Название: Begegnungen mit Bismarck
Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242683
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Diese Verhandlung fand am 2. Juni statt. Am 3. früh ließ der Minister durch einen Vetter seiner Gemahlin, Hauptmann von Puttkamer, Herrn Virchow auffordern, jene Beleidigung zurückzunehmen oder durch einen Zweikampf Genugthuung zu geben. Virchow mußte gerade an den Rhein verreisen und gab keine bestimmte Erklärung. An demselben Tage erzählte Bismarck auf Befragen eines Diplomaten, daß er Virchow gefordert habe. Am 6. erschien eine bezügliche Nachricht in der Kölnischen Zeitung; ob dieselbe von einem Freunde des Herrn Virchow oder aus diplomatischer Quelle kam, ist nicht festgestellt worden. Von da ab wurde jede Bewegung der Beteiligten polizeilich beobachtet. Zwischen dem Abgeordneten von Hennig und mir fand am 6. eine Verhandlung statt, welche ergebnislos blieb, weil Hennig an der für mich unannehmbaren Ansicht festhielt, der eigentlich Beleidigende sei der Ministerpräsident gewesen durch die Nebeneinanderstellung Virchows und Hannibal Fischers. Im Abgeordnetenhause erklärte am 8. Forckenbeck, Virchow würde seine Pflicht gegen das Land verletzen, wenn er wegen einer von ihm als Abgeordneten gethanen Aeußerung eine Duellforderung annehme. Der Präsident Grabow stimmte ihm lebhaft zu; ebenso die Abgeordneten Twesten, Waldeck und Gneist. Man betonte auch, daß die angeblich beleidigende Aeußerung Birchows vom Präsidenten nicht gerügt worden war. Dagegen aber wurde geltend gemacht, wenn jemand sich durch ein im Hause gefallenes Wort in seiner Ehre gekränkt fühle, so sei er allein Richter darüber, was zur Herstellung seiner Ehre geschehen müsse; und weder die Meinung einer Majorität des Hauses noch die des Präsidenten allein könne ihm die als notwendig empfundene Genugthuung gewähren. Dieser von drei Konservativen vertretenen Ansicht traten auch einzelne Mitglieder des linken Centrums bei wie Stavenhagen und Bockum-Dolffs. Es wurde nicht abgestimmt, aber man war darüber einverstanden, daß die Majorität aufseiten des Präsidenten stand, welcher am Schluß nochmals die „dringende Erwartung“ aussprach, daß Virchow – der nicht anwesend war – sich der Meinung des Hauses unterwerfen werde.
Am 8. abends teilte der Abgeordnete von Hennig schriftlich mit, daß Virchow die Duellforderung ablehnte.
Wenn dieser Abschluß der Sache mich auch nicht ganz befriedigte, so war ich doch froh über die Beseitigung eines Streitfalles, in dessen Behandlung vonseiten meines Chefs ich seine sonst immer von mir bewunderte überlegene Weisheit vermißt hatte.
Virchows unziemlicher Angriff schien mir durch die oben mitgeteilte öffentliche Belehrung siegreich abgewiesen, die Duellforderung daher ein anfechtbarer Luxus. Nachdem sie aber einmal erfolgt war, hätte es doch wohl der Geheimhaltung bedurft, um mit Sicherheit dem Gegner die Verantwortung eines etwaigen Bekanntwerdens zuschieben zu können, welches notwendigerweise augenfällige polizeiliche Vorkehrungen hervorrufen mußte, die den Ernst der Sache schädigten.
Natürlich war ich vom ersten Augenblick an entschlossen gewesen, das Duell mit erlaubten oder unerlaubten Mitteln zu verhindern. Es wäre nach meinem Gefühle Landesverrat gewesen, den unersetzlichen Mann einer Bleikugel oder dem Strafrichter entgegengehen zu lassen.
Bei der am 13. Juni stattfindenden Beratung der Kriegskostenvorlage erinnerte Bismarck daran, welche Befürchtungen das Haus im Dezember 1863 durch Annahme der Resolution Schulze-Delitzsch zu erkennen gegeben hatte. Darin sei gesagt worden, „daß dieser Gang in der preußisch-österreichischen Politik kein anderes Ergebnis haben kann, als das: die Herzogtümer zum zweiten Mal an Dänemark zu überliefern; daß die königliche Staatsregierung, indem sie diese rein deutsche Sache als europäische behandelt, die Einmischung des Auslandes herbeizieht; daß die angedrohte Vergewaltigung den berechtigten Widerstand der übrigen deutschen Staaten und damit den Bürgerkrieg in Deutschland herausfordert“.
