Название: Magdalene und die Saaleweiber
Автор: Christina Auerswald
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783963110320
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Er legte die Feder zur Seite. »Was drückt dich, Lenchen?«
Verlegen knüpfte sie die Bänder ihrer Schürze. Sie musste es vorsichtig anfangen und durfte nicht mit der Tür ins Haus fallen.
»Die Else«, sie trat einen Schritt näher, bis sie dicht vor ihm stand. »Wie lange willst du sie in unserem Haushalt behalten? Ich meine, wenn man älter wird, verliert man Kräfte und Fähigkeiten. Man merkt es Else schon an.«
Ein friedliches Lächeln ergriff sein rundes Gesicht. Die Knopfaugen glitzerten. »Du bist ein guter Mensch, Lenchen, sorgst dich um alle, nicht wahr?«
Sie schluckte. Georg glaubte an das Gute in allen Menschen. Seine Freundlichkeit nahm ihr den Wind aus ihren Segeln.
»Die Barmherzigkeit ist eine unserer wichtigsten Aufgaben im Leben«, erklärte er. »Ich freue mich an deiner Demut. Du tust, was unser Herr in der Heiligen Schrift sagt: ›Wer gütigen Auges ist, der wird gesegnet werden, denn er gibt von seinem Brot den Geringen.‹ Viel zu wenige Menschen sind von tätiger Liebe beseelt! Stell dir vor, wir würden die, die nicht mehr für andere arbeiten können, ihrem Schicksal überlassen. Wir hatten viele Jahre lang unseren Nutzen von ihrem Fleiß, deshalb sind wir ihnen schuldig, sie im Alter zu stützen. Genauso wollen wir es mit Else halten. Sie ist bald fünfzig, das heißt, sie kann noch gut und gern zwanzig Jahre bei uns arbeiten. Wenn sie eines Tages zu alt für die Arbeit ist, soll sie weiter bei uns bleiben. Sie kann in der warmen Stube sitzen und den Kindern Märchen erzählen.«
Magdalene schluckte. »Was wäre, wenn sie ausreichend Eigentum hätte, um sich selbst zu versorgen? Leinen, Geschirr, Bettzeug?«
Georg zuckte die Schultern. Seine Antwort klang unbesorgt. »Woher sollte sie das haben? Ihr Mägdelohn ist nicht hoch genug, dass sie sich Hausrat kaufen kann.«
Magdalene antwortete vorsichtig: »Sie könnte Geld gestohlen haben.«
Georgs friedliche Miene verschwand wie der Sonnenschein hinter einer fliehenden Wolke. Sein Finger ragte steil und tintenbefleckt in die Luft. »Else stiehlt nicht. Das sind böswillige Vermutungen. Schlechte Reden des einen über den anderen dulde ich in meinem Haus nicht.«
»Das ist nicht bloß Gerede, ich habe Fakten. Weißt du, was sie heute getan hat? Sie hat die Schüssel zerbrochen, in der ich das Fleisch pökele, und zwar mit Absicht …«
Noch während sie redete, merkte sie, dass das vor Georg wie Kleinkrämerei klingen musste. Eine zerbrochene Schüssel war in seinen Augen unwichtiger als ein heruntergefallenes Pfefferkorn. Was zeigte schon die Sache mit der Schüssel? Nichts. Schüsseln können nun mal herunterfallen. Das war kein Beweis für Elses Aufsässigkeit.
Sie setzte noch einmal zu reden an, wollte ein neues Beispiel nennen, aber Georg wiegte den Finger. »Sei endlich still! Ich dulde keine bösen Reden!« Er ließ den Finger sinken. »Es ist Sünde, seine Zeit mit Bosheit gegeneinander zu vergeuden.« Er tauchte seine Feder in das Tintenfass, bekleckerte sich erneut mit einem Tintenspritzer und schrieb weiter in sein Buch.
4. KAPITEL
In den Stunden nach dem Gespräch mit Georg brannte der Zorn gegen ihre Altmagd so heftig wie noch nie in Magdalenes Brust, aber je mehr Zeit verging, umso mehr beruhigte sie sich. Bisher hatten Elses Vorzüge die Nachteile überwogen, weil sie sich fleißig und geschickt anstellte und alle Arbeiten beim Kochen, Putzen und in der Vorratshaltung so perfekt beherrschte, dass man viel von ihr lernen konnte. Magdalenes zornige Gedanken bekamen im Lauf der folgenden Stunden helle Wölkchen. Nach drei Tagen konnte sie sich wieder vorstellen, mit Else friedlich zusammenzuleben.
