Название: Honoré de Balzac – Gesammelte Werke
Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815226
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»Ohne es zu wollen,« fuhr er fort, erschreckt von dem Entsetzen, das sich auf Konstanzes Gesicht malte, »habe ich die ersten Worte von du Tillets Brief gelesen. Diese Worte passen so seltsam zu dem Eindruck, unter dem dieser Mann meine tolle Forderung sofort bewilligt hat, daß jeder zu der Auslegung kommen würde, die mir ein böser Geist gegen meinen Willen einflüsterte. Ihr Blick und zwei Worte haben genügt …«
»Nicht weiter«, sagte Frau Konstanze, nahm den Brief und verbrannte ihn vor Anselms Augen. »Liebes Kind, ich bin für ein geringes Versehen grausam bestraft worden. Aber Sie sollen alles wissen, Anselm. Ich will nicht, daß der Verdacht, den die Mutter erregt hat, der Tochter schaden könne, und ich kann darüber reden, ohne erröten zu müssen; ich würde auch meinem Manne sagen, was ich Ihnen gestehen will. Du Tillet hat mich verführen wollen, ich habe es sofort meinem Manne mitgeteilt und du Tillet wurde entlassen. Am Tage, an dem ihn mein Mann verabschieden wollte, hat er uns dreitausend Franken gestohlen!«
»Das kann ich mir denken«, sagte Popinot mit einer Betonung, in der sein ganzer Haß zum Ausdruck kam.
»Anselm, Ihre Zukunft, Ihr Glück verlangten dieses Geständnis; aber es muß in Ihrem Herzen begraben sein, wie es in meinem und Cäsars begraben war. Sie werden sich noch an das ›Zanken‹ meines Mannes wegen des Kassenirrtums erinnern. Um einen Prozeß zu vermeiden und diesen Mann nicht unglücklich zu machen, hat Birotteau zweifellos die dreitausend Franken wieder in die Kasse getan, das Geld für diesen Kaschmirschal, den ich deshalb erst drei Jahre später bekommen habe. Daher mein Ausruf. Ach, liebes Kind, ich will Ihnen auch noch mein kindisches Benehmen erklären; du Tillet hatte mir drei Liebesbriefe geschrieben, die ihn so treffend kennzeichneten,« seufzte sie und schlug die Augen nieder, »daß ich sie … als eine Seltenheit aufbewahrt habe. Ich habe sie nur einmal gelesen. Aber immerhin war es unklug, sie aufzuheben. Als ich nun du Tillet jetzt wiedersah, mußte ich an sie denken; ich ging hinauf, um sie zu verbrennen, und betrachtete den letzten, als Sie hereintraten … das ist alles, mein Lieber.«
Anselm kniete vor ihr nieder und küßte ihre Hand mit einem solchen Ausdruck von Verehrung, daß beiden die Tränen in die Augen traten. Sie hob ihn auf, breitete ihre Arme aus und drückte ihn an ihr Herz.
Dieser Tag sollte ein Freudentag für Cäsar werden. Der Geheimsekretär des Königs, Herr von Vandenesse, suchte ihn im Bureau auf, um mit ihm zu reden. Sie gingen zusammen in den kleinen Hof der Schuldentilgungskasse.
»Herr Birotteau,« sagte der Vicomte von Vandenesse, »Ihre Bemühungen, Ihre Gläubiger zu bezahlen, sind durch einen Zufall zur Kenntnis des Königs gelangt. Seine Majestät, erfreut über eine so seltene Handlungsweise, hat auch erfahren, daß Sie sich nicht für würdig halten, Ihr Kreuz der Ehrenlegion zu tragen, und hat mich beauftragt, Ihnen zu befehlen, den Orden wieder anzulegen. Außerdem wünscht Seine Majestät Ihnen die Erfüllung Ihrer Verpflichtungen zu erleichtern und übermittelt Ihnen diesen Betrag aus ihrer Privatschatulle, wobei sie bedauert, nicht mehr für Sie tun zu können. Dies soll aber tiefes Geheimnis bleiben; Seine Majestät findet es eines Königs nicht würdig, seine Wohltaten öffentlich bekannt zu machen«, sagte der Geheimsekretär und überreichte dem Angestellten sechstausend Franken, der während dieser Ansprache von unaussprechlichen Empfindungen bewegt wurde.
Birotteau vermochte nur unzusammenhängende Worte zu stammeln. Vandenesse verabschiedete sich, indem er ihm lächelnd mit der Hand zuwinkte. Die Grundsätze, nach denen der arme Cäsar handelte, sind eine so seltene Sache in Paris, daß seine Lebensführung unmerklich bewundernde Aufmerksamkeit erregte. Joseph Lebas, der Richter Popinot, Camusot, der Abbé Loraux, Ragon, der Chef des bedeutenden Hauses, in dem Cäsarine tätig war, Lourdois, Herr von Billardière, alle hatten davon erzählt. Die öffentliche Meinung, die schon zu seinen Gunsten umgeschlagen war, erhob ihn jetzt in den Himmel.
»Das ist ein Ehrenmann!« Dieses Wort hatte Cäsar schon mehrmals vernommen, wenn er durch die Straßen ging, und es hatte dieselbe Empfindung bei ihm verursacht, die ein Autor hat, wenn er sagen hört: »Das ist er!« Dieser gute Ruf war ein tödlicher Schlag für du Tillet. Als Cäsar die vom König gesandten Kassenscheine empfing, war sein erster Gedanke, seinen ehemaligen Kommis damit zu bezahlen. Er begab sich nach der Rue de la Chaussée d’Antin und begegnete dem Bankier, der gerade heimkehrte, auf der Treppe.
»Na, ›mein armer‹ Birotteau?« sagte dieser in gönnerhaftem Tone.
»Armer?« rief der Schuldner stolz aus. »Ich halte mich für reich. Ich werde heute abend mein Haupt mit dem stolzen Bewußtsein auf die Kissen legen, daß ich meine Schuld bei Ihnen bezahlt habe.«
Diese von Ehrenhaftigkeit diktierten Worte waren ein schmerzhafter Stich für du Tillet. Trotz des allgemeinen Ansehens, das er genoß, konnte er selbst sich nicht achten; und eine unüberhörbare innere Stimme rief ihm zu: »Dieser Mann handelt erhaben!«
»Sie wollen mich bezahlen? Was für gute Geschäfte haben Sie denn gemacht?«
Überzeugt, daß du Tillet es nicht weiter erzählen würde, sagte der ehemalige Parfümhändler: »Ich werde niemals wieder Geschäfte machen, Herr du Tillet. Keine menschliche Macht konnte vorhersehen, was mir passiert ist. Wer kann wissen, ob ich nicht das Opfer eines andern Roguin werden könnte? Aber mein Verhalten ist dem Könige bekannt geworden, sein gütiges Herz hat sich herabgelassen, Mitleid mit meinen Anstrengungen zu haben, und er hat mich dazu weiter ermutigt, indem er mir soeben eine ziemlich bedeutende Summe zugestellt hat, die …«
»Wünschen Sie eine Quittung?« fragte du Tillet, ihn unterbrechend; »wieviel wollen Sie zahlen …«
»Alles ohne Abzug, auch die Zinsen, und deshalb will ich Sie bitten, mich zwei Schritte von hier zu Herrn Crottat zu begleiten.«
»Eine notarielle Quittung?«
»Herr du Tillet,« sagte Cäsar, »es ist mir doch nicht verboten, an meine Rehabilitierung zu denken, und dazu sind authentische Unterlagen erforderlich! СКАЧАТЬ