Название: Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit
Автор: Marie Brennan
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Der Onyxpalast
isbn: 9783966580762
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In ihrer Hast vergaß sie beinahe ihren Karren. Eliza zog ihren zweiten Rock wieder an, zerrte den Karren die Treppe hoch und scherte sich nicht darum, ob sie die Austern jetzt verschüttete. Miss Kittering. South Kensington. Damit muss ich keinen weiteren Monat warten.
Owen – ich komme.
DER GOBLINMARKT, LONDON
19. März 1884
»Träume, gute und schlechte! Geliebte, von den Toten zurück, gerade ganz billig, oder Dämonen, die euch für nur etwas mehr jagen … Guten Morgen, mein Hundefreund. Man sagt, dass es dir dieser Tage gut geht.«
Der Tote Rick starrte Broddy Bobbin finster an und gab ihm einen Wink, dass er seine Stimme senken solle. »Glaubst du, ich will, dass das über den ganzen Markt geplärrt wird, Mann? Nur weil ich genug habe, um die Leute davon abzuhalten, mir die Finger zu brechen, heißt das nicht, dass ich bereit bin, mein Brot herumzuschwenken wie irgendein reicher Angeber.«
Die Truhe, auf der Bobbin stand, brachte ihn nur auf die Größe des Toten Rick. Wie die meisten Hauselfen war er kaum kindergroß. Jegliches derart hässliche Kind jedoch wäre in Gefahr, in einem Fluss ertränkt zu werden. Er lächelte den Toten Rick an, aber es war eine unschöne Sache, schlimm genug für das Gesicht eines Goblins. »Also hast du wirklich Brot. In diesem Fall: Lass mich dir zeigen …«
Der Skriker rollte mit den Augen. »Ich habe dir gesagt, dass ich meine Schulden abbezahle. Selbst wenn ich deine armseligen kleinen gebrauchten Träume haben wollen würde, hätte ich für sie nichts zu entbehren. Ich suche nur nach Cyma.«
Bobbin verzog den Mund, aber sein verletzter Blick war sogar noch schlimmer als sein Lächeln, und das wusste er. Nachdem er den Toten Rick als verloren abgeschrieben hatte, deutete er mit einem knorrigen Daumen weiter die Kammer hinunter. »Sie hat vor einer kurzen Weile mit Kohlen-Eddie geredet. Sag du diesem Bastard, dass er nächstes Mal besser ein paar wertvolle Träume stiehlt. Die letzte Lieferung war reiner Müll.«
In diesen Tagen waren sie immer Müll. Träume richtig zu stehlen, kostete Zeit und Mühen. Die Goblins und Pucks, die derartige Dinge taten, konnten beides nicht länger entbehren. Hauptsächlich gab sich der Goblinmarkt mit dem zufrieden, was er bereits hatte, sodass alle immer wieder denselben Tand und Müll kauften und verkauften, wie ein Blutegel, der sich selbst aussaugte. Und die Waren wurden mit jedem Austausch kaputter und abgetragener.
Das hielt sie jedoch nicht davon ab, es zu versuchen. Das hier, der größte von den eigentlichen Handelsplätzen des Markts, war voller Lärm und Bewegung. Keine Sterblichen – jene wurden anderswo verkauft, auf einem Fleischmarkt voll schreiender Säuglinge und Menschen in Käfigen –, aber tausend Arten von Dingen, von gefangenen Träumen bis zu zerkratzten Phonografenzylindern. Fae aller Arten und Nationen kamen hierher, um zu kaufen oder zu verkaufen. Die Mehrheit mochten Engländer sein, aber da waren Schotten und Iren und Waliser, Deutsche und Spanier und Franzosen, Kreaturen von so weit her, dass sie vielleicht eine ganz andere Art von Wesen waren. Ein Stall enthielt eine gewaltige dreiköpfige Schlange, und der Elf, der davor stand, verkündete, sie sei eine Naga aus dem entfernten Indien. Sie beobachtete die Passanten mit benebeltem und unfreundlichem Blick.
