Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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Wo sich kein schwarzes Pulver fand, hatte das Straßenbild eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem eines Sonntags in der City: die geschlossenen Läden, die festversperrten Häuser, die herabgelassenen Vorhänge, die Verödung, die Stille. In manchen Häusern waren schon Plünderer an der Arbeit gewesen, aber kaum nach anderen Dingen, als nach Essvorräten und Wein. In einem Haus fand ich das Schaufenster eines Goldschmieds erbrochen, aber der Dieb war offenbar gestört worden, denn eine Anzahl goldener Ketten und Uhren lagen verstreut auf dem Straßenpflaster. Ich hielt mich nicht auf, die Dinge zu berühren. Etwas weiter fand ich ein zerlumptes Weib zusammengekauert auf einer Türstufe sitzen; die Hand, die über ihr Knie herabhing, wies eine klaffende Wunde auf und das Blut rieselte über ihr rostbraunes Kleid; eine große zerbrochene Champagnerflasche bildete eine Lache auf dem Straßenpflaster. Das Weib schien schlafend, war aber tot.
Je weiter ich in London eindrang, desto tiefer wurde die Stille. Aber es war nicht so sehr die Stille des Todes — es war die Stille des Bangens, der Erwartung. Jeden Augenblick konnte die Zerstörung, welche schon die Nordwestgrenze der Hauptstadt in Brand gesteckt und Ealing und Kilburn zerstört hatte, auch diese Häuser treffen und sie in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandeln. Es war eine zum Tode verurteilte, im Stich gelassene Stadt.
In South-Kensington waren weder Leichname noch schwarzes Pulver zu sehen. Es war in der Nähe von South-Kensington, dass ich zum ersten Male das Geheul hörte. Es schlich sich fast unmerklich in meine Sinne. Es war ein schluchzender Wechsel zweier Töne: »Ulla, ulla, ulla, ulla«, klang es unaufhörlich.
Als ich durch Straßen kam, die nach Norden führten, schwoll es stark an, und Häuser und Mauern schienen es abzuschwächen und endlich zum Schweigen zu bringen. In der Ausstellungsstraße schwoll es zur vollen Kraft an. Ich blieb verwundert stehen, starrte nach Kensington Gardens und begriff nicht, was dieses ferne Klagegeheul zu bedeuten hatte. Es war, als hätte die gewaltige Häuserwüste eine Stimme für ihre Furcht und ihre Einsamkeit gefunden.
»Ulla, ulla, ulla, ulla«, klagte dieser übermenschliche Ton — große Schallwogen fegten die breiten, sonnenhellen Straßen zwischen den hohen Gebäuden auf beiden Seiten hinab. Von Staunen ergriffen wandte ich mich nach Norden gegen die eisernen Tore des Hydeparks. Ich überlegte schon, ob ich in das naturhistorische Museum eindringen und auf die Spitze seines Turmes klettern sollte, um über den Park hinüberzusehen. Aber ich entschloss mich doch, unten zu bleiben, wo ich doch besser Gelegenheit finden konnte, mich im Notfall rasch zu verstecken, und so ging ich auf der Ausstellungsstraße weiter. Alle die Villen auf beiden Seiten der Straße waren leer und still und meine Schritte hallten gegen die Häuser wieder. Am Ende der Straße, in der Nähe des Parkeingangs, bot sich mir ein seltsamer Anblick – ein gestürzter Stellwagen und das sauber abgenagte Gerippe eines Pferdes. Das machte mich eine Zeit lang stutzig, dann aber ging ich über die Brücke des Serpentinenteiches. Die Stimme wurde lauter und lauter, obwohl ich jenseits der Häuserdächer, auf der Nordseite des Parkes nichts sehen konnte, als einen Rauchschleier im Nordwesten.
