Название: Das Fußvolk der "Endlösung"
Автор: Thomas Sandkühler
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783534746217
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Ab 17. Oktober rollten Transporte aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, Ostoberschlesien und Wien nach Nisko. Allerdings war diese erste Umsiedlung schlecht vorbereitet und unzureichend mit den ebenfalls anlaufenden Transporten aus Westpolen koordiniert.8 Bereits Ende Oktober brach Heydrich die Transporte nach Nisko ab.9 Im Generalgouvernement hielt man allerdings noch länger an der Idee fest, die polnischen Juden im Distrikt Lublin zu konzentrieren. Seit Anfang 1940 verschwand dieses Vorhaben von der Bildfläche; im März wurde es offiziell aufgegeben.10
Da Himmlers Bevölkerungsbewegungen mehr Zeit beanspruchten als ursprünglich gedacht, zerlegte das Reichssicherheitshauptamt die Abschiebungen in mehrere »Nahpläne«, denen später ein nicht näher erläuterter »Fernplan« folgen sollte. Die Parallele zur Befehlsgebung gegen die Juden, in der ebenfalls zwischen Nah- und Fernziel unterschieden wurde, ist unübersehbar.11 Im Rahmen eines 1. Nahplans kamen von Anfang Dezember 1939 bis Ende März 1940 über 200 000 Polen und Juden aus dem Warthegau in alle Distrikte des Generalgouvernements. Sie wurden bei Winterkälte dorthin verschleppt.
Dieses Schicksal traf auch rund tausend Juden aus der Hafenstadt Stettin, die im Februar 1940 Züge nach Polen besteigen mussten. Mehr als ein Viertel dieser Menschen kam beim Transport oder kurz nach der Ankunft durch Hunger und Kälte um. Diese erste Deportation deutscher Juden war so schauerlich, dass sie Aufsehen im Ausland erregte. Die NS-Führung sah daher vorerst von weiteren Transporten aus dem »Altreich« ab.12
Von Mai 1940 bis März 1941 trafen im Rahmen des 2. und 3. Nahplans rund 76 000 Polen und Juden aus Danzig Westpreußen, dem Regierungsbezirk Zichenau, dem Warthegau und zuletzt auch aus der österreichischen Hauptstadt Wien im Generalgouvernement ein. Sie wurden nun vorzugsweise in den Distrikt Lublin geschickt. Zwar hatte man das Vorhaben eines »Reservats« inzwischen zu den Akten gelegt. Aber der SS- und Polizeiführer Globocnik unterhielt an der damaligen deutsch-sowjetischen Grenze ein militärisches Befestigungsprojekt. Die Transporte sollten dazu dienen, Zwangsarbeiter für dieses Vorhaben heranzuschaffen.13
Unterdessen entstand auf Initative des Auswärtigen Amts der Plan, alle europäischen Juden mit Schiffen auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Madagaskar gehörte zum Kolonialreich des militärisch geschlagenen Frankreich.14 Das Auswärtige Amt arbeitete eng mit dem Reichssicherheitshauptamt zusammen; nicht nur bei der Ausarbeitung des Madagaskar-Plans, sondern auch bei der späteren »Endlösung« durch systematischen Mord. Der Madagaskar-Plan war eine riesenhafte Neuauflage der »Reservats«-Pläne von 1939, die auf die ›passive‹ Ermordung der Juden durch Hunger und Seuchen hinauslief. Hierauf spielte Himmler an, als er in seiner schon zitierten Denkschrift über die »Fremdvölkischen« seiner Hoffnung Ausdruck gab, den »Begriff Juden […] durch die Möglichkeit einer großen Auswanderung sämtlicher Juden nach Afrika oder sonst in eine Kolonie völlig auslöschen zu sehen.«15 Auch dieses Vorhaben zerschlug sich jedoch, weil die deutschen Invasionspläne gegen Großbritannien im November 1940 scheiterten und Schiffstransporte des vorgesehenen Umfangs damit unmöglich wurden.16
Umso lauter schallten die Proteste der Beamten im Generalgouvernement gegen die laufenden Deportationen aus Westpolen. Sie hatten sich schon vor der Aussicht gesehen, ihr Herrschaftsgebiet bald in Richtung Madagaskar »säubern« zu können. Diese Möglichkeit fiel nun fort. Kreishauptmänner behaupteten, die ankommenden Juden stellten eine Seuchengefahr in ihren ohnedies übervölkerten Gebieten dar und betätigten sich auf dem Schwarzmarkt. Auch Generalgouverneur Frank setzte sich gegen weitere Deportationen zur Wehr. Am 15. März 1941 stellte das Reichssicherheitshauptamt die Deportationen ins Generalgouvernement ein. Dies geschah allerdings weniger aus Rücksicht auf die Zivilverwaltung, sondern deshalb, weil die »Umsiedlungen« mit den Aufmarschvorbereitungen zum Krieg gegen die Sowjetunion kollidierten.17
