Landsby. Christine Millman
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Название: Landsby

Автор: Christine Millman

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Landsby

isbn: 9783947634927

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СКАЧАТЬ um eine Kopfeslänge überragen. Ich bin überrascht. Bisher dachte ich, eine Verbannung wäre eine dramatische Angelegenheit für die Familie, doch was ich dort unten sehe, wirkt nicht besonders beeindruckend. Die junge Frau verzieht keine Miene, aber sie klammert sich an den Arm ihres Mannes, als wollte sie mit ihm verschmelzen. Die ältere Frau, die ich für seine Mutter halte, folgt den beiden gebeugt. Mit dem Tempo, das die Soldaten angeschlagen haben, kann sie kaum mithalten. Es ist eine schweigende Prozession. Als sie das Tor erreichen, fallen die Frau und der Mann einander in die Arme, während einer der Soldaten ein Stück Papier aus der Brusttasche zieht und es vorzulesen beginnt. Die Wachen öffnen derweil das Tor. Eine Seltenheit in der Kolonie. Aufgeregt spähe ich hinaus. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe - eine Horde Mutanten vielleicht oder Raubtiere, die auf Beute lauern. Stattdessen sehe ich staubige Erde und einen Teerweg. Nicht gerade spektakulär. Mein Blick gleitet über die Häuser. Schatten huschen hinter den Fenstern vorbei, doch niemand schaut hinaus. Die Straßen sind wie leergefegt. Dass die Verbannungen ignoriert werden, ist mir nicht neu, aber dass nicht einer es wagt, sie öffentlich in Frage zu stellen, oder wenigstens versucht, einen Blick nach draußen zu erhaschen, bestürzt mich. Sind die Menschen tatsächlich so abgestumpft? Oder sind sie eher eingeschüchtert?

      Die Soldaten lassen der Familie nur wenige Minuten Zeit, dann fassen sie den jungen Mann an den Armen und führen ihn zum Tor. Er wehrt sich nicht, blickt nur immer wieder zurück zu seiner Frau, die weinend zu Boden sinkt und die Hände vors Gesicht schlägt. Die alte Frau streicht ihr tröstend über die Schulter. Scheinbar haben die Soldaten Angst, dass der Verurteilte bei dem Anblick beschließen könnte, aufzubegehren und fassen fester zu. Der Mann zuckt zusammen und verzieht schmerzvoll das Gesicht. Die Wachsoldaten heben die Gewehre und richten sie auf die beiden Frauen. Eindeutig eine Drohung. Der Verurteilte muss sich fügen, ob er will oder nicht. Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen schießen.

      »Das ist das wahre Gesicht der Kolonie«, sagt Manja leise. Ihre Miene ist eine starre Maske, unter der sie ihre Erschütterung verbirgt. »Verbannung wegen einer Tüte voll Pilze. Weil er wollte, dass es seiner Familie besser geht.«

      Ich schlucke trocken. »Mich werden sie nicht verbannen, weil ich fruchtbar bin.« Der Gedanke sollte mich beruhigen, doch ich fühle nur Verbitterung und Wut.

      Und Angst.

      Manja sieht mich mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht an, den ich nicht deuten kann. Verachtung? Traurigkeit? »Das stimmt. Aber welchen Preis musst du dafür zahlen?«

      Ich kann ihrem Blick nicht standhalten und schaue zum Tor, das sich soeben hinter dem Verbannten schließt. Eine Schweißperle rinnt meine Wange hinab. Es könnte auch eine Träne sein.

      »Ich kenne da jemanden«, fährt Manja fort. »Den solltest du aufsuchen, bevor du dich wegsperren lässt.«

      Mit den Augen folge ich den beiden Frauen, die von den Soldaten verscheucht werden wie streunende Hunde. »Okay«, willige ich ein. »Wer ist es?«

      »Sein Name ist Fabio. Er hat vier Jahre lang in der Außenwelt gelebt.«

      Später am Tag gehe ich in die Wellblechsiedlung, um den Mann aufzusuchen, von dem Manja mir berichtet hat. Normalerweise würde ich so etwas nicht tun - zwischen den Hütten umherirren und einen Fremden suchen - aber die Verbannung geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

