Название: Landsby
Автор: Christine Millman
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Landsby
isbn: 9783947634927
isbn:
3
Heute werde ich untersucht.
Das dafür zuständige Labor liegt im Westsektor nahe der Mauer, auf dem Gelände des medizinischen Zentrums, das meiner Schätzung nach ein Zehntel der gesamten Koloniefläche einnimmt. Der graue Betonklotz wirkt düster und bedrohlich auf mich, was meine Anspannung noch verstärkt. In der Eingangshalle hätten bestimmt fünf Wellblechhütten Platz. Bis auf ein paar grasgrüne Sessel und eine Empfangstheke aus hellem Holz ist sie jedoch leer. Welch Verschwendung von Lebensraum.
Eine kleine, blasse Frau mit unglaublich dunklen Augenringen sitzt hinter der Theke und addiert Zahlen auf einem Block.
»Hallo«, sage ich und schiebe ihr meine Vorladung hin. »Mein Name ist Jule Hoffmann. Ich habe einen Termin.«
Sie blickt auf und strahlt mich an. »Du bist eine Freiwillige. Gratuliere.« Sie zieht das Schreiben zu sich heran und studiert es eingehend. Ich frage mich, ob sie dergleichen nicht bereits hundertfach zu Gesicht bekommen hat oder ob sich meine Vorladung in irgendeiner Weise von den anderen unterscheidet.
Schließlich erhebt sie sich. »Folge mir.«
Aufgeregt wuselt sie vor mir her, grinst mich dabei immer wieder über die Schulter hinweg an. Meine Reaktion ist ein halbherziges Zucken meiner Mundwinkel, was sie mit viel Wohlwollen als Lächeln deuten darf. Im zweiten Stock öffnet sie eine Schwingtür und tritt auf einen pickligen, jungen Mann zu, der hinter einem Tisch sitzt und gelangweilt mit seinem Stuhl kippelt. Ich kenne ihn. Ein Jahr zuvor ist er noch ein Schüler gewesen. Ich glaube er heißt Theo.
Die Empfangsdame legt ihm mein Schreiben hin. »Jule Hoffmann. Sie wird getestet. Fürs Programm.«
Theo wirft einen Blick auf das Papier und hebt dann überrascht die Augenbrauen. »Du hast dich freiwillig gemeldet? Ich dachte dein Vater ist Kommandant?«
Seine Worte jagen mir einen Schreck durch den Bauch. Ja, eigentlich müsste mir ein Dasein als Gebärmaschine erspart bleiben, aber er kennt meinen Vater nicht. Für das Wohl der Kolonie und seine Karriere geht er über Leichen. Ich versuche, cool zu bleiben. »Was tut man nicht alles fürs Gemeinwohl.« Hoffentlich wirkt mein Lächeln nicht allzu gekünstelt. Er soll nicht merken, wie sehr ich es hasse, hier zu sein.
Theo betätigt einen Schalter an der Sprechanlage und meldet mich an, woraufhin ein Soldat aus einer der Türen tritt und mich herbei winkt. Die Empfangsdame schenkt mir ein letztes, aufmunterndes Lächeln.
»Hallo. Ich bin Oberst Weiß«, stellt sich der Soldat vor. Jetzt erst sehe ich das Abzeichen auf seiner Brust. Er ist tatsächlich ein Offizier. Ich wusste gar nicht, dass die auch im medizinischen Zentrum arbeiten.
»Jule Hoffmann«, murmle ich und folge ihm in den ersten Raum. Wände und Boden sind gefliest. Überall stehen Chromregale, die mit allerlei Gerätschaften bestückt sind. Skalpelle, Pinzetten, Spritzen, Phiolen, Nierenschalen, ein Blutdruckmessgerät und vieles, was ich nicht kenne.
Oberst Weiß deutet auf eine schmale Liege. »Setz dich dahin. Ich nehme dir erstmal Blut ab.«
Ich schlucke. Meine Kehle ist staubtrocken. »Wofür?«
»Für den Gentest. Keine Angst, ich habe Übung darin.«
Zögerlich nehme ich Platz und halte ihm meinen Arm hin. Geschickt wickelt er eine Art Gürtel um meinen Oberarm und zieht ihn fest.
»Mach bitte eine Faust«, sagt er.
Mit dem Zeigefinger tastet er an der Innenseite meines Armes herum und sucht eine passende Ader. Als er eine gefunden hat, desinfiziert er die Stelle, nimmt eine Nadel und führt sie in meine Vene ein. Es klappt auf Anhieb. Fasziniert beobachte ich, wie mein Blut in das Röhrchen rinnt. Dunkles, dickflüssiges Blut, das mich verrät und zu einem Leben als Gebärmaschine verbannt.
