Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen, trotzdem fehlte mir der Appetit. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihm zurück, mein zusätzlicher Sinn richtete sich ständig auf seine Seele und ich wurde nicht müde, sein Gesicht anzusehen.
Mein Leben lang hatte ich Männer gefürchtet, mich vor ihnen versteckt und so viel Abstand wie möglich zu ihnen gehalten.
Was war nur mit mir geschehen, dass ich anfangen musste, an meinem Verstand zu zweifeln?
7
Erwachen
Ich erwachte von dem leisen Fiepen, das der Beutel mit der Kochsalzlösung von sich gab, als er beinahe geleert war. Schwer hob ich den Kopf und blinzelte ins weiße Licht der Deckenbeleuchtung. Mein Nacken knackte und ich wischte mir eine Sabberspur von der Wange. Stöhnend richtete ich meinen Rücken auf und schnappte nach Luft, als ein scharfer Schmerz in meine Brustwirbel fuhr.
Ich war doch tatsächlich mit dem Kopf auf der Liege eingeschlafen. Mein Mund war wie ausgedörrt und mein Hals schmerzte. Langsam erhob ich mich, ging mit kleinen Schritten zum Waschbecken und spritzte mir erst einmal lauwarmes Wasser ins Gesicht.
Kaltes gab es hier kaum. Die Hitze der Wüste hielt die Rohre warm verpackt und leitete die Wärme ins Wasser.
Ich trank ein paar Schluck direkt aus der Leitung und ging dann zu meinem Loch, um mich abzutrocknen und mir meine tägliche Tablettendosis einzuverleiben. Ein Blick in die Spiegelscherbe, die an meiner Wand hing, zeigte mir ein ziemlich zerzaustes Mädchen mit schlimmen Augenringen und einem harten Zug um den Mund, der wohl von meinen Schmerzen herrührte. Mit den Fingern fuhr ich mir durch die Locken, löste ein paar Knoten und versuchte es nicht noch schlimmer zu machen.
Das wiederholte Fiepen erinnerte mich daran, dass ich zu tun hatte. Ein Blick auf die Anzeige über der Tür verriet mir, dass ich lediglich drei Stunden geschlafen hatte. Ich fühlte mich noch immer zerschlagen, aber die Nacht neigte sich bereits dem Ende zu.
Ich ging zurück zu den beiden Pritschen. Meine Knie taten bei jedem Schritt weh und die Muskulatur in meinem Hintern war ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Warum hatte ich auch im Sitzen geschlafen? Gähnend rieb ich mir den Nacken und knete den Übergang von Hals zu Schulter zwischen zwei Fingern.
Am besten wechselte ich die Beutel und zog mich noch mal eine Weile in mein Loch zurück. Vielleicht würden dann auch die Kopfschmerzen besser werden, die ich schon seit zwei Tagen hatte.
Ich schloss die Zufuhr am Schlauch, wechselte den Beutel am Bett des blonden Hünen und griff nach seinem Arm, um zu kontrollieren, ob die Haut um die Einstichstelle herum auch nicht zu sehr gerötet war.
Meine Finger legten sich auf die Haut des Mannes und ein Ruck ging durch ihn hindurch. Was folgte, dauerte nur einen Wimpernschlag. Der Arm wurde mir entrissen, eine riesige Pranke schloss sich um meinen Hals und drückte mir die Luft ab.
Es war viel zu schnell gegangen, als dass ich in irgendeiner Art hätte reagieren können. Kein Ton kam über meine Lippen und meine Lunge krampfte sich sofort zusammen.
»Was tust du da, du Schlange!«, grollte der Blonde und durchbohrte mich mit seinem scharfen Blick. Ich konnte ihn nur mit großen Augen anstarren und sein Handgelenk mit meinen kleinen Fingern umschließen, während meine Lunge nach Sauerstoff schrie. Auch mein Herz krampfte sich durch den Schreck zusammen, während ich zu verstehen versuchte, was gerade geschah.