      Es fällt mir schwer zu glauben, dass dieser Fabio tatsächlich in der Außenwelt gelebt haben soll. Müsste er dann nicht tot sein? Und nicht nur das - seine Tochter soll am Programm teilgenommen haben, bevor sie nach zwei Jahren urplötzlich verbannt worden ist. Er hat sie begleitet, ist aber wieder zurückgekehrt, als sie starb. Die Geschichte klingt so ungeheuerlich, dass sie erfunden sein muss. Immerhin hat der Mann Fahnenflucht begangen. Das gehört zu den schlimmsten Vergehen in der Kolonie. Niemals hätte ihn der Offiziersrat wieder aufgenommen. Aber ich habe Manja versprochen, den Mann aufzusuchen, also werde ich es tun. Außerdem ist er die einzige Informationsquelle, die ich habe, nur für den Fall, dass ich mich doch noch dazu entschließen sollte, abzuhauen. Im Grunde weiß ich, dass ich viel zu feige bin, aber der Gedanke, dass ich abhauen könnte, gibt mir Kraft und scheint auch Manja zu beruhigen.

      Eine Stunde lang irre ich zwischen den Hütten umher und suche Fabios Behausung. Außer seinen Vornamen und den Abschnitt, in dem er angeblich wohnt, weiß ich nichts. Schließlich frage ich eine alte Frau unter einer Plane nach dem Weg. Der zottelige Hund, der neben ihr liegt und döst, hebt nicht mal den Kopf. Die Hitze macht ihn träge. Die alte Frau deutet auf eine heruntergekommene Hütte am Ende des Pfades.

      Das Dach hängt durch und ist übersät mit Steinen, die die Löcher im Blech abdecken. Putz bröckelt von den Wänden. Die linke Seitenwand ist mit Balken abgestützt. Die Hütte ist so runtergekommen und baufällig, dass sie eigentlich unbewohnbar ist.

      Ich klopfe zaghaft. »Hallo?«

      »Wer ist da?« Die Stimme klingt kratzig, als hätte der Mann einen wunden Hals.

      »Mein Name ist Jule.«

      »Was willst du?«

      »Sind Sie Fabio?«

      »Möglicherweise. Warum fragst du?«

      »Ich muss mit Ihnen sprechen, bitte. Es ist dringend. Ich habe einen Beutel Linsen dabei.«

      Ob mein Flehen ihn erweicht oder die Linsen, kann ich nicht beurteilen, ich vermute Letzteres. Humpelnde Schritte nähern sich, jemand fummelt am Türschloss herum. Fast muss ich mir ein Schmunzeln verkneifen. Die Hütte würde zusammenfallen, wenn man fest genug gegen die Wand tritt. Was soll ein Türschloss da nutzen?

      Vor mir steht ein dürrer Mann, kleiner als ich, mit schütterem Haar und einem zerfurchten Gesicht. Unmöglich, sein Alter zu schätzen, denn trotz des körperlichen Verfalls wirkt er aufmerksam und agil. Er mustert mich. »Du bist nicht von hier.«

      Seine Stimme schwankt, verliert sich am Ende des Satzes in einem Krächzen, doch er spricht dialektfrei und mit klaren Worten, nicht wie ein Mann aus der Wellblechsiedlung.

      Ich halte ihm die Linsen hin. »Ich habe Fragen zur Außenwelt und zum Programm.«

      Erschrecken huscht über sein Gesicht. Ängstlich sieht er sich um, bevor er mich ruckartig in seine Behausung zieht. »Bist du von Sinnen, Mädchen?«

      Das Innere des Hauses bestätigt den heruntergekommenen Eindruck. Ein altes Bettgestell aus Eisen, der Gitterlattenrost nicht vollständig bedeckt von einer fleckigen Matratze, auf der eine dunkelgrüne Decke der Neuen Armee liegt. Ein wackeliger, Holztisch, drei Stühle und ein Sofa, das vielleicht mal beige gewesen ist, nun aber von Flecken und Rissen übersäht. Entlang der Wände stehen Regale, gefüllt mit Einmachgläsern und Konserven und verschieden große Holzkäfige, in denen Äste, Blätter und Gestrüpp liegen. In manchen kann ich Beine erkennen. Lange, haarige Beine und glatte, glänzende.

      »Was haben Sie da?«, frage ich beklommen.

      Zärtlich streicht Fabio über die Gitterstreben. »Das sind meine Haustiere.«

      »Sie halten Insekten?«

      Er grinst breit. »Alles, was sich in meine Behausung wagt und mindestens so groß ist wie meine Handfläche, sammle ich ein.«

      Ich denke daran, welche Anstrengungen die Menschen unternehmen, um die Krabbelviecher von ihren Wohnungen fernzuhalten und schüttle mich vor Ekel. Mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination trete ich СКАЧАТЬ