Название: Der neue Sonnenwinkel Box 9 – Familienroman
Автор: Michaela Dornberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Der neue Sonnenwinkel Box
isbn: 9783740970222
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»Und welche?«, erkundigte sie sich. »Pia ist weg, und wir wissen beide, wo sie ihr Leben verbracht hat, ehe sie zu uns kam. Vielleicht gefällt es ihr hier nicht, vielleicht fühlt sie sich bedrängt, durch unsere Fürsorge eingeengt, vielleicht hat sie …«
»Alma, jetzt ist es genug«, unterbrach Roberta die aufgelöste Frau. »Ich bin zwar überzeugt davon, dass Pia wiederkommen wird, aber wenn es nicht so sein sollte, dann müssen wir es akzeptieren. Sie ist volljährig, kann tun und lassen was sie möchte. Wir können sie nicht ständig bewachen oder wie ein kleines Hündchen an die Leine nehmen. Wenn sie gegangen ist, wird sie dafür ihre Gründe haben. Vielleicht macht sie aber auch nur einen Spaziergang, um ihr neues Umfeld ein wenig zu erkunden, und wir haben ihr auch von der Felsenburg erzählt, vom See.«
Alma bewunderte die Frau Doktor für ihre Ruhe, die sie an den Tag legte. Sie selbst war aufgewühlt, aber vielleicht war es auch nicht normal, auf welche Weise sie das Leben von Pia in die Hand genommen hatte. Und das aus der Erfahrung heraus, die sie selbst auf der Straße gemacht hatte. Sie wusste, worum es ging, und sie kannte auch Gefühle wie Scham, falschen Stolz. Auch als es ihr schlecht gegangen war, sie sich sicher fühlen durfte, hatte sie kurz daran gedacht, einfach wieder zu gehen, weil es ihr unerträglich erschienen war, der Frau Doktor zur Last zu fallen. Glücklicherweise war sie rasch wieder zur Besinnung gekommen, und ihr Verstand hatte ihr gesagt, dass sie sich einen falschen Stolz überhaupt nicht leisten konnte. Doch man durfte eines nicht vergessen, sie war älter gewesen. Wenn man jung war, handelte man impulsiv, überdachte nicht das Tun, nicht die Konsequenzen, die alles haben konnte. Ihre Gedanken fuhren Karussell, das immer schneller wurde.
Pia …
Sie steigerte sich immer mehr hinein, und sie war fest davon überzeugt, dass sie Pia niemals mehr wiedersehen würde. Und da konnte auch die Frau Doktor sie nicht vom Gegenteil überzeugen.
Als es an der Tür klingelte, schoss es Alma sofort in den Kopf, dass das die Polizei sein musste. Sie war zu nichts fähig und unendlich dankbar dafür, dass die Frau Doktor selbst zur Tür ging, um zu öffnen.
Und dann hörte Alma nur noch: »Hallo, Pia, da bist du ja wieder. Wir haben uns schon große Sorgen gemacht«, das klang wie eine Feststellung, nicht wie ein Vorwurf.
»Ich war spazieren«, antwortete Pia, die mittlerweile zusammen mit Roberta den Raum betreten hatte, in dem Alma wie ein Häufchen Elend auf einem Stuhl saß. »Und eigentlich wollte ich hinauf zur Felsenburg, um mir die mal aus der Nähe anzusehen. Aber das ging nicht, weil alles abgesperrt ist. Das ist jammerschade. Es wäre kein Problem gewesen, durch den Zaun hindurchzuschlüpfen, aber dann habe ich mich doch nicht getraut. Wenn man die Polizei gerufen hätte, dann hätte die mich mitgenommen, weil ich ja keine Adresse habe.«
Sofort wandte Roberta ein.
»Pia, die hast du. Du wohnst jetzt bei uns, und natürlich werden wir dich anmelden, und falls du keine Papiere hast, werden wir welche für dich besorgen. Und wir müssen uns unbedingt darüber unterhalten, was du tun möchtest. Wir haben mit dir noch nicht darüber geredet, weil wir dich erst einmal ankommen lassen wollten. Und natürlich bist du hier nicht eingesperrt, du kannst tun und lassen was du willst. Doch es wäre schön, wenn du uns das nächste Mal Bescheid sagen würdest, dass du weggehst, und wenn niemand da ist, dann kannst du einfach einen Zettel auf den Tisch legen. Sieh dir Alma an, die hat sich sehr große Sorgen deinetwegen gemacht.«
Pia blickte betroffen drein.
»Das wollte ich nicht. Ich habe nicht nachgedacht, und ich würde niemals weglaufen. So gut wie hier kann es mir überhaupt nicht gehen, und manchmal …, da muss ich mich in den Arm kneifen, um mich davon zu überzeugen, dass ich nicht träume.«
Sie blickte Roberta an.
