Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815226
isbn:
»Also dann gehen wir heute abend zu Alexander Crottat, und damit das auch gleich erledigt wird, werden wir gleichzeitig unsern Ehekontrakt dort aufsetzen lassen.«
Der Antrag auf Rehabilitation und alle dazu erforderlichen Unterlagen wurden von Derville dem Generalstaatsanwalt beim Obergericht unterbreitet. Während des Monats, den die erforderlichen Formalitäten und das Aufgebot Cäsarines und Anselms in Anspruch nahmen, befand sich Birotteau in fieberhafter Erregung. Er lebte in ewiger Unruhe, er fürchtete, den Tag nicht mehr erleben zu können, an dem das Urteil gesprochen werden würde. Er beklagte sich über Herzklopfen, ohne daß ein Grund dafür vorläge, und über dumpfe Schmerzen in diesem Organ, das von den schmerzlichen Aufregungen und jetzt von dieser überschwenglichen Freude abgenutzt und überanstrengt war. Rehabilitationsurteile sind bei dem Obergericht von Paris eine so seltene Sache, daß alle zehn Jahre kaum eins gefällt wird. Für diejenigen, die die Gesellschaftsordnung ernst nehmen, hat das Gerichtsverfahren eine gewisse Größe und Bedeutung. Die Institutionen hängen völlig von dem Gefühl ab, das die Menschen in bezug auf sie beseelt, und von der Bedeutung, die sie ihnen beilegen. Wenn das Volk daher, wenn schon keine Religion, aber auch keinen Glauben mehr hat, wenn bei der Erziehung von Anfang an jedes erhaltende Band gelöst wird, indem man das Kind daran gewöhnt, alles rücksichtslos zu zerfasern, dann befindet sich eine Nation im Zustande der Auflösung, denn sie hängt nur noch durch die gemeine Fessel der materiellen Interessen zusammen und durch die Vorschriften des Götzendienstes, den der wohlverstandene Egoismus geschaffen hat. Erfüllt von religiösen Anschauungen, nahm Birotteau die Justiz als das, was sie in den Augen aller Menschen sein sollte, als die Verkörperung der Gesellschaft selbst, als den erhabenen Ausdruck des anerkannten Gesetzes, unabhängig von der Form, in der sie auftritt; je älter, gebrechlicher und weißhaariger der Beamte ist, desto feierlicher ist die Ausübung seines erhabenen Amtes, das ein so tiefgehendes Studium der Menschen und der Dinge verlangt, das das Herz schweigen heißt und es verhärtet gegen jede Berücksichtigung irgendwelcher privater Interessen. Sie werden selten, die Menschen, die nicht ohne Erregung die Treppe zum Obergerichtshof im alten Justizpalast hinaufsteigen, aber der ehemalige Kaufmann war einer von diesen Menschen. Wenige haben die majestätische Feierlichkeit dieser Treppe beachtet, die so wirkungsvoll angelegt ist; sie liegt oben in dem äußeren Peristyl, der den Hof ziert, und ihre Tür befindet sich mitten in einer Galerie, die von der riesigen Vorhalle bis zur Sainte-Chapelle führt, den beiden Monumentalbauten, die alles neben sich unbedeutend erscheinen lassen. Die Kirche des heiligen Ludwig ist eine der imposantesten Baulichkeiten von Paris, und ihr Zugang am Ende dieser Galerie hat gewissermaßen etwas Düsteres und Romantisches. Die große Vorhalle dagegen liegt in vollem Lichte da, und es ist schwer, hier nicht an Frankreichs Geschichte zu denken, die mit dieser Halle so eng verbunden ist. Die Treppe an sich macht einen grandiosen Eindruck, weil sie von den beiden Bauten, so gewaltig sie sind, doch nicht erdrückt wird. Auch wird die Seele wohl bewegt angesichts des Platzes, auf