2.2Isolierung und Ghettoisierung
Es gehörte seit dem Mittelalter zum Repertoire diskriminierender Maßnahmen gegen die jüdische Minderheit, sie von der Mehrheitsbevölkerung abzugrenzen und in zugewiesenen Wohnbezirken zu konzentrieren. Das Ghetto, historisch erstmals und namensgebend in der Kaufmannsrepublik Venedig errichtet, hatte allerdings über die Absonderung der Juden von den Christen hinaus keinen Zweck. Dagegen dienten die nationalsozialistischen Ghettos in Osteuropa der logistischen Vorbereitung von Deportation und Massenmord.18
Bereits die Militärverwaltung hatte in vielen Fällen von sich aus die Kennzeichnung der Juden angeordnet. Vor dieser Rückkehr zu mittelalterlichen Stigmatisierungspraktiken waren Hitler und seine Untergebenen im Reich noch zurückgeschreckt; zu unpopulär erschien der gelbe Fleck. Im besetzten Polen glaubte man, auf die Volksmeinung weniger Rücksicht nehmen zu müssen. Seit dem 23. November 1939 mussten Juden beiderlei Geschlechts ab dem 10. Lebensjahr eine Armbinde mit dem Zionsstern am rechten Arm tragen. Auch Geschäfte jüdischer Inhaber waren zu kennzeichnen.19 Eine Definition der jüdischen Personeneigenschaft wurde allerdings erst im Juli 1940 nachgeschoben, als man die Vorschriften der Nürnberger Gesetze auf das Generalgouvernement übertrug. Mehr als eine symbolische Wirkung dürfte diese Normsetzung nicht entfaltet haben. Letztlich war es der Willkür deutscher Funktionäre vor Ort überlassen, wen sie als Jüdin oder Jude definierten.20
Die durch die Kennzeichnung sichtbare Isolierung des jüdischen Bevölkerungsteils zielte anfänglich nicht auf die dauerhafte Ghettoisierung der Juden. Vielmehr waren Aufenthaltsbeschränkungen bis in das späte Jahr 1941 den übergeordneten Zielsetzungen nationalsozialistischer Bevölkerungsverschiebungen nachgeordnet. Heydrich hatte im September 1939 durchblicken lassen, dass die vorübergehende Konzentration der Juden an verkehrsgünstigen Orten ihren baldigen Abtransport in das ostpolnische »Reservat« vorbereiten sollte. Kurzfristigkeit war in den Augen deutscher Herrenmenschen eine kaum verhüllte Aufforderung zur Ausplünderung der recht- und wehrlosen Minderheit, die man besitzlos »in den Osten« abzuschieben gedachte.21
Protoyp einer solchen räumlichen Konzentration unter schlimmsten Lebensumständen war die Industriestadt Łódź im Warthegau, als »Litzmannstadt« zugleich Sitz der von Himmler eingesetzten »Umwandererzentrale« für die Aus- und Ansiedlungspolitik. Im April 1940, als deutlich wurde, dass an eine baldige Deportation der jüdischen Einwohner nicht zu denken war, ordnete die Reichsstatthalterei unter Gauleiter Greiser die hermetische Abschließung des Ghettos an. Die Bewohner wurden nunmehr systematisch unterernährt und als Zwangsarbeiter ausgebeutet.22 Ziel dieser Politik war es, durch bewusst herbeigeführte Problemlagen Druck auf die deutsche Führung auszuüben und doch noch eine Abschiebung der Gefangenen zu erzwingen. Ein ökonomischer Nutzen sollte aus der Arbeit der Juden nicht gezogen werden. Sie wurden im Sinne von Hans Frank »körperlich angegangen«.23
Diese Schaffung »unhaltbarer Zustände«, war ein typisches Merkmal jener sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, die allenthalben die antisemitische Politik Deutschlands in Osteuropa prägten.24 NS-Funktionäre sorgten selbst dafür, dass die verhasste »ostjüdische« Minderheit dem Zerrbild entsprach, das die Propaganda von ihnen zeichnete: Arbeitsscheu sei sie, schmutzig und daher hauptsächlich für die Übertragung des Fleckfiebers verantwortlich, das von jeher zu den Obsessionen deutscher Seuchenexperten gehört hatte.25
Und so war es auch kein Zufall, dass Arthur Greiser als erster Gauleiter der NSDAP schon im Herbst 1941 mit dem Vorschlag an die Adresse Himmlers vorpreschte, die angeblich arbeitsunfähigen, seuchenbringenden und mit deutschen Ressourcen nicht zu ernährenden Juden kurzerhand zu töten.26
Ähnliches vollzog sich zeitversetzt im Generalgouvernement. Hier richtete die Zivilverwaltung im November 1940, offenkundig wegen des gescheiterten Madagaskar-Plans, einen »Seuchensperrbezirk« in der Stadt Warschau ein, der durch Mauern von der Außenwelt abgeschlossen wurde. Rund 600 000 Juden waren hier eingekerkert. Auch СКАЧАТЬ