Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Ein Marsmann!«, sagte der Kurat.
Ich lauschte wieder.
»Es sah nicht wie der Hitzestrahl aus«, sagte ich und eine Zeit lang gab ich mich der Vermutung hin, eine der großen Kriegsmaschinen wäre gegen das Haus angerannt, so ähnlich, wie ich eine gegen den Kirchturm von Shepperton anrennen gesehen hatte.
Unsere Lage war so wunderlich, so unbegreiflich, dass wir drei oder vier Stunden lang, bis es dämmerte, uns kaum rührten. Zögernd flutete das Licht herein, nicht durch das Fenster, sondern durch eine dreieckige Öffnung zwischen einem Balken und einem Haufen zerbröckelter Ziegel in der Mauer hinter uns. Zum ersten Male sahen wir in grauer Dämmerung das Innere der Küche.
Das Fenster war durch eine Masse Gartenerde eingedrückt worden, die über den Tisch, auf den wir saßen, herabrieselte und sich um unsere Beine legte. Draußen war der Boden hoch gegen das Haus zu aufgeworfen. Am oberen Ende des Fensterrahmens konnten wir eine ausgerissene Dachrinne bemerken. Der Boden war von gebrochenem Gerümpel aller Art dicht bedeckt. Ein Teil der gegen die Hausmauer zu gelegenen Küchenwand war eingestürzt; und nun, da das Tageslicht voll hereinsah, wurde es uns klar, dass der größere Teil des Hauses zertrümmert war. Einen lebhaften Gegensatz zu dieser Verwüstung bot der zierliche Anrichtetisch, der nach der Mode blassgrün gestrichen war und eine Anzahl Kupfergeschirre und Zinnkrüge enthielt. Die Tapete bestand in einer Nachahmung blauer und weißer Ziegel und ein paar farbige Bögen flatterten von den Wänden über dem Küchenherd herab.
Als die Dämmerung fortschritt, sahen wir durch den Spalt in der Mauer die Gestalt eines Marsmannes, der, wie ich vermute, bei dem noch glühenden Zylinder Wache stand. Bei diesem Anblick krochen wir, so behutsam wie möglich, aus dem Zwielicht der Küche in die Dunkelheit der Waschkammer zurück.
Ganz unvermittelt dämmerte in mir nun die richtige Auslegung der nächtlichen Vorfälle auf.
»Der fünfte Zylinder«, flüsterte ich, »das fünfte Geschoss vom Mars hat dieses Haus gestreift und uns unter seinen Trümmern begraben!«
Einige Zeit blieb der Kurat still, dann flüsterte er:
»Gott, erbarme dich unser!«
Dann hörte ich, wie er still vor sich hin wimmerte.
Von diesen Lauten abgesehen, lagen wir ganz still in der Waschkammer. Ich für meinen Teil wagte kaum, zu atmen, und saß da, mit meinen Augen unverwandt nach dem schwachen Licht der Küchentür starrend. Ich konnte gerade noch das Gesicht des Kuraten unterscheiden, eine undeutliche, ovale Fläche; außerdem noch seinen Kragen und seine Manschetten. Draußen begann jetzt ein Hämmern, wie auf Metall, dann ein heftiges Geheul, und dann nach einer kurzen Stille ein Zischen, wie das Zischen einer Maschine. Diese zum größten Teil rätselhaften Geräusche setzten sich mit geringen Unterbrechungen fort, und schienen womöglich im Lauf der Zeit an Zahl zuzunehmen. Jetzt hörte man ein gemessenes Aufschlagen und die Erschütterung, die folgte, ließ alles um uns herum erbeben. Das Geschirr in der Speisekammer klirrte und tanzte. Das dauerte lange so fort. Einmal erlosch das Tageslicht völlig, und der geisterhafte Kücheneingang tauchte in vollständige Dunkelheit unter. Viele Stunden lang müssen wir dort schweigend und fröstelnd gekauert sein, bis endlich unsere ermattete Aufmerksamkeit erlahmte.
Endlich erwachte ich, von nagendem Hunger gequält. Ich muss wohl annehmen, dass der größere Teil eines Tages vor jenem Erwachen vergangen war. Mein Hunger war mit einem Male so heftig, dass er mich zum Handeln trieb. Ich sagte dem Kuraten, dass ich nach Nahrung suchen wolle, und tastete mich leise nach der Speisekammer durch. Er gab keine Antwort, aber sobald ich zu essen begann, veranlasste ihn das leise Geräusch, das ich machte, auszustehen und mir nachzukriechen.
II. Was wir von dem zerstörten Haus aus erblickten
Nach dem Essen krochen wir wieder in die Waschkammer zurück; dort muss ich wieder eingeschlummert sein, denn als ich erwachte, fand ich mich allein. Das Aufschlagen und die Erschütterung dauerten mit ermüdender Hartnäckigkeit an. Mehrere Male rief ich flüsternd nach dem Kuraten; endlich tastete ich mich nach der Küchentür hin. Noch war es Tag und ich bemerkte meinen Gefährten, wie er am anderen Ende der Küche gegen das dreieckige Loch zu, das auf die Marsleute hinabsah, ausgestreckt lag. Seine Schultern waren in die Höhe gezogen, sodass ich seinen Kopf nicht sehen konnte.
Ich vernahm ein Gewirr von Geräuschen, die fast an den Lärm erinnerten, der aus einem Lokomotivschuppen tönt. Der Boden schwankte unter den heftigen Schlägen. Durch die Maueröffnung konnte ich den von der Sonne vergoldeten Wipfel eines Baumes und das warme Blau eines friedlichen Abendhimmels sehen. Eine Minute etwa blieb ich stehen und beobachtete den Kuraten, dann schritt ich gebückt weiter und bemühte mich, mit äußerster Behutsamkeit durch die Mengen von Scherben zu gehen, die den Boden bedeckten.
Ich berührte das Bein des Kuraten und er schreckte so heftig zurück, dass sich draußen eine Menge Mörtel loslöste und mit lautem Geräusch zu Boden fiel. Aus Furcht, er könnte schreien, packte ich seinen Arm, und lange Zeit kauerten wir bewegungslos nebeneinander. Dann wandte ich mich, um zu sehen, wie viel noch von unserer Festung stehengeblieben war. Die Loslösung des Mörtels hatte einen senkrechten Spalt in der zerstörten Mauer gebildet, und indem ich mich vorsichtig über einen Balken beugte, war ich imstande von dieser Lücke aus das zu erblicken, was vorige Nacht noch eine stille Vorstadtstraße gewesen war. Die Veränderung, die wir erblickten, war in der Tat erstaunlich.
Der fünfte Zylinder muss mitten in das Haus hineingefahren sein, das wir zuerst betreten hatten. Das Gebäude war verschwunden, vollkommen zerschmettert, durch die Wucht des Stoßes zermalmt und zerstoben. Der Zylinder lag nun weit unter den ursprünglichen Grundmauern, tief in einem Loch drin, das noch unendlich größer war, als die Grube, in die ich bei Woking hineingeblickt hatte. Die Erde rings um den Zylinder herum war bei der ungeheuren Wucht des Einfalls aufgespritzt — »gespritzt« sage ich, das ist der einzige, zutreffende Ausdruck — und lag in aufgetürmten Haufen da, welche die Nebenhäuser verbargen. Sie war gewichen wie Lehm unter dem Aufschlag eines mächtigen СКАЧАТЬ