Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek. Peter Schrenk
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Читать онлайн книгу Die Fälle des Kommissar Benedict: 6 sehr fette Krimis in einer Bibliothek - Peter Schrenk страница 107

СКАЧАТЬ Sie ein bisschen Zeit für mich, Herr Professor?“

      Er kennt Prof. Fenner, den Leiter der Rechtsmedizin der Universität Düsseldorf, seit 1986 und weiß, dass der ihm seine Bitte nicht abschlagen wird.

      „Ich bräuchte Ihre Expertise, ein medizinisches Gutachten aus der DDR betreffend. Können Sie mir da weiterhelfen?“

      „Wer hat das Gutachten denn gemacht?“, fragt der Rechtsmediziner zögernd zurück.

      „Ein Prof. Dr. Prof. med. O. Gropol von der Humboldt-Universität in Berlin. Kennen Sie den vielleicht?“

      „Prof. Gropol?“ Noch deutlichere Zurückhaltung liegt jetzt in der Stimme des Düsseldorfer Spezialisten. „Eine international anerkannte Kapazität. Na ..., und worum geht’s da genau?“

      Das wird doch schwieriger, als er angenommen hat. Er weiß, dass die Mediziner sich mit bewertenden Aussagen zu Untersuchungsergebnissen ihrer Kollegen sehr schwer tun, trotzdem... er muss es versuchen.

      „Post mortem Sektion einer männlichen Wasserleiche.“

      „Schon wieder? Sie haben uns doch erst im letzten Monat eine gebracht. Ja ... und?“

      „Wenn da steht: häufiger Befund bei Vorliegen eines Diabetes mellitus, was heißt das? Kann man auf eine medikamentöse Behandlung schließen?“

      „Nein... nicht unbedingt. So was ist auch mit diätetischen Mitteln behandelbar, war es das?“

      „Tut mir leid, aber ich muss das wirklich wissen, Herr Professor. Punkt Alkoholbestimmung: Venenblut 0,2, Urin 0,1 und Liquor (Rückenmarksflüssigkeit) 0,2. Hat das was zu bedeuten?“

      „Gaschromatisch ermittelt?“

      „Ja.“

      „Und wie lange nach dem Eintritt des Todes bestimmt?“

      „Zirka fünf Tage.“

      „Ohne Bedeutung ... nach meinem Dafürhalten. Sie finden einen gewissen Alkoholgehalt ja in allen Körperflüssigkeiten, und das hier liegt empirisch durchaus im Bereich des Normalen.“

      Zwanzig Minuten später legt Benedict den schweißnassen Hörer erleichtert auf die Gabel und verlässt die drückende Hitze der Telefonzelle hinter der ehemaligen Sektorengrenze. Seine Erleichterung hat weniger mit Fenners Antworten zu tun, denn diese waren von ähnlich windelweicher Natur gewesen wie die des Ost-Professors, als mit der Art des Gesprächsverlaufs. Eine Krähe hackt der anderen eben kein Auge aus. Sicher war er voreingenommen. Seine bisherigen Erfahrungen im Umgang mit diesen Leuten gaben ihm auch allen Grund dazu. Es sollte ihn nicht wundern, wenn Fenner sich gerade in diesem Augenblick mit seinem Kollegen in Ost-Berlin in telefonische Verbindung zu setzen versucht. Sei’s drum.

      Viel weiter hat ihn das Telefonat jedoch trotzdem nicht gebracht. Was hatte er aber auch erwartet? Formulierungen wie etwa: Die Befunderhebung ist erschwert und stark eingeschränkt, soweit bei fortgeschrittenen postmortalen Veränderungen feststellbar, oder Gutachten nach Kenntnis aller Ermittlungsergebnisse nachdrücklich Vorbehalten, waren nach Fenners Aussagen international übliche Standardvorbehalte zum Schutze des Gutachters und nichts, was auf etwaige Unregelmäßigkeiten bei der Erstellung hinweisen könnte. Zu Radedorm, einem DDR-Psychopharmakon, von dem Gropol im toxischen Bereich liegende Wirkstoffmengen in Sangers Körper gefunden hatte, wollte oder konnte sich der West-Professor nicht äußern. Insbesondere wollte er nicht auf Benedicts Frage eingehen, wie dieses Zeugs wohl bei jemandem wirken könnte, der es regelmäßig nahm. Schließlich hatte der DDR-Mediziner daraus den Schluss gezogen, dass nach Einnahme solcher Dosen in der Regel stark sedative (=dämpfende) bis hypnotische Wirkungen auftreten, die ein Ertrinken fördern und beschleunigen können.

