Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk
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Читать онлайн книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk страница 103

СКАЧАТЬ Als Benedict aus dem Wagen steigt, riecht er Kiefernduft und Schilfmoder, und die plötzliche Stille macht jetzt auch lautes Vogelgezwitscher hörbar.

      „Herzlich Willkommen in der Sommerfrische!“, begrüßt ihn Ingeborg Meißner in der Eingangstür. Als Benedict hinter seinem Rücken den Blumenstrauß hervorzaubert, nimmt sie diesen fast verlegen entgegen. „Da freue ich mich aber!“, sagt sie ein wenig errötend und verschwindet gleich im Haus, um die Blumen zu versorgen. So ganz scheint Meißner seine Frau doch nicht zu kennen.

      „Ich zeige Ihnen, wo Sie schlafen können“, murmelt der und geht voran in den ersten Stock des alten Häuschens. „Wenn Sie Ihre Sachen untergebracht haben, treffen wir uns unten im Garten. Zum Kaffeetrinken.“

      Benedict öffnet das Fenster des kleinen Gästezimmers und atmet tief durch. Hinter dem Haus eine kleine Wiese mit einem gedeckten Kaffeetisch und gleich dahinter spiegelnde Wasserfläche. Das gegenüberliegende Ufer ist vielleicht dreihundert Meter entfernt. Auch dort scheinen Häuser zu stehen. Es ist schön hier. Kaum zu glauben, dass er vor wenigen Stunden noch im Schatten der Normannentürme stand.

      Als sie später bei Pflaumenkuchen und Wespen am Kaffeetisch sitzen, taucht auch Meißners Tochter Diana auf. Höflich, aber den Blick abwendend, gibt sie ihm die Hand und beteiligt sich danach nur an der Unterhaltung, wenn sie gefragt wird.

      „Also, Frau Meißner, Ihr Pflaumenkuchen, einfach super! Sie haben es überhaupt traumhaft hier draußen. So ein schönes, altes Haus! Das es so was noch gibt!“

      „Nehmen Sie doch noch ein Stück, wenn’s Ihnen schmeckt!"

      „Sicher. Das Häuschen ist ganz hübsch. Aber wenn Sie die Villa von Dean Sanger sehen ... ganz anderes Kaliber. Ist hier ganz in der Nähe. Wohnt jetzt nur noch seine Frau mit ihrem Sohn drin.“

      „Oh, Entschuldigung!“

      Vor Überraschung fällt Benedict die gefüllte Kuchengabel in die Kaffeetasse. Braune Flecke bedecken die weiße Tischdecke an seinem Platz, und er bemüht sich verlegen, das Malheur mit seinem Taschentuch rückgängig zu machen.

      „Lassen Sie mal sein. Das wasche ich gleich... zusammen mit Ihren Sachen.“

      Natürlich. Das war’s. Irgendwoher war ihm doch der Ortsname bekannt gewesen. Rauchfangswerder. Hatte er doch in Raschkes Berichten über Dean Sanger gelesen. Immer wieder. dass er da nicht gleich stutzig geworden war. Nur deshalb diese Einladung?

      „Haben Sie das nicht gewusst?“ Meißners Blick über den Kaffeetisch hinweg drückt so etwas wie spöttische Verwunderung aus. „Ingeborg wird Ihnen ’ne Menge über Dean Sanger erzählen können, nu, Inge?“

      „Na ja, hab halt über Amiga viel mit ihm zu tun gehabt.“

      „Amiga?“

      „Nu, unser DDR-Plattenlabel. Da haben wir halt seine Songs und Lieder produziert. Auch mit den tschechoslowakischen Freunden zusammen.“

      „Meine Mutter ist in der Produktionsabteilung von Amiga beschäftigt. Aber wohl nicht mehr lange!“

      „Ach, halt du doch den Mund!“, fährt Ingeborg Meißner ihrer Tochter heftig über den Mund. Die schürzt schnutig die Lippen und rührt mit der Kuchengabel trotzig auf ihrem Teller rum.

      Ihre Mutter fährt unbeirrt fort: „Jedenfalls haben wir Dean sehr gemocht. Er war in der ganzen Republik beliebt... mit seinem Engagement für den Frieden ... und seiner offenen Art. Er war halt so ganz anders als unsere Leute. Ein richtiger Sunnyboy, eben!“

      „Ja,ja. Und singen konnte er auch nicht!“

      „Also, Diana! Jetzt ist aber Schluss!“, meldet sich Meißner zur Verteidigung seiner Frau, aber das klingt reichlich lahm und halbherzig.