Alle diese Befürchtungen seien nicht eingetroffen. Auch die von dem Hause damals positiv bezeichneten Wünsche seien erfüllt oder, soweit die Erfüllung in Betreff der Einsetzung des Herzogs rückständig, liege sie, wie früher erwähnt, ganz in unserer Hand und könne erfolgen, sobald wir die Sicherheit hätten, daß die im Interesse Preußens und des gesamten Deutschlands an die Herzogtümer zu stellenden Forderungen durch den Herzog erfüllt werden würden.
Man werfe der Regierung vor, daß der von ihr eingeschlagene Weg uns in Schleswig-Holstein einen Mitbesitzer gegeben habe; der von dem Hause empfohlene Weg aber würde uns 32 Mitbesitzer gegeben haben und an deren Spitze den jetzigen, und zwar nicht mit derselben Gleichberechtigung, sondern mit der Ueberlegenheit der Präsidialmacht und als Führer der Bundesmajorität gegen Preußen.
Ferner habe ein Redner getadelt, daß wir eine Gelegenheit versäumt hätten, uns an die Spitze der mittleren und kleineren Staaten Deutschlands zu stellen. Wenn der Herr eine Zeit lang Bundestagsgesandter in Frankfurt gewesen wäre, so würde er sich überzeugt haben, daß die Majorität der Mittel- und Kleinstaaten sich nicht freiwillig einer preußischen Aktion unterzuordnen bereit gewesen wäre, ohne Preußen in der Ziehung der Konsequenzen aus dieser Aktion zu hemmen.
Dann fuhr der Minister fort:
„Die Frage, über die ich hier einen Ausspruch des Hauses noch mehr als über die finanzielle erwartet hätte, ist die politische, die Frage der Gegenwart und Zukunft. Diese Frage nun, die seit 20 Jahren in dem Vordergrunde des deutschen politischen Interesses gestanden hat, diese Frage harrt gegenwärtig der Lösung. Sie, meine Herren, sind durch die Vorlage der Regierung in die Lage gesetzt, sich zu äußern. Sie haben die Gelegenheit zu sprechen – ich möchte sagen, Sie sind en demeure gesetzt, zu reden. Das Land hat ein Recht, zu erfahren, was die Meinung seiner Landesvertretung über die Sache sei …“
„Ich halte es für die Herzogtümer allerdings außerordentlich viel vorteilhafter, Mitglied der großen preußischen Genossenschaft zu werden, als einen neuen Kleinstaat mit fast unerschwinglichen Lasten zu errichten. Aber wenn dieses Programm verwirklicht werden sollte, so würden eben auch diese selben Lasten auf den preußischen Staat übernommen werden müssen. Wir würden nicht die Herzogtümer in den preußischen Staatsverband unter irgendeiner Form aufnehmen können und ihnen dennoch die preußischen Kriegskosten abverlangen oder sie die österreichischen Kriegskosten bezahlen lassen oder sie auch nur in der Ungleichheit der Schulden bestehen lassen, welche doppelt so viel auf einen Kopf in Schleswig-Holstein austragen wie in Preußen. Wir würden sie mit allen preußischen Staatsbürgern gleichstellen müssen.“
Dann führte der Minister aus, der Gedanke der Annexion habe, auch wenn er nicht zur Ausführung käme, jedenfalls Gutes gewirkt. Das Erbteil kleinstaatlicher Verhältnisse, die Abneigung gegen die Uebernahme von Pflichten der Bürger eines großen Staates, die Abneigung zur Bewilligung solcher Bedingungen, die der Bevölkerung Lasten, namentlich in der Heeresfolge, auferlegen, diese Abneigung habe sich vermindert in demselben Maße, in dem die Idee der Annexion Boden gewann. Unter dem Drucke dieser Idee habe man sich unseren Wünschen genähert, aber noch nicht so weit, daß wir darauf abschließen könnten.
Bei den nun folgenden Abstimmungen konnte das Haus sich über irgendeine Ansicht in der schleswig-holsteinschen Sache nicht einigen; sämtliche Anträge blieben in der Minorität.
Die Session wurde am 17. Juni auf Befehl des Königs durch eine Rede des Ministerpräsidenten geschlossen, welche die überwiegend negativen Resultate der Session aufzählte, dann aber folgende Worte brachte:
„Die Regierung Seiner Majestät … wird unbeirrt durch feindseligen und maßlosen Widerstand in Rede und Schrift, stark im Bewußtsein ihres guten Rechts und guten Willens, den geordneten Gang der öffentlichen Angelegenheiten aufrechterhalten und die Interessen des Landes nach außen wie nach innen kräftigst vertreten. Sie lebt der Zuversicht, daß der Weg, den sie bisher innegehalten, ein gerechter und heilsamer gewesen ist, und daß der Tag nicht mehr fern sein kann, an welchem die Nation, wie bereits durch Tausende aus freier Bewegung kundgewordener Stimmen geschehen, so auch durch den Mund ihrer geordneten Vertreter ihrem königlichen Herrn Dank und Anerkennung aussprechen werde.“
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