»Ulla, ulla, ulla, ulla«, heulte die Stimme, die, wie mir schien, vom Bezirk um Regent’s Park herkam. Der trostlose Schrei lastete sich mir auf die Seele. Die mutige Stimmung, die mich bisher aufrechterhalten hatte, schwand wieder. Das Klagegeheul bemächtigte sich meines Gemütes. Ich fand, dass ich unendlich elend, ermattet und hungrig und durstig war.
Es war schon Mittag vorüber. Warum wanderte ich denn da allein umher in dieser Stadt des Todes? Warum blieb ich denn allein zurück, jetzt, da ganz London in schwarzes Leichentuch gehüllt, auf der Bahre lag? Ich fand meine Vereinsamung unerträglich. Ich dachte an alte Freunde, die ich jahrelang vergessen hatte. Ich dachte an die Gifte in den Chemikergeschäften, an den Trank, den die Weinhändler aufgespeichert hatten; ich dachte an die zwei weinseligen Geschöpfe der Verzweiflung, die, soviel ich wusste, den Besitz der Stadt mit mir teilten.
Ich gelangte durch das Marmortor des Hyde Park in die Oxfordstreet; hier fand ich wieder schwarzes Pulver und Leichen; ein abscheulicher und verdächtiger Geruch stieg aus den Kellerfenstern einiger Häuser auf. Die Hitze und mein langer Marsch machten mich sehr durstig. Nach unendlicher Mühe gelang es mir, in eine Schenke einzubrechen und etwas zu essen und zu trinken zu finden. Nach der spärlichen Mahlzeit wurde ich müde, ging in eine Stube hinter dem Schanktisch und schlief auf einem schwarzen Rosshaar-Ruhebett, das ich dort fand.
Ich erwachte, um jenes schauerliche Geheul noch immer in den Ohren klingen zu hören. »Ulla, ulla, ulla, ulla.« Es dämmerte schon, und nachdem ich einige Zwiebackstücke und etwas Käse im Schankzimmer zusammengerafft hatte — das Fleisch war wohl unberührt, aber es bestand fast aus nichts als aus Maden — wanderte ich über die ruhigen Wohnplätze zur Bakerstreet — der Portmanplatz ist der einzige, den ich mit Namen nennen könnte — und gelangte endlich an den Regent’s Park. Und als ich aus der Bakerstreet heraustrat, sah ich in weiter Ferne jenseits der Bäume im klaren Licht des Sonnenuntergangs die Haube eines Marsriesen, von dem das Geheul ausging. Ich empfand keinerlei Furcht. Ich schritt auf ihn zu, als wäre das eine ganz natürliche Sache. Eine Zeit lang beobachtete ich ihn, aber er rührte sich nicht. Er stand nur da und heulte aus einem Grund, den ich nicht entdecken konnte.
Ich versuchte, mir einen Plan zurechtzumachen. Dieses unausgesetzte Geheul, dieses »Ulla, ulla, ulla, ulla« verwirrte meinen Geist. Vielleicht war ich auch zu müde, um Furcht zu haben. Gewiss ist, dass die Begierde, der Ursache dieses eintönigen Geheuls auf den Grund zu kommen, stärker war als meine Furcht. Ich wandte mich nun vom Park weg und schlug mich in die Parkstraße mit der Absicht, den Park zu umgehen, ging dann unter dem Schutz der Terrassen immer weiter, und bekam nun diesen beständig heulenden Marsmann aus der Richtung von St. John’s Wood zu Gesicht. Etwa zweihundert Yard von der Bakerstreet entfernt hörte ich ein vielstimmiges, wütendes Gekläff, und sah, erst einen Hund mit einem Stück fauligen, roten Fleisches in den Zähnen blitzschnell auf mich zulaufen, und dann eine Meute halb verhungerter Köter, die ihn verfolgten. Er machte einen weiten Bogen, um mir auszuweichen, als fürchtete er, in mir einen neuen Wettbewerber zu finden. Als das Gekläff die breite Straße hinunter СКАЧАТЬ