Der Tote Rick fand Cyma, während sie vor einem gesprungenen Spiegel stand und ein Kleid aus bedruckter Baumwolle vor ihren Körper hielt. Das Ding sah seltsam aus, mit einer winzigen Corsage, die nicht weiter als bis über die Brust reichte, und einem schmalen Rock, der locker von dort hinunterfiel. »Wo im Feenland ist das hergekommen?«
Cyma schüttelte amüsiert und mitleidsvoll den Kopf. »Erinnerst du dich nicht? So etwas hat man früher getragen, vor Jahren – sterbliche Frauen haben das. Während der Herrschaft des Prinzregenten. Ich habe das wundervoll gefunden. Sehr griechisch, findest du nicht?«
Es hätte chinesisch sein können, was ihn betraf. Der Tote Rick trat näher und murmelte: »Ich kann dich jetzt ausbezahlen. Zum Großteil zumindest – ein bisschen fehlt mir immer noch. Aber wenn du mich ein oder zwei Bissen behalten lässt, kann ich den Rest wahrscheinlich organisieren.«
Er hatte sich Cyma bis zum Schluss aufgehoben, weil sie freundlicher als seine anderen Gläubiger war. Sie war eine Hofdame gewesen, besagten Gerüchte, damals, als es noch einen Hofstaat gegeben hatte, der über die wenigen Gefolgsleute des Prinzen hinausgegangen war, aber sie verbrachte ihre Zeit nicht damit, in den verbliebenen Gärten mit der knappen Handvoll Lords und Ladys zu schäkern, die übrig waren. Sie konnte es nicht: Cyma hatte ihre eigenen Schulden, von einer Art, die nicht mit Brot zurückgezahlt werden konnten, und Nadrett hielt sie unter Kontrolle. Das machte sie mitfühlender als die meisten anderen. Sie würde ihm die zusätzliche Verzögerung vielleicht verzeihen.
Der Tote Rick war verblüfft, als sie lächelte und ihm die Wange tätschelte. »Du bist ein Süßer, hm? Mich auszahlen, wenn ich weiß, dass du so gut wie mittellos bist. Du musst dir keine Sorgen machen. Behalt es für dich. Es stört mich nicht.«
Er spannte sich misstrauisch an. »Im Tausch gegen was?«
Cyma hob die Augenbrauen. »Gar nichts. Ich brauche es nicht, Toter Rick.«
Die Benutzung seines Namens war so gut wie eine gesamte kodierte Botschaft. Niemand sonst benutzte ihn. Beinahe niemand auf dem Markt kannte ihn. Er war nur Nadretts Hund, ein namenloser Sklave. Jene Worte auf Cymas Lippen zu hören, verriet ihm, dass sie nicht irgendein Spielchen spielte und ihre Verzeihung gegen irgendeinen Gefallen von ihm einhandeln wollte. Sie meinte es so. Er schuldete ihr nichts mehr.
Warum?
Selbst wenn sie irgendwelche sterblichen Geliebten an der Leine gehabt hätte, wäre das Brot wertvoll gewesen. Damit konnte sie sich praktisch alles kaufen, was sie wollte. Jenes Kleid, und alles andere, was der gelangweilte Puck hinter ihr zu verkaufen hatte. Alles, außer Freiheit von Nadrett. »Was hast du getan, eine Bäckerei geplündert?«
Sie lachte. »Nein, nein. Besser als das. Ich gehe fort, Toter Rick. Ich habe genug von all dem hier.« Eine Hand machte einen eleganten Bogen und deutete auf die geschmacklosen Exzesse des Goblinmarkts um sie herum. »Ich gehe fort.«
Das rief ein seltsames Stechen in seinen Eingeweiden hervor. »Du glaubst, du kannst vor Nadrett weglaufen?«
»Nicht weglaufen, nein …« Cymas Miene wurde finster. »Ich weiß, wie Nadrett ist. Aber ich habe getan, was er mir befohlen hat, und meine Schulden beglichen, und jetzt … tja, ich muss in die Zukunft blicken, nicht wahr?«
Das spiegelte die Gedanken des Toten Rick wider und machte den Krampf in seinen Eingeweiden schlimmer. »Wohin?«
Sie legte verschmitzt einen Finger an ihre Nase. »Das wüsstest du wohl gerne. Aber ich bin zu schlau, um irgendetwas zu verraten. Ich will nicht, dass irgendjemand meinen Platz stiehlt. Behalt das Brot, Toter Rick, mit meinen guten Wünschen. Benutze es, um dir deine eigene Freiheit von diesem schrecklichen Kerl zu erkaufen.«
Der Schmerz war wie ein Stachel in seinem Inneren. Wenn ich nur könnte.
Er murmelte ein Danke für das Brot an Cyma und trat den Rückzug an, ehe seine Verbitterung ihn überwältigen konnte. Dann bahnte er sich seinen Weg tiefer ins Labyrinth des Goblinmarkts und suchte das eine, was sogar noch seltener war als Brot: Einsamkeit.
Der Korridor, zu dem er ging, hatte СКАЧАТЬ