»Warum tun Sie das für mich? Ich bin eine Fremde, noch dazu eine von der Straße, die packt man normalerweise nicht einmal mit der Feuerzange an.«
Roberta ging darauf nicht ein.
»Für mich bist du ein ganz liebenswerter Mensch, der es verdient hat, dass ihm geholfen wird. Pia, jetzt habe ich leider keine Zeit für ein ausführliches Gespräch, und das müssen wir führen. Aber eines kann ich dir versichern, ich bin froh, dass du da bist. Du bereicherst mein Leben, vor allem das von Alma.«
Nach diesen Worten ging sie, weil sie schon spät dran war und es nicht zu ihren Gepflogenheiten gehörte, ihre Patienten warten zu lassen.
Alma und Pia waren allein. Das sie etwas miteinander verband, war spürbar, und als Alma leise sagte: »Ich habe mir ja solche Sorgen gemacht«, begann Pia zu weinen. Nicht, weil sie jetzt ein schlechtes Gewissen hatte. Sie hatte sich nichts dabei gedacht. Nein, sie weinte, weil sie es nicht kannte, dass jemand sich Sorgen um sie machte. Ihr Vater hatte nur an sich gedacht, und wenn etwas nicht nach seinem Kopf gegangen war, hatte er angefangen zu prügeln. Und ihre Mutter. Die war einsam und kraftlos gewesen, hatte sich längst aufgegeben. Es war umgekehrt gewesen, sie hatte sich immerzu Sorgen um ihre Mutter gemacht, und das, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, in einem Alter, in dem man normalerweise mit Puppen spielte.
Alma sprang auf, nahm Pia in ihre Arme, drückte sie liebevoll an sich, und so standen sie eine ganze Weile zusammen und fühlten einander sehr nahe, und Pia genoss das Gefühl, beschützt und geliebt zu werden.
Pia war wieder da: …
Das war der Gedanke, der Alma beherrschte, gepaart mit einem ganz großen Gefühl von Liebe für dieses Mädchen, das behutsam mit allem vertraut gemacht werden musste, was für andere Jugendliche dieses Alters selbstverständlich war.
Sie würde Pia all die Liebe geben, die sie aufbringen konnte, dachte Alma in diesem Augenblick. Alma war ein gläubiger Mensch, auch wenn sie manchmal an Gott gezweifelt hatte. Sie war fest davon überzeugt, dass Pia auf ihren Weg kommen musste, weswegen, das würde sich zeigen.
Pia lehnte sich vertrauensvoll an Alma, genoss deren Wärme und Nähe, und irgendwann erkundigte sie sich mit kaum hörbarer Stimme: »Bist du ein Engel?«
Und diese Frage brachte Alma zum Weinen …
*
Claire hatte sich endlich einmal wieder die Zeit genommen, die Marathonstrecke zu laufen, die Achim ihr gezeigt hatte. Wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie gehofft, ihn vielleicht zu treffen und ein wenig mit ihm zu plaudern. Sie war sich noch immer sicher, mit ihm derzeit keine Beziehung eingehen zu wollen, aber als Freund hätte sie ihn gern in ihrem Leben. Sie vermisste die Gespräche mit ihm, aber auch die gemeinsamen Aktivitäten, und es war schön gewesen, ihn beim Lauf neben sich zu spüren. So eine Strecke konnte sehr lang sein, wenn man sie allein lief.
Sie hatte ihn nicht getroffen, und da machte sie sich bewusst, dass es Dinge gab, die nicht zu ändern waren. Wer weiß, wofür es gut gewesen war. Achim hatte sich mehr versprochen, und sie bedauerte ein wenig, dass sie nicht so fühlte wie er.
Sie hatte zwar eine Garage, doch meistens war sie zu faul, den Wagen da rein zu fahren. Es war bequemer, ihn auf der Straße stehen zu lassen. Außerdem wollte sie kurz bei Hulda vorbeischauen, um sie wenigstens zu begrüßen. Sorgen machen musste sie sich um die alte Dame nicht mehr, denn Hulda hatte tatsächlich Anschluss gefunden. Aus der Zufallsbekanntschaft mit den drei Herrschaften hatte sich mehr entwickelt. Sie besuchten gemeinsam nicht nur die Theatergruppe und den Kurs in italienischer Sprache, sondern sie besuchten sich gegenseitig. Das machte Claire richtig glücklich, die alte Dame war aus ihrer Lethargie erwacht und so richtig aufgeblüht.
Wenn es immer so einfach СКАЧАТЬ