Als Oberste Weiß genug beisammenhat, immerhin drei Röhrchen voll, bittet er mich, ihm zu folgen. Ich gehorche, obwohl alles in mir abhauen will. Wir betreten einen kleinen, düsteren Raum, in dem eine Liege aus einer zweimanngroßen Röhre ragt. In der Wand neben der Tür ist ein Fenster eingelassen, hinter dem ich einen Monitor und eine Schalttafel erkennen kann.
Ich deute auf das runde Ungetüm vor mir. »Was ist das?«
»Ein Magnetresonanztomograph oder kurz MRT. Der Einzige in den fünf Kolonien.«
Na toll. Soll mich das etwa beeindrucken? »Was tut er?«
Oberst Weiß lächelt stolz. »Damit können wir sehen, ob sich dein Gehirn oder andere Organe in deinem Körper verändern, und prüfen, ob du die restriktive Form des Virus in dir trägst. Das Gerät zeigt zudem die Stabilität deiner Körpertemperatur, die Blutflussgeschwindigkeit und die Gewebeelastizität.«
Mir wird schlecht. Unwillkürlich frage ich mich, wie viele Menschen wohl schon darin gelegen und anschließend erfahren haben, dass sie die chronische, langsam fortschreitende Form des MM-Virus tragen, dessen erste Symptome sich für gewöhnlich frühstens ab dem zwanzigsten Lebensjahr zeigen. In der Schule kursieren die wildesten Gerüchte darüber, wie man vor dem Test feststellen kann, ob man den MM-Virus trägt. Haarausfall, Müdigkeit, häufig auftretender Durchfall oder Sehschwäche würden auf MM hindeuten. Alles quatsch hat mein Vater gesagt. Vor dem Ausbruch der Krankheit kann man eine Infektion nur durch bildgebende Verfahren und eine Blutuntersuchung feststellen. Das Gute an dieser Form des Virus ist, dass er nicht mehr ansteckend ist, doch da die Mediziner befürchten, dass er jederzeit wieder in seine aktive, hochansteckende Form mutieren könnte, empfehlen sie die Verbannung Infizierter bereits vor Ausbruch der Krankheit.
Kurz vor Mutters Tod habe ich meinen Vater gefragt, warum es kein Heilmittel gibt, wo doch die Wissenschaftler seit einer halben Ewigkeit daran forschen. Er erklärte mir, dass es erste Erfolge gegeben habe, was einen Impfstoff betrifft, es aber zu Fehlschlägen gekommen sei. Dabei hat er ganz komisch gekuckt, irgendwie bedrückt, als würde ihn etwas quälen. Damals habe ich es darauf geschoben, dass meine Mutter und mein Bruder im Sterben lagen, doch nun bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Wer kann sagen, was wirklich in ihm vorging oder was er angestellt hat?
Oberst Weiß unterbricht meine Grübeleien. »Verhalte dich ruhig und konzentrier dich auf einen Punkt.« Er drückt mir einen roten Schalter in die Hand. »Solltest du Panik bekommen, drück’ den Knopf, doch versuche bitte, keine zu bekommen, sonst dauert es umso länger.«
Ich nicke stumm.
»Setz die Kopfhörer auf, das dämpft die Lautstärke«, fügt er hinzu.
Ich nehme die Hörer und stülpe sie über meine Ohren. Langsam fährt die Liege in das Innere der Trommel. Oberst Weiß löscht das Licht und verlässt den Raum. Es ist eng und unheimlich in dem Ding, wie in einem runden Sarg. Ich atme tief durch und kneife die Augen zu, um wenigstens gedanklich der Enge zu entfliehen.
Während ich dem lauten Tocktocktock lausche, denke ich darüber nach, wie viele Menschen schon verbannt worden sind, und frage mich, ob sie noch leben. Die Verbannung geschieht üblicherweise in aller Stille. Die Machthaber wollen Aufsehen oder Menschenaufläufe vermeiden. Schwer bewaffnete Soldaten und zwei oder drei Angehörige sind die Einzigen, die den Verbannten zum Tor begleiten. Alle anderen verschließen die Augen, wollen nicht sehen, was ihnen bevorstehen könnte, sollten sie aus irgendwelchen Gründen eine Belastung für die Kolonie werden.
Das Klopfen wechselt СКАЧАТЬ