Dieser Mann hätte frühestens in acht bis zehn Stunden aufwachen dürfen. Es fehlte ihm noch eine Menge Flüssigkeit und sein Kreislauf konnte unmöglich stabil genug sein, um sich plötzlich aufzurichten und mich zu erwürgen.
Mir dagegen wurde bereits schwindelig, schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und ich zog mit so wenig verbliebender Kraft an seiner Hand, dass ich fürchtete, er würde es nicht mal spüren.
»Lass sie los!«, sagte eine tiefe Stimme und die grau verwaschenen Augen richteten sich auf jemanden hinter mir. Sofort öffnete der blonde Riese die Hand und ich fiel wie ein Sack voll Sand zu Boden.
Japsend holte ich Luft, hustete, rollte mich auf dem Boden zusammen und wartete darauf, dass mein Brustkorb aufhörte zu brennen.
»Wer ist sie?«, hörte ich den Blonden fragen und drückte mir die Fäuste gegen das stechende Herz.
»Ich weiß es nicht. Aber es ist möglich, dass sie diejenige ist, die uns aufgeweckt hat. Also wäre es vielleicht ratsam, sie nicht gleich umzubringen!«, antwortete ihm die andere Stimme scharf und dann quietsche das Untergestell der Krankenliege hinter mir. Er war es.
Ich wusste es, noch bevor er in mein Blickfeld trat, über mir aufragte wie ein Krieger, gefährlich und doch der Traum meiner schlaflosen Nächte. Er reichte mir die Hand zum Aufstehen. Mir war immer noch schwindelig und der Blick in seine türkisgrünen Augen machte es nicht besser.
Dennoch ergriff ich zögerlich seine Finger, die sich fest um meinen Handrücken schlossen. Warm und voller Kraft. Schwankend kam ich auf die Füße und er legte mir die Hand an die Seite, damit ich nicht wieder umfiel.
Ich zuckte vor der Berührung zurück und entzog ihm meine Finger. Mein Herz schaffte es nicht, den Schreck zu überwinden und langsamer zu werden. Es stürzte sich einfach in die nächste Aufregung und das war mit dem kürzlichen Sauerstoffmangel keine gute Kombination.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Mann vor mir ruhig und hob eine Augenbraue.
Ich blinzelte verwirrt. »Ich muss mich kurz setzen«, flüsterte ich und machte die wenigen Schritte zu meinem Eimer, auf dem ich mich vorsichtig niederließ und mich mit dem Rücken gegen die Liege lehnte.
Die zwei Männer sahen mir dabei zu und ich schloss die Augen, um einen schnellen Blick in ihre Seelen zu werfen. Hätte ich das mal vorher schon gemacht, wäre mir der Überraschungsangriff vielleicht erspart geblieben.
Der Blonde hatte eine gelassene innere Haltung, die sich auf die Anwesenheit des zweiten Mannes stützte. Es war Vertrauen, Anerkennung und sogar Zuneigung auf familiärer Basis. Wie bei Brüdern. Nur dass sie sich nicht im Geringsten ähnlich sahen.
Er, der Mann, der mein Herz bewegte, hielt seinen Arm ausgestreckt, damit der Schlauch darin nicht den Beutel mit der Kochsalzlösung vom Haken holte. Seine Seele war unruhig, stürmisch, seine Gefühle angehaucht von Misstrauen und sein Geist voller ungefasster Meinungen. Er traute mir nicht, weil er mich nicht kannte, und doch hatte er mich davor bewahrt, von seinem Bruder erwürgt zu werden.
Vielleicht sah er in mir ja eine Art von Nutzen. Vielleicht war ich es aber auch einfach nicht wert, von einem wie ihm nicht wie eine Küchenschabe angesehen zu werden.
»Welches Jahr haben wir?«, wollte er von mir wissen und ich öffnete die Augen.
Ich dachte kurz nach. Wusste ich das überhaupt?
»Ich hab keine Ahnung«, gab ich also zurück. »In welcher Zeitrechnung denn?«
Das war etwas, um das ich mich nie gekümmert hatte. Die Zeit war hier relativ bedeutungslos. Selbst ZentralStunden waren nur eine Maßeinheit, СКАЧАТЬ