emotionslose Stimme und die Tatsache, dass sie mich beim Sprechen nicht ansieht, verunsichert mich. Sie nimmt auf einem Rollhocker platz und deutet auf den Stuhl. Widerwillig schiebe ich mich auf die Sitzfläche, bleibe aber am Rand, damit ich abspringen kann, sollte die Sache unangenehm werden.
»Leg dich bitte zurück. Mach die Hose auf und schieb dein Shirt hoch«, bittet sie mich. »Keine Sorge. Das tut nicht weh.«
Ich gehorche und hasse sie dafür. Die Ultraschalluntersuchung ist nicht schlimm, das weiß ich, aber ich fühle mich dabei wie eine Laborratte. Insgeheim hoffe ich, dass sie etwas entdeckt. Einen fetten Tumor oder verkümmerte Eileiter. Irgendwas, das dafür sorgt, dass ich keine Kinder bekommen kann. Könnten die Blutergebnisse vor fünf Jahren nicht ein Irrtum gewesen sein?
»Sieht alles sehr gut aus«, sagt Dr. Schneider. Ein Hauch Euphorie schwingt in ihrer Stimme mit. »Jetzt mach dich unten frei. Für den Abstrich,« fügt sie hinzu, als sie mein Zögern bemerkt. Ich bekomme kein Wort heraus. Nichts ist mehr übrig von der aufsässigen Jule.
»Bist du sexuell aktiv?«, fragt sie, während ich die Hose abstreife. Ich spüre, wie ich erröte, und schüttle den Kopf. Sie notiert etwas auf ihrem Klemmbrett.
»Hattest du bereits Geschlechtsverkehr?«
Ich nicke. Ab und zu mit Paul, im Lauf unserer Zauberpilz umnebelten Nächte. Aber das erzähle ich Dr. Schneider natürlich nicht. Selbst Paul und ich sprechen nie darüber, weil wir unsere Freundschaft nicht gefährden wollen, denn wer Sex hat, ist meistens auch verliebt, oder? Ich warte auf Dr. Schneiders vorwurfsvollen Blick, auf die Bestätigung, dass sie lieber ein jungfräuliches Versuchsobjekt hätte. Doch ihre Miene bleibt undurchdringlich.
Als die Untersuchung zu Ende ist, hocke ich mich auf einen grünen Plastikklappstuhl in den Flur und warte. Und warte. Die Minuten tröpfeln dahin. Ab und zu läuft ein weiß gekleideter Mitarbeiter vorbei und nickt mir freundlich lächelnd zu. Meine letzte Hoffnung ruht auf dem MRT. Lieber möchte ich mit einem entarteten Organ leben als eine Gebärmaschine werden. Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass es so lange dauert? Langsam kehrt im Gebäude Ruhe ein. Bis auf Theo, der offensichtlich gelangweilt mit seinem Stuhl kippelt, und zwei Soldaten, die sich neben der Eingangstür postiert haben, ist niemand mehr zu sehen. Die Soldaten sind bei meinem Eintreffen noch nicht da gewesen und in mir wächst der Verdacht, dass sie wegen mir gerufen worden sind. Damit ich nicht abhaue.
Meine Fersen pochen nervös auf das Linoleum. Tacktacktack, wie der MRT, nur leiser.
Die Soldaten an der Tür starren an mir vorbei, als wäre ich gar nicht da. Ein Faden, der aus dem Saum meines Shirts ragt, dient meinen Fingern als Beschäftigung. Ich drehe und rollte ihn, ziehe ihn immer weiter heraus. Wenn ich so weitermache, kann ich das T-Shirt wegschmeißen.
»Jule?« Oberst Weiß Stimme schreckt mich auf.
Ich zucke hoch. »Ja?«
»Du kannst jetzt kommen.«
Ich schieße vom Stuhl und stürme ihm nach. Nur einen winzigen genetischen Defekt, mehr brauche ich nicht. Hauptsache genug, um mich für das Reproduktionsprogramm zu disqualifizieren.
»Bitte setz dich.« Er deutet auf einen Klappstuhl neben dem Tisch mit dem Monitor. Darauf ist in mehreren Aufnahmen ein plastischer Mensch zu sehen in Schwarz-Weiß. Eine Aufnahme zeigt die Organe, eine andere die Adern und das Dritte die Knochen. Dann gibt es noch ein Bild vom Schädel samt Gehirn.
»Bin ich das?«, frage ich.
Er nickt. So wie er strahlt, scheint alles in Ordnung zu sein. Egal, ich will es endlich wissen. »Und? Wie sieht’s aus?«
»Du bist kerngesund. Keine Anzeichen für das Vorhandensein des MM-Virus und auch keine anderen Erkrankungen. Deinem Einsatz für die Kolonie steht nichts mehr im Weg.«
Wie er das sagt. Als würde er etwas Tolles verkünden. Mir fällt nichts ein, was ich erwidern könnte. Nicht mal ein falsches Lächeln bekomme ich hin. Er ignoriert meine mangelnde Begeisterung, kramt ein paar Zettel aus einer Schublade unter dem Tisch und reicht sie mir. »Normalerweise geben wir den Vertrag erst bei der Aufnahme heraus, doch ich denke, es kann nicht schaden, wenn du ihn vorab sorgfältig durchliest.«
Sprachlos nehme ich die Zettel entgegen, wie betäubt von seinen Worten. Das Reproduktionsprogramm. Niemals hätte ich gedacht, dass ich daran teilnehmen werde. Ich gehöre nicht zu den Aufopfernden, den Mutigen, den Helden und für Kinder fühle ich mich sowieso viel zu jung. Plötzlich will ich nur noch raus hier. »Kann ich jetzt gehen?«
»Ja. Für heute sind wir fertig. Wir sehen uns in einer Woche.«
Eine Woche. Meine Galgenfrist. Ich werfe einen flüchtigen Blick auf mein transparentes Selbst auf dem Monitor und verlasse den Raum. Theo hält beim Kippeln inne, schaut kurz auf und hält grinsend den Daumen hoch.
»Wir sehn uns«, sagt er.
Die Soldaten stehen noch da, doch wie zuvor beachten sie mich nicht. Beim Vorbeigehen fällt mir auf, wie riesig sie sind, bestimmt anderthalb Köpfe größer als ich. Unheimlich.
Vor dem Haupteingang des medizinischen Zentrums halte ich einen Moment inne. Die Sonne steht hoch am Himmel, heißer Wind bläst mir ins Gesicht. Der Vertrag klebt an meinen schweißfeuchten Fingern. Am liebsten würde ich ihn wegwerfen. Ich blicke zur Mauer und überlege, wie es wäre, diesen Ort zu verlassen. Einfach fortzugehen und eine bessere Welt zu suchen. Kann es das überhaupt geben? Eine bessere Welt? Oder ist die Kolonie das Beste, zu was die letzten Menschen fähig sind? Gibt es dort draußen wirklich СКАЧАТЬ