„Vor drei Tagen", überlegt Bill laut. „In welcher Richtung ist Big John selbst geritten?"
„Nach Osten. Mit drei Handpferden."
Bill zuckt unmerklich zusammen. Er weiß, dass ein fest entschlossener Mann wie der Rancher schnell in Cheyenne und wieder zurück sein kann. Aber wird er ausgerechnet wieder hierherkommen?
„Weiter!", schnarrt Bill und drängt Hassel vorwärts. Er hat kein gutes Gefühl, als er die Männer in seinem Rücken weiß. Aber er hat sich wohlweislich den Stern Tetleys an die Jacke gesteckt, ehe sie die Stadt erreichten.
Vor dem Haus eines Häuteaufkäufers steht die zweite Menschengruppe. Das nächste Haus ist ein Saloon. Dahin dirigiert Bill seinen Gefangenen.
Der Mann hinter der Theke weicht betroffen zurück, als Hassel vor Jackson eintritt.
„Nein!", ruft er.
„Was?"
„Das ... das geht nicht!"
„Warum nicht? Weil Big John hier war und bestimmte Befehle gegeben hat? Soweit kann doch seine Macht nicht reichen."
„Er bringt Rinder hierher. Wir haben an ihm gut verdient. Er weiß das, Mister!"
„Ich bringe nur seinen Sohn!", knurrt Bill. „Wir haben beide Hunger und brauchen ein Zimmer. Und zwar ein Zimmer mit Fenstern nach der Straßenseite, damit wir den Zug sehen, wenn er kommt. Bringen Sie uns das Essen hinauf. Welches Zimmer ist das beste?"
„Ich ... das geht nicht."
„Haben Sie Gäste im Haus?"
„Nein. Aber das geht wirklich nicht. Sie machen mich unmöglich!"
„Ich werde mir das beste Zimmer selbst aussuchen", gibt Bill zurück und schiebt Dale weiter. „Vergessen Sie den Whisky nicht! Und noch etwas: besorgen Sie mir ein gutes Gewehr. Ich bin schlecht bewaffnet. Munition brauche ich auch."
*
Als der Keeper das Geschirr hinausträgt, sitzt Dale in einem Armstuhl, an dem er festgebunden ist. Die Tür fällt zu.
Bill schenkt sich einen Whisky ein, trinkt einen Schluck und stellt das Glas auf den Tisch. Er greift nach dem Gewehr und schiebt Patronen in den seitlichen Füllschlitz.
Dale hebt das Bein und stößt mit einem Fluch gegen das Tischbein. Der Tisch wird kratzend über den Boden geschoben. Das Whiskyglas fällt um. Der scharfe Schnaps ergießt sich über die Platte, und das Glas rollt über die Kante und zerspringt splitternd auf dem Boden.
„Was soll das?", fragt Bill und schiebt weiter Patronen in den Füllschlitz. „Denkst du, dass sich deshalb etwas ändert?"
„Mein Vater wird bestimmt noch kommen!", keift Dale. „Ich fühle es."
„Als er dich prügelte, hast du iihn bestimmt verflucht und gehasst, Dale. Es ist seltsam, nicht wahr? Jetzt ist er deine letzte Hoffnung."
„Er wird die Stadt auseinandernehmen!"
Bill repetiert das Gewehr und geht zum Fenster. Er blickt zu den Bahnschuppen am Ende der kleinen Stadt. Ohne sich umzublicken sagt er: „Dein Vater wird dich niemals befreien, Dale. Du solltest diese Hoffnung begraben. Ich würde dich nicht gern erschießen. Aber wenn ich keinen anderen Weg mdhr sehe, tue ich es."
Er dreht sich nun doch um und blickt Dale in das fahle Gesicht.
„Einfach erschießen? Das kannst du doch gar nicht!", schreit der Bursche.
Bill geht durch den Raum zurück, fegt die Scherben unter das Bett und rückt den Tisch gerade.
„Gerade darauf solltest du dich nicht verlassen", sagt er. „Du hast einen Mann ermordet. Es ist Sache des Richters, dich zu verurteilen. Aber wenn ich dich nicht zum Richter bringen kann, mache ich es selbst."
Bill geht zum Fenster zurück und blickt wieder auf die Straße. Das Ticken der kleinen Uhr auf dem Kaminsims schlägt überlaut an seine Ohren.
Er braucht nicht hinzusehen, um zu wissen, wie spät es ist. Er hat vorhin hingesehen. Vorhin und vorher immer wieder hat er darauf geschaut.
Es fehlen noch sechs Stunden bis zur Ankunft des Zuges.
In der Stadt ist es noch ruhig. Es sind keine Reiter gekommen. Er hofft, dass es dabei bleiben möge.
Plötzlich zuckt er zusammen.
Dale schreit.
Bill reißt das Fenster auf und beugt sich hinaus. Hämmernd rast der Hufschlag in die Stadt hinein.
„Sie kommen!", schreit Dale. „Jetzt kommen sie!"
Jackson spürt die Kälte, die nach ihm greift, und dann ist es ihm plötzlich, als würde das Blut in seinen Adern kochen.
Die Reiter kommen von Osten. Bill zählt zehn Männer, die rasend schnell näherkommen. Er erkennt Big John Hassel ganz deutlich an der Spitze. Der Mann auf dem großen Rappen ist im Sattel etwas zusammengesunken. Sie kommen bis zum ersten Haus und halten dort an.
„Dad!", schreit Dale aus Leibeskräften.
Bill weiß, dass der Ruf nicht bis zu den Reitern dringen kann. Doch ebensogut weiß er, dass Big John jetzt schon alles erfährt.
Da sprengen die Reiter weiter, donnern heran wie eine Sintflut, die nichts mehr aufhalten kann. Unten vor dem Saloon halten sie an. Zwei Minuten lang hüllt sie eine dichte Staubwolke ein.
Bill sieht das Gesicht des Ranchers. Es glüht und ist vor Hass entstellt.
„Jackson!", keucht er. „Überall habe ich dich gesucht. Wir waren bis Cheyenne, und ich ahnte, dass du irgendwo auf dem Wege hinter uns sein musst. Was ist ..."
„Dad!", schreit Dale wieder.
Ein Zug der Erleichterung geht über das Gesicht Big Johns.
Ein Cowboy reißt seinen Colt heraus. Ehe er schießen kann, trifft ihn eine Kugel Jacksons und wirft ihn aus dem Sattel.
Unruhig schnauben die Pferde und wollen nach den Seiten ausbrechen.
„Vielleicht ist euch das allen eine Warnung", sagt Bill in die folgende Stille. „Ich habe ihn bis hierher gebracht, und ich werde ihn auch weiterbringen. Ihr könnt mich nicht mehr aufhalten! Wer auf mich schießen will, muss damit rechnen, tot zu sein. Big John, reite zu deiner Ranch zurück."
Bill schmettert das Fenster zu und geht in den Raum zurück. Er dreht den Stuhl, auf dem Dale sitzt, so, dass der zur Tür schaut.
Er dauert nicht lange, da sind polternde Schritte auf der Treppe zu hören. Bill greift nach dem Gewehr und tritt hinter Dale.
*
Als die Tür aufgerissen wird, hat Bill das Gewehr in der linken Hand und presst Dale den СКАЧАТЬ