„Tu doch etwas, Kent!", schreit Dale auf einmal wieder. „Siehst du denn nicht, dass er mich gefesselt hat und fortschleppen will?"
„Er hat mit sich zu tun, um nicht das Bewusstsein zu verlieren", sagt Bill. „Kent, wenn dich der Hass auf mich nicht ganz blind gemacht hat, dann solltest du über alles noch einmal nachdenken. Dich habe ich in der Stadt davor bewahrt, ein Mörder zu werden. Dale ist schon einer. Du bist nicht schwer verletzt. Eines Tages sitzt du wieder im Sattel."
„Du hast mir die Revolverhand zerschossen!", schreit der Cowboy giftig.
„Du bist links auch nicht so schlecht, dass es nicht für die Weidearbeit reichen würde", erwidert Bill kühl. „Wenn Big John zurückkommt, dann sag' ihm, dass er es aufgeben soll. Vielleicht ist es das beste für ihn, wenn er hier auf seiner Ranch bleibt."
Bill nimmt die Zügel des Handpferdes, wendet beide Tiere und reitet los.
„Kent!", schreit Dale über die Schulter. „Kent, so tu doch etwas! Der Boss wird dir den Schädel abreißen, wenn er zurückkommt."
Bill schaut zurück und sieht Kent über den Boden kriechen. Sicher will er seinen Colt erreichen. Dabei sieht er wohl nicht einmal, dass die Entfernung für einen Schuss mit der ungeübten linken Hand längst zu groß geworden ist.
*
Brüllend löst sich der Schuss. Kent schreit noch einmal kurz, dann fällt sein Kopf wie ein schwerer Stein auf den Boden.
Big John lässt den Colt ins Halfter gleiten und schaut die Männer an, die ihn im Halbkreis umstehen.
„Merkt es euch!", bellt er sie an. „So geht es jedem!"
Schweigend lösen sich zwei aus der Gruppe, heben den Toten hoch und tragen ihn weg.
„Ist alles fertig?", fragt Big John.
„Ja, Boss."
„Tobe, du sagst den beiden, dass sie auf der Ranch bleiben sollen. Irgend jemand muss schließlich hier sein."
„Ja, Boss." Tobe geht um das Bunkhaus herum.
Big John wendet sich seinem großen Rappen zu und steigt in den Sattel. Als Tobe zurückkommt, sitzen die Männer schon auf ihren Pferden. Sie folgen Big John, neben dem ein Mann reitet, der sich über das Sattellhorn zur Seite neigt und Spuren im Sand sucht. Der Zug reitet durch die Dunkelheit über die Hügelkuppe.
„Sind wir noch richtig?", fragt Big John nach einer halben Stunde.
„Ja, Boss. Wir reiten genau nach Norden. Ich fürchte, in den Bergen werden wir die Spuren verlieren."
„Er ist nur wenige Stunden vor uns. Können wir schneller reiten, ohne dass du die Spur verlierst?"
„Etwas."
Big John gibt seinem Rappen sofort die Sporen.
Als der Morgen graut, halten sie an.
Der Boden ist hart. Nur hier und da sprießen ein paar Grasinseln aus Spalten.
„Aus", sagt der Fährtensucher.
„Weitersuchen!", kommandiert Big John. „Irgendwo müssen Spuren sein."
Mühsam kämpft sich die Truppe der Verfolger weiter vorwärts. Hin und wieder finden sie Spuren. Endlich, als der Boden etwas weicher wird, kommen sie schneller vorwärts.
Gegen Mittag halten sie an. Sie sitzen übermüdet und hungrig in den Sätteln. Aber Big John scheint das nicht zu sehen.
„Nichts mehr. Gar nichts mehr", sagt der Fährtensucher flach. „Und jetzt werden wir auch keine Spuren mehr finden."
„Wir reiten immer noch genau nach Norden", meint der Rancher. „Es gibt keinen anderen Weg, um schneller aus den Bergen und an die Bahnlinie zu kommen. Also weiter!"
Der Trupp setzt sich wieder in Bewegung. Von nun an reiten sie, ohne Spuren zu suchen nach Norden.
*
Bill Jackson steht auf einer Bergschulter und sieht die Kolonne unten im Canyon reiten. Er hat erwartet, dass es so kommen wird. Natürlich wird er nicht den einfachsten Weg nehmen. Es kommt ihm nicht darauf an, sehr schnell zu sein. Er will in Cheyenne ankommen mit seinem Gefangenen! Es spielt für iihn dabei keine Rolle, wann das ist.
Er wendet sich um und blickt zu Dale hinüber, den er an einer verkrüppelten Kiefer festgebunden hat.
„Wir bleiben hier bis zum Morgen", sagt er. „Bis dahin ist dein Vater sicher schon fünfzehn Meilen weiter."
Dale stößt einen Fluch aus.
Bill legt sich nieder und rückt sich den Sattel unter dem Kopf zurecht.
„Soll ich so schlafen?", keift Dale.
„Ja. Ich weiß, dass es nicht sehr bequem ist, Dale. Aber mit dir werde ich kein Risiko eingehen."
„Du verdammter Feigling! Wenn du ein Kerl gewesen wärst, hättest du mir einen Colt in die Hand gegeben. Wir konnten es wie Männer untereinander ausmachen!"
Bill muss über den absurden Gedanken lächeln.
„Ich habe doch rein persönlich nichts mit dir auszumachen, Dale", erwidert er. „Warum sollte ich mich mit dir schießen. Ganz davon abzusehen, will ich dich lebend nach Cheyenne bringen. Ich habe mir das nun einmal so in den Kopf gesetzt. Es ist auch die einzige Möglichkeit für mich, dem Richter und der Bahngesellschaft zu beweisen, dass die zweite Hälfte des geraubten Geldes nicht mehr aufzutreiben ist. Das spielt für mich eine sehr wesentliche Rolle!"
*
Sie sind den fünften Tag unterwegs und haben das raue Rudel des Ranchers nicht mehr gesehen. Bill hat keine Ahnung, ob die eingeschlagene Richtung sie nach Cheyenne führen wird. Immer wieder drehen sich die Hohlwege, denen sie folgen. Vielleicht sind sie schon in Wyoming und wissen es nicht.
In einem Felsenkessel halten sie an. Es geht auf den Abend zu. Bill steigt ab, bindet sein Pferd mit den Zügeln an einen Busch und wendet sich Dale zu. Der Ranchersohn ist schon abgestiegen, kann sich aber nicht von dem Pferd trennen, weil seine Handgelenike am Sattelhorn festgebunden sind.
Bill tritt auf die andere Seite des Tieres und löst den Sattelgurt.
Fluchend zieht Dale den Sattel herunter.
Er ist gezwungen, ihn mit sich herumzuschleppen.
Bill bricht Äste von den Büschen und schichtet sie übereinander. Er hat noch ein Stück Fleisch, das er braten will. Er hört Dales katzenhaften Schritt plötzlich hinter sich und wirbelt herum. Der Kerl hat den Sattel schon hochgeschwungen und lässt ihn niedersausen.
Bill wirft sich noch zur Seite, aber der Sattel trifft seine Schulter, und fegt ihn zu Boden. Die Äste, die er übereinander geschichtet hatte, fliegen nach СКАЧАТЬ