Название: Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek
Автор: Peter Schrenk
Издательство: Readbox publishing GmbH
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783745212532
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Dieser Brief schließt nun wirklich den letzten Zweifel an Dean Sangers Freitod aus. Jetzt kann Benedict für sich die Sache beenden. Morgen würde er sich ausschließlich auf die Raschke-Vorgänge konzentrieren. Den Huber würde er zurückschicken müssen. Zu dumm, dass er ihn jetzt nicht mehr erreichen kann. Sitzt mit Sicherheit schon im Flugzeug nach Berlin.
Trotz des gefassten Entschlusses kann Vitus H. Benedict an diesem Sonntagabend kaum in den Schlaf finden. Zu viel geht ihm durch den Kopf.
Dass Meißner ihn ausgerechnet immer dann mit neuem Sanger-Material gefüttert hat, wenn er sich nicht von seinen Nachforschungen abhalten ließ ... oder dieses plötzliche Interesse Annkatrins an seiner Arbeit hier in Ost-Berlin ... oder Oberleutnant Engel, der ihm einfach zu oft begegnet... oder ein amerikanischer Konsul, der unbedingt mit ihm Kaffee trinken will... oder Dixie, die aus dem Nichts auftaucht, um ihm von irgendwo in Amerika zuzuschreien: „Glauben Sie nicht, was man Ihnen sagen wird. Es war Mord ... Mord ... Mord ...“
*
Huber ist also schon eingetroffen.
Der Objektleiter hat ihm das Päckchen aus Köln gleich zum Frühstück in den Essraum gebracht. Gleichgültig steckt Benedict es in die Tasche seiner Jacke.
Vor der Tür des VP-Heims versucht er, Hubers massige Gestalt irgendwo ausfindig zu machen, aber er kann ihn nicht entdecken. Muss er eben den vereinbarten Treff abwarten, bis er ihn wieder nach Hause schicken kann. Jetzt weiß er aber wenigstens, warum er diese Nacht so schlecht geschlafen hatte. Das kühle Tief der vergangenen Woche hat sich über Nacht in ein strahlendes Hoch gewandelt.
Der Wagen mit den gelangweilten Männern darin entgeht ihm nicht, als er in der Normannen-Straße eintrifft. Ob er ihnen sagen sollte, dass sie sich die Mühe sparen können.
Auch auf dem Weg hat er vergeblich nach Huber Ausschau gehalten. Einmal glaubte er, ihn im morgendlichen Gewühl ausgemacht zu haben, aber der Mann in der Windjacke und dem Kunstlederhütchen auf dem Kopf war es dann doch nicht.
Meißner ruft gegen 11 Uhr in der Zentral-Kartei an, um zu fragen, ob er die Unterlagen heute Abend bei ihm im VP-Heim abholen kann. Benedicts Bestätigung, dass die Geschichte damit für ihn endgültig vom Tisch sei, scheint er als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten. Beim Mittagessen in der Kantine erzählt ihm seine leicht aufgelöste Staatsarchivarin dann auch, warum das Treffen mit ihrem DEFA-Freund geplatzt ist. Seine Frau hatte ihn davon abgehalten. Sie hätten damals genug Ärger gehabt, und irgendwann müsse ja mal Schluss sein.
„Aber er hat mir seine Telefonnummer in Babelsberg gegeben. Wenn Sie möchten, können Sie ihn da während der Dienstzeiten anrufen!“
Höflich nimmt Benedict die Nummer entgegen. Es ist müßig, ihr zu sagen, dass er davon keinen Gebrauch mehr machen wird.
So geht nun wirklich alles seinen geregelten Gang, und der Hauptkommissar kann sich am Nachmittag ohne weitere Unterbrechungen seiner eigentlichen Arbeit widmen und Major Raschkes schmutziger Spur durch die DDR der 80er Jahre folgen. Lesen. Notieren. Lesen. Notieren. Lesen ...
Merkwürdig schlaff und deprimiert verlässt er am Nachmittag die Festung an der Normannen-Straße und ist Punkt 17 Uhr in der Telefonzelle, um Ganser seine Arbeitsergebnisse durchzugeben.
