Название: Begegnungen mit Bismarck
Автор: Robert von Keudell
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783806242683
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Zwischen solchen Wochen, in denen er rüstige Vollkraft zu besitzen schien, gab es auch Tage, an denen er sich recht unwohl fühlte und über Schmerzen im Gehirn, im Gesicht oder im linken Bein klagte. Wegen seiner Gesundheit war ich nie ohne Sorge. An meinen Bruder schrieb ich im Februar: „Wenn Bismarck nur noch zwei Jahre lebt, bekommen wir hoffentlich Schleswig-Holstein.“ Daß Bismarck schlechthin unersetzlich war, daß niemand außer ihm in den dunkeln Labyrinthen der damaligen auswärtigen und innern Politik die gangbaren Pfade zu finden vermocht hätte, davon waren alle überzeugt, die ihm näherstanden.
Zu diesen Personen gehörte schon damals Herr Gerson Bleichröder, Chef des Bankhauses S. Bleichröder, ein Mann von ungewöhnlichen Fähigkeiten. Sein Verstand war so lebendig wie durchdringend, sein Gedächtnis zuverlässig, sein Herz fest und treu. Das bei ihm deponierte Kapitalvermögen des Ministers gab ihm fast nichts zu thun, weil Spekulationen irgendwelcher Art mit dessen Werten verboten waren; aber seine Stellung zu dem Pariser Hause Rothschild führte ihm mitunter einen politischen Auftrag zu. Die Frankfurter Familie Rothschild ist bekanntlich in Wien, Paris und London verzweigt; ihr Vertreter in Berlin aber war Bleichröder. Nun hatte der damalige Chef des Pariser Hauses, Baron James Rothschild, jederzeit freien Zutritt zum Kaiser Napoleon, der ihm nicht nur über Finanzfragen, sondern auch über Politik ein freies Wort zu gestatten pflegte. Dies bot die Möglichkeit, durch Bleichröder und Rothschild an den Kaiser Mitteilungen gelangen zu lassen, für welche der amtliche Weg nicht geeignet schien. In jenen Jahren hielt Bismarck für geboten, die Beziehungen zu dem mächtigen Monarchen mit allen verfügbaren Mitteln sorgfältig zu pflegen, und legte daher Wert darauf, auch diesen Weg vertraulicher Mitteilungen mitunter benutzen zu können. Durch mich sind derartige Aufträge nie vermittelt worden; doch erhielt ich die Anweisung, Herrn Bleichröder über die Lage der auswärtigen Politik, soweit sie nicht geheim zu halten war, auf Befragen fortlaufend zu unterrichten, damit er Eröffnungen der bezeichneten Art, die der Minister sich selbst vorbehielt, schnell und richtig auffassen könnte. Herr Bleichröder pflegte daher mehrmals in der Woche am frühen Morgen zu mir zu kommen und einige Minuten zu verweilen, an warmen Tagen im Garten, sonst in meinem Wohnzimmer. Ich lernte ihn auf diese Weise genau kennen und aufrichtig schätzen.
Die gelegentlichen Aufträge des Ministers an Bleichröder hatten zur Folge, daß dieser sich als Hilfsarbeiter des Auswärtigen Amtes fühlte und demnach, wenn er von Bismarck sprach, ihn „unsern hochverehrten Chef“ zu nennen pflegte. Weiteren Kreisen durfte der politische Grund seiner öfteren Besuche im Auswärtigen Amte natürlich nicht bekannt werden. Es erhob sich daher manchmal das Gerücht, daß Bismarck durch Bleichröder für sich Börsengeschäfte machen ließe, was thatsächlich niemals geschehen ist. Er hat oft genug ausgesprochen, es sei völlig unerlaubt, seine Kenntnis der politischen Lage zu Spekulationen zu benutzen; ein Minister, der sich damit befasse, müsse in Versuchung kommen, seine politischen Entschlüsse durch Rücksichten auf persönliche Vorteile oder Nachteile beeinflussen zu lassen, und könne daher keine gute Politik machen.
* * *
Als im Frühjahr 1865 die Möglichkeit eines Waffenganges gegen Oesterreich ins Auge gefaßt werden mußte, hielt Bismarck für dringend wünschenswert, mit dem Landtage Frieden zu schließen auf der Grundlage einer Konzession im Militäretat. Roon war mit ihm darüber einig, daß bei der Infanterie das dritte Dienstjahr ohne erhebliche Nachteile entbehrt werden könnte, we n n bei jedem Bataillon ein starker Stamm von altgedienten Leuten, sogenannten Kapitulanten, geschaffen würde. Diese wären natürlich höher zu besolden; und um die dazu nötigen Mittel zu gewinnen, müßte man zu dem System der Stellvertretungsgelder nach dem Muster der damals in Frankreich bestehenden Einrichtungen übergehen. Dort pflegten die Wohlhabenden sich vom persönlichen Dienst loszukaufen. So wenig dieses Beispiel anmutete, so trat doch das ganze Staatsministerium diesen Vorschlägen bei, welche dann von Bismarck und Roon an maßgebender Stelle vorgetragen wurden.