      *

      Über zwei Wochen ist er nun schon in dieser Stadt, aber das nahezu mühelose Überqueren der ehemals undurchdringlichen Grenzsperren in jedweder Richtung verursacht ihm noch immer Gefühle mit dem prickelnden Reiz des Ungewohnten. Aus dem ehemaligen „Palast der Tränen“, wie oft war er selbst dort wieder Richtung Berlin (West) verschwunden, soll ja nun eine Disco werden. Vielleicht gar nicht mal die schlechteste Verwendung. Und der Intershop im „Metropol“ versucht seine letzten schäbigen Restbestände an Valuta-Waren loszuwerden. Die einstige Edelabsteige für West-Besucher macht heute einen eher heruntergekommenen Eindruck. Aber vielleicht hatte sie auch früher schon ihren Talmiglanz einzig und allein aus dem herunter gewirtschafteten Umfeld und den geparkten West-Autos bezogen ... und den bunt verpackten Sendboten einer exotisch fernen Konsumwelt.

      Was mochte einen Mann wie Dean Sanger nur hierher gelockt haben? Und was hatte ihn hier festgehalten? Weder Diana Meißners Büchlein noch die schwärmerische Begeisterung der ältlichen Staatsarchivarin hatten ihm darüber genügend Aufschluss gegeben. Dazu war das Buch auch zu sehr eine Auftragseloge. In wessen Auftrag auch immer. Immerhin kennt Benedict jetzt aber doch einige Daten seines Lebenswegs. Daten, an die er sich halten kann. Auch einige Fakten eben, die, ungefärbt von Politschwärmereien, dem Hauptkommissar etwas mehr Sicherheit geben. An sich war da doch alles geregelt und reichlich vorbestimmt gelaufen im Leben des Mittelklasse-Sprösslings Dean Sanger aus Denver, Colorado.

      Lehrer-Familie mit gutem Auskommen und drei Söhnen, alle sportliche Freilufttypen. Dean lernt reiten, soll Offizier werden und kommt mit zehn Jahren auf eine Kadettenschule. Hier beginnt die bis dahin gradlinige Biographie des Jungen erstmals zu verschwimmen. Angeblich, so steht es jedenfalls in diesem Buch, hätte ihn der stumpfsinnige Drill dort abgestoßen und mit Hilfe der Mutter setzt er bei seinem Vater durch, dass er die Kadettenschule verlassen kann. War das wirklich sein Wille gewesen, oder wollte die Mutter, die in seinem Leben später eine so dominierende Rolle spielen wird, ihn einfach wieder bei sich haben? Jedenfalls setzte sie sich gegen den Willen des Vaters durch, und das Ganze schien ja auch keinen nennenswerten Bruch in Jung-Deans Lebensweg verursacht zu haben. Wie viele andere Gleichaltrige verdient er sich neben der Schule Geld dazu und kauft sich davon sein eigenes, erstes Pferd. Er reitet hervorragend, schwimmt, treibt Langlauf. Als er zwölf wird, schenkt ihm sein Vater eine Gitarre, und bald spielt Dean so gut, dass er auf Partys und Schulfeiern singt. Alles ganz normal für einen jungen Teenager aus Denver, Colorado. Und selbst dieser ominöse Wettlauf mit einem Muli über eine Strecke von immerhin 110 Meilen, den er nach 47 Stunden Dauer knappe drei Minuten vor dem Muli gewinnt, passt doch immer noch zu der „fighting spirit“- Mentalität der Amerikaner. Nichts, was auf den späteren Ausbruch hindeutet. Eher auf einen besonders ausgeprägten Sinn für Publicity, denn wer anders als er selbst hatte einen Artikel über dieses Wettrennen im nationalen Nachrichtenmagazin „Newsweek“ lanciert? Aber auch das scheint nichts Besonderes in diesem so PR-süchtigen Land. Nein, da musste einfach mehr passiert sein, um ... „Was ist los? Du wollen Ärger?“

      Er hat gepennt, ist mitten in die auf dem Bürgersteig hockenden Hütchenspieler rein gerannt. Sieht sich plötzlich von schwarzlockigen Jugendlichen umringt, deren böse zusammengekniffene Augen nichts Gutes erwarten lassen. Schon blitzt eine Messerklinge im Sonnenlicht, als eine Hand ihn am Arm packt und eine bekannte Stimme in barschem Ton „Volkspolizei! Ausweise, aber dalli!“ ruft. Binnen Sekunden hat sich der Straßenspuk in alle Himmelsrichtungen verflüchtigt.

      *

      „Na, Sie haben Nerven! Wollen Sie sich mit denen anlegen?“

      Oberleutnant Engel zieht ihn schnell auf die andere Straßenseite hinüber, СКАЧАТЬ