      „Lasst mal gut sein. Jeder hat eben seine Meinung. Und für uns war Dean eben das Größte. Haben Sie mal was von ihm gehört? Ich hab noch ein paar Aufnahmen von ihm da!“

      „Muss das sein, Mutti?“, nölt die Tochter von der anderen Seite des Tisches, und der MUK-Kommissar, als ginge ihn das Gespräch überhaupt nichts mehr an, starrt angelegentlich zum Seeufer hinüber.

      „Ich würde das gerne hören“, sagt Benedict, und das entspricht der Wahrheit.

      Während Diana sich um das Kaffeegeschirr kümmert, begibt sich Meißner zum Bootssteg ans Seeufer, und der Düsseldorfer sitzt mit dessen Frau und ihrer umfangreichen Plattensammlung schließlich allein im Wohnzimmer vor der Stereoanlage. Das erste Mal sieht er das Gesicht des Amerikaners, den er bisher nur aus Raschkes MfS-Berichten kennt. Hübsche, weiche Gesichtszüge. Irgendwie kommen ihm die Worte sanft und lieblich in den Sinn, obwohl der junge Mann auf den meisten Plattencovers als männlich-harter Cowboy posiert. Dean Sanger. Das Gesicht umrahmt von einer halblangen Haarpracht, die ihn zu jener Zeit in der DDR zusätzlich zu einem Exoten gestempelt hätte. Wäre er nicht schon einer von sich aus gewesen. Denver, Colorado. Welten lagen zwischen diesem Nest in Ost-Berlin und den Rocky Mountains.

      „Und ... wie finden Sie ihn?“

      Die Frage richtet Ingeborg Meißner ein Dutzend Platten später an ihn, und er beantwortet sie zögernd mit ausweichender Höflichkeit. „Ich kenne mich da nicht so gut aus mit. Hier war er ja wohl ganz erfolgreich.“

      „Dean war für uns der Bote einer anderen, sonst verbotenen Welt. Er verkörperte all das, was wir nicht hatten. Offenheit, Freundlichkeit, Spontaneität, Weitläufigkeit... er brachte so etwas wie Glamour in unseren sozialistischen Alltag. Der Duft der großen, weiten Welt!“

      Benedict lässt sich nichts von seiner Skepsis anmerken. Die Aufnahmen, die er soeben über sich ergehen ließ, siedelt er für seinen Geschmack irgendwo zwischen American Kitsch & Schmalz, Gus Backus und Burg Waldeckscher Klampfenromantik an. Er war nicht direkt schlecht, nein. Mit guter Promotion, besserer Aufnahmetechnik und exzellenten Background-Bands hätte Dean Sanger sich auf dem westdeutschen Schlagermarkt eine Villa mit Swimmingpool in Miami zusammen singen können. So gut wie Howie war er allemal. Zumindest was die Gesangskünste betraf. Aber Dean Sanger war eben nicht nach West-Deutschland gegangen, sondern in die DDR, hatte nicht die Villa in Miami gewählt, sondern ein Haus in Rauchfangswerder. Was um alles in der Welt hatte den netten Hübschling mit der kleinen Singstimme dazu getrieben? Und was war mit seinem merkwürdigen Tod durch Ertrinken im Juni 1986, dessen nähere Umstände für Benedict immer noch im dunkeln lagen?

      Durch seine Gastgeberfamilie schien nach Benedicts Beobachtung, was die Person des Dean Sanger betrifft, ein eigenartiger Riss zu gehen. Des MUK-Leiters Haltung mochte dabei auch von einer gewissen, nachträglichen Eifersucht geprägt sein. Die unverhohlene Bewunderung, die sich immer noch in den glänzenden Augen seiner Frau bemerkbar machte, quittiert Meißner beim Abendessen mit kurzen und bissigen Bemerkungen. Gegen zehn verlassen sie auf der Flucht vor den angriffslustigen Mückenschwärmen die Wiese vor dem Haus, und Benedict verabschiedet sich mit einer Flasche Bier schläfrig auf sein Zimmer.

      Gerade hat er sich erleichtert die Schuhe von den geschwollenen Füßen gepellt, als ein leises Klopfen an der Tür seine Vorbereitungen zur Nacht unterbricht. Erstaunt öffnet er die Tür.

      „Ich hoffe, Sie schlafen noch nicht?“

      Diana Meißner, die ihr Zimmer auch im ersten Stock hat, steht unsicher im Türrahmen. In der Hand hält sie ein Buch.

      „Nein, sicher nicht. Kommen Sie СКАЧАТЬ