Der König wollte zwar eine Ausgleichung des Verlustes des dritten Dienstjahres durch bedeutende Vermehrung der Kapitulanten als möglich, wenn auch ungewiß gelten lassen, entschied aber, daß Einführung der Stellvertretungsgelder mit dem Grundsatze der allgemeinen Wehrpflicht unvereinbar sei.
Eine andere Finanzquelle stand nicht zu Gebote; der beabsichtigte Aussöhnungsversuch mußte daher aufgegeben werden.
Diesen Vorgang, von dem ich im Jahre 1865 nichts erfuhr, hat mir vier Jahre später der Minister des Innern, Graf Eulenburg, auf einem Spaziergange in Varzin ausführlich erzählt. Er knüpfte daran die Bemerkung, daß die vom Könige gegen die Wünsche des Ministeriums getroffene Entscheidung für das Land segensreich gewesen sei. Im Jahre 1866 habe man den unschätzbaren praktischen Wert der allgemeinen Dienstpflicht erkannt; nicht nur im Felde, wo die höher gebildeten Gemeinen durch ihre Begeisterung die mitunter stumpfen Kameraden fortrissen, sondern auch in der Heimat. Der Kleinbauer, der einen Sohn verlor, habe einen gewissen Trost empfunden, wenn sein reich begüterter Nachbar von gleichem Unglück betroffen wurde.
Im Mai 1865 erhielt Bismarck von unserem früheren Gesandten in Konstantinopel, General von Wildenbruch, dem Vater des Dichters, einen vertraulichen Brief, welcher genau dieselben Vorschläge zur Verständigung mit dem Landtage enthielt. Er gab mir das Blatt mit den Worten: „Ich habe von Wildenbruch bisher nur wenig gewußt; jetzt sehe ich, daß er ein grundgescheiter Mann ist.“
Obwohl die erwähnte Erzählung Eulenburgs für mich keiner Beglaubigung bedarf, so gewährt es mir doch eine gewisse Befriedigung, von Bismarck selbst diese indirekte Bestätigung derselben erhalten zu haben28.
Der Versuch Bismarcks, eine Grundlage zur Verständigung mit dem Abgeordnetenhause zu finden, mißlang also; die Kluft erweiterte sich immer mehr, der Ton der Volksvertreter gegen die Minister, namentlich gegen den Kriegsminister, wurde immer feindlicher. Das verbitterte Haus ließ sich weder durch die glänzenden Thaten des Heeres noch durch die Befreiung der Elbherzogtümer vom dänischen Joch zu irgendeinem thatsächlichen Entgegenkommen bewegen. Der Militäretat wurde wieder um die Kosten der neuen Regimenter gekürzt, der ganze Etat wieder vom Herrenhause verworfen. Die ausführlich motivierten Forderungen für Erweiterung der Marine wie für Deckung der Kosten des dänischen Krieges wurden rund abgelehnt.
Bei den Verhandlungen über Vorlagen wegen der Marine und der Kriegskosten hielt Bismarck merkwürdige Reden, aus welchen ich hier einige Auszüge gebe.
Am 1. Juni führte er aus, die in den letzten zwanzig Jahren oft und lebhaft hervorgetretenen Sympathien für die Marine würden jetzt verleugnet; der maritime Ehrgeiz der preußischen liberalen Partei schiene einigermaßen reduziert zu sein. Man wolle so lange, bis es nicht gelungen wäre, andere deutsche Staaten in Mitleidenschaft zu ziehen, nicht nur deren Handel, sondern auch den preußischen Handel in der verhältnismäßigen Schutzlosigkeit belassen, in der er sich jetzt befinde. Der Heranziehung anderer Staaten zu schweren Lasten stehe aber entgegen, daß im Allgemeinen in Deutschland partikulare Interessen stärker sind als der Gemeinsinn. Die Existenz auf der Basis der Phäaken sei bequemer als auf der Basis der Spartaner. Man lasse sich gern schützen, aber man zahle nicht gern und am allerwenigsten gäbe man das geringfügigste Hoheitsrecht zum Besten der allgemeinen Interessen auf. Er (der Minister) sei nicht darauf gefaßt gewesen, in dem Kommissionsberichte eine indirekte Apologie Hannibal Fischers zu finden, der die deutsche Flotte unter den Hammer brachte. Auch jene deutsche Flotte sei daran gescheitert, daß in den deutschen Gebieten, ebenso in den höheren regierenden Kreisen wie in den niederen, die Parteileidenschaft mächtiger war wie der Gemeinsinn.
Dann fuhr er fort:
„Sie СКАЧАТЬ