Taiga. Sergej Maximow
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Название: Taiga

Автор: Sergej Maximow

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783963114489

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СКАЧАТЬ gehen durch die Vorhalle, durch immer neue Türen, steigen fünf, sechs Stufen hinab und betreten einen großen Raum ohne Fenster. Grelle, große matte Lampen. Hinter einer niedrigen, bis zur Gürtellinie reichenden Absperrung Tische voller Papiere und Akten. Unzählige Papiere und Akten auch in den Wandregalen, die fast bis zur Decke reichen. Uniformierte Tschekisten rascheln mit Papieren, blättern und suchen. Mit ausgebreiteten Armen steht ein wenig abseits der Absperrung ein völlig nackter Mann mit Hornbrille und bebender Unterlippe. Ich werde zu ihm geführt, man befiehlt mir, mich nicht zu rühren, und ich kann auf seinem Körper die für nervösen Schüttelfrost typische Gänsehaut sehen.

      Ein Rotarmist, oder Popka, wie man in den Gefängnissen der gesamten Sowjetunion jene kleinen Henker nennt, die die Häftlinge durchsuchen, bewachen, eskortieren – tastet den Nackten unter den Achselhöhlen ab und fährt mit der Hand in seine Leisten­gegend.

      »Haben Sie spitze Gegenstände bei sich?«

      »Wie kann ein nackter Mann spitze Gegenstände bei sich haben?«, fragt die »Hornbrille« gereizt.

      Man befiehlt mir, mich ebenfalls zu entkleiden. Die schwitzenden Hände fahren über meinen Körper auf der Suche nach spitzen Gegenständen, und auch ich bekomme, wie mein Leidensgenosse, eine Gänsehaut.

      Dies ist die sogenannte Leibesvisitation.

      Es gibt zwei Sorten von Bewachern. Die einen sind Rotarmisten, die ihren aktiven Wehrdienst in den Truppen des NKWD ableisten, Menschen, bei denen man spürt, dass sie diese Dinge notgedrungen tun und von denen man oft einen mitfühlenden Blick erhascht.

      Die andere Sorte sind die Popkas – »kleine Ärsche« aus Berufung, gewissermaßen aus »Liebe zur Kunst«. Stumpfe, äußerst beschränkte Menschen ohne Beruf, denen die Arbeit in Gefängnissen und Lagern nicht nur einen guten Verdienst, sondern auch ein gewisses Vergnügen beschert. Zu dieser Sorte von Bütteln gehören wahrscheinlich auch die Ermittler. Zu dieser Kategorie gehörte auch der Popka, der mich untersuchte. Er führte die Leibesvisitation ausnehmend gründlich durch. Nicht eine Stelle meines Körpers blieb unabgetastet.

      Die NKWD-