„Der Typ vom WDR hat schon wieder angerufen. Suchst du einen anderen Job? Sollst ihn jedenfalls dringend zurückrufen!“
Nein, diesen Anruf kann er sich jetzt sparen. Das war vorbei. Vielleicht würde er sich heute mal irgendwo billig besaufen.
Die ganze Zeit steht eine Frau vor der Telefonzelle, wartet, dass er sie frei macht und tritt jetzt auf ihn zu. Statt aber in die Zelle reinzugehen, reckt sie ihm plötzlich die Hand entgegen und steckt ihm einen Zettel zu. Bevor der überraschte Benedict noch reagieren kann, hat sie sich auf ein heran preschendes Motorrad geschwungen und verschwindet im dichten Strom des Feierabendverkehrs. Es ist ein einfacher Zettel mit einem Namen und einer Telefonnummer. Nichts weiter. Der Name ist ihm bekannt. Er hat ihn schon gestrichen. Dean Sanger.
Bevor ihm jemand die Zelle streitig machen kann, nimmt er den Hörer auf und wählt die angegebene Telefonnummer in Berlin. Freizeichen. Diese verdammte Neugier. Immer diese verdammte Neugier. Irgendwann würde sie ihn ...
„Ja?“, meldet sich eine männliche Stimme.
„Ich habe gerade eben einen Zettel mit Ihrer Telefonnummer bekommen ...“
„Ja?“
„Dean Sanger!“
„Gut. Wir haben das Material, nach dem Sie suchen. Was ist es Ihnen wert?“
„Was für Material suche ich denn?“, kann der Hauptkommissar seine Verblüffung kaum verbergen.
„Mensch, Benedict! Machen Sie doch nicht solche Spielchen. Über Dean Sangers Tod natürlich. Wir verkaufen keine Barby-Puppen!“
„Und was soll das sein?“
„Zweiundzwanzig Tonkassetten mit Telefonmitschnitten der Abteilung 26. Alles Telefonate von Dean Sanger in 1 a-Qualität. Dazu fünf Video-Mitschnitte, die ohne Sangers Wissen während seiner Behandlungssitzungen gemacht wurden...“
„Was für Behandlungsstunden?“
„Na, wissen Sie das denn nicht? Der Mann war doch schwer krank. Epilepsie. Wurde psychotherapeutisch von Prof. Schallreuter behandelt. Eine anerkannte Kapazität auf seinem Gebiet und ... nebenbei KGB-Mitarbeiter!“
Schon wieder eine anerkannte Kapazität. Davon scheint es hier nur so zu wimmeln. Aber Epilepsie bei einem „Showman“. Das ist interessant.
„Und warum meinen Sie, dass ich dafür was bezahlen sollte?“
„Ihre Sache. Wenn Sie eben den Beweis für Sangers Ermordung nicht haben wollen ...“
*
„Die Leute bluffen doch! Was sollen die denn schon in der Hand haben! Sie haben doch den Abschiedsbrief selber gelesen!“
Meißner ist stocksauer, trotzdem ist Benedict froh darüber, ihn endlich ins Vertrauen gezogen zu haben. Nachdem er sich Bedenkzeit bis morgen erbeten hatte, war er auf schnellstem Wege raus nach Marzahn gefahren und hatte nervös darauf gewartet, dass der MUK-Leiter seine Unterlagen abholen würde. Wegen der neuen Situation hatte er auch Huber nicht zurück nach Frankfurt geschickt. Da wollte er besser abwarten, wie sich das hier noch entwickeln würde. Bis zu Meißners Eintreffen hatte er das Für und Wider abgewogen. Letzten Endes hatte er aber keinen anderen Ausweg gesehen, als Meißner über das Telefonat mit diesen merkwürdigen „Verkäufern“ zu informieren. KGB-Unterlagen, das war eine entschieden zu heiße Nummer für einen Mann alleine.
„Aber irgend was müssen die doch haben! Und dann auch noch aus geheimen KGB-Quellen!“
Natürlich kann er Meißners Zorn verstehen. Nachdem heute Vormittag alles noch so klar schien.
„Es gehen im Moment genügend abgehalfterte Leute von der Sicherheit mit geklautem СКАЧАТЬ