den man durch das Gitter des Palastes blickt, und wo einst die Urteile vollzogen wurden. Die Treppe mündet auf einen riesigen Raum, die Vorhalle des Saales, in dem die Sitzungen des obersten Gerichtshofs abgehalten werden. Man kann sich also denken, wie erregt der Kridar, auf den diese Umgebung schon an sich einen gewaltigen Eindruck machte, war, als er, umgeben von seinen Freunden, sich zu der Sitzung hinauf begab; es waren Lebas, zur Zeit der Präsident des Handelsgerichts, Camusot, sein Konkursverwalter, Ragon, sein früherer Prinzipal, und der Abbé Loraux, sein Beichtvater. Eine Bemerkung des frommen Priesters über diese weltliche Pracht machte sie in den Augen Cäsars noch eindrucksvoller. Pillerault hatte sich, als praktischer Philosoph, vorgenommen, die Freude seines Neffen jetzt noch höher zu steigern, damit nachher die Überraschungen des geplanten Festes nicht zu gefährlich auf ihn einwirkten. Deshalb erschienen, als der ehemalige Kaufmann sich eben angekleidet hatte, seine wahren Freunde bei ihm und bestanden auf der Ehre, ihn bis zu den Schranken des Gerichtshofs zu begleiten. Dieses Ehrengeleit bereitete dem braven Manne eine solche Befriedigung, daß er in die erforderliche begeisterte Stimmung versetzt wurde, um dem imposanten Schauspiel der Gerichtssitzung gewachsen zu sein. Birotteau fand auch noch andere Freunde zugegen, als er den feierlichen Sitzungssaal betrat, in dem ein Dutzend Räte am Gerichtstisch saßen.
Nach dem Aufruf der Sache begründete Birotteaus Anwalt mit wenigen Worten seinen Antrag. Jetzt erhob sich der Generalstaatsanwalt, dem der erste Präsident das Wort erteilt hatte, um seine Ausführungen zu machen. Im Namen der Staatsanwaltschaft stellte er, als Vertreter der Staatsautorität, selbst den Antrag, Birotteau seine kaufmännische Ehre, die er nur verpfändet hatte, wieder zuzusprechen; das war die einzig zulässige Formel, denn als Verurteilter hätte er nur begnadigt werden können. Wer ein Herz hat, kann sich vorstellen, von welchen Gefühlen Birotteau bewegt wurde, als er Herrn von Grandville seine Rede halten hörte, die kurz folgendes besagte:
»Meine Herren Richter,« sagte der berühmte Beamte, »am 16. Januar 1820 wurde Birotteau durch Spruch des Seine-Handelsgerichts für in Konkurs geraten erklärt. Sein Fallissement ist weder durch waghalsige Geschäfte, noch durch falsche Spekulationen, noch durch irgendeinen andern Grund, der seine Ehre beflecken könnte, verursacht worden. Wir empfinden das Bedürfnis, öffentlich zu verkünden: sein Unglück ist veranlaßt worden durch eine jener Übeltaten, die zum schmerzlichsten Bedauern der Justiz und der Stadt Paris immer wieder vorkommen. Es ist unserm Jahrhundert, in dem noch lange die üble Hefe der sittlichen und geistigen Anschauungen der Revolutionszeit nachgären wird, vorbehalten geblieben, mit anzusehen, wie das Pariser Notariat sich von den glorreichen Traditionen früherer Jahrhunderte loslöst und in wenigen Jahren ebenso viele Konkurse aufweist, wie sich sonst in zweihundert Jahren unter der alten Monarchie ereignet haben. Die Gier nach schnell erworbenem Reichtum hat auch die öffentlichen Funktionäre ergriffen, diese Hüter des allgemeinen Wohlstandes, diese mittelbaren Beamten!«
14
Es folgte nun eine breite Ausführung über diesen Gegenstand, wobei der Graf von Grandville, seiner Rolle entsprechend, Gelegenheit fand, СКАЧАТЬ