Else musste früher eine schöne Frau gewesen sein. Das Besondere waren ihr Lächeln und das Strahlen ihrer blauen Augen, das sie manchmal zeigte, wenn sie sich unerwartet über etwas freute. In solchen Fällen schien es, als würde sie sich nach kurzer Zeit selbst zur Ordnung rufen, um zu ihrem gewohnten missgelaunten Gesicht zurückzukehren.
Das Beste waren Elses gutmütige Momente. Die tauchten hin und wieder zu Beginn der Dämmerung auf, wenn die Frauen die Arbeit in der Küche fast geschafft hatten und langsamer wurden, wenn ihnen die Arme vom Häckseln, Raspeln oder Kneten schwer waren, wenn das Licht sank und die Sehnsüchte sich auf das Abendessen richteten. In dieser Zeit konnte Else ins Reden kommen. Manchmal redete sie von früher. Alle alten Leute waren so, das wusste Magdalene. Die Jungen taten die schwere Arbeit und die Alten genossen das Privileg, manchmal die Arme sinken zu lassen und zu reden.
Wenn Else von früher redete, dann meinte sie ihre Zeit in Weißenfels. Nach dem zu urteilen, was sie am Rand erwähnte, war sie ein bettelarmes Mädchen gewesen, selbst Tochter einer einfachen Hausmagd, und von einem Vater redete sie nie. Es musste eine schöne Zeit gewesen sein, trotz des Hungers, von dem Else sprach, als wäre sie stolz darauf, trotz der Flöhe, die sie zur Genüge gespürt und der Lumpen, die sie getragen haben musste.
Else kam nur ins Erzählen, wenn sie die Anwesenheit ihrer Herrin vergaß. Magdalene versuchte sich in solchen Momenten nicht zu rühren, sie fragte nicht nach, sagte keinen Ton. Vielleicht würde, hoffte sie, damit etwas aus Else aufbrechen, ein freundlicher, liebenswerter Kern, der alles gut machte. Sie stellte sich vor, wie Else als junges Mädchen am Saaleufer zusammen mit anderen Kindern gelacht und gekichert hatte, die blonden Haare aufgeflochten, ein schönes Mädchen.
Else kannte eine Menge Geschichten. Ihre Geschichten von früher gingen unmerklich in Sagen über, in Märchen. Sie glitten aus Elses eigenen Erlebnissen in die Welt von Feen und Hexen, woben sich aus dem Stoff der Jugend am Saaleufer in die Welt der Erzählungen anderer. Manchmal, wenn es Rosina oder Gertrud zu viel wurde, fragten sie nach und sagten, dass sie ihr nicht glaubten. Else behauptete jedes Mal, nichts als die blanke Wahrheit zu sagen, und dann stritten die Mägde. Magdalene musste still im Hintergrund bleiben und zuhören, wie sie für eine Weile zankten, aber jedes Mal kam der Streit zu einem schnellen Ende, denn die Hoffnung auf eine Fortsetzung der Geschichten ließ die jungen Mägde klein beigeben.
So war es auch an einem dämmrigen Abend eine Woche nach dem Tag, an dem Else begonnen hatte, sich besonders schlecht zu benehmen. Magdalene war draußen gewesen und hörte, dass Else in der Küche zu reden angefangen hatte. Sie trat in den Korridor und erhaschte die ersten Worte. Wenn sie in die Küche ginge, würde Else sofort aufhören, deshalb blieb sie vor der halb offenen Küchentür stehen und lauschte. Einen freundlichen Abend mit einer schönen Geschichte konnten alle gut gebrauchen, damit wieder Frieden ins Haus einkehrte.
»Seid still, sonst rede ich nicht weiter«, schimpfte Else. Sie hatten also gestritten.
»Schon gut«, hauchte Gertrud. Rosina runzelte die Stirn, das sah Magdalene vom Korridor aus, weil die Kindermagd am nächsten zur Tür stand. Es konnte sein, dass Else gleich eine besonders gute Sage erzählte, es konnte aber auch sein, dass sie beleidigt war und schwieg. Dieses Mal redete sie weiter.
»Hört zu«, fuhr Else fort, »die Saaleweiber sind gewissermaßen das Gegenteil der extraordinären Weiber. Die sind Gott nahe und vom Glauben durchdrungen. Die Saaleweiber dagegen sind teuflisch und tragen Aberglauben unter die Menschen. Es gibt sie, seit es den Teufel gibt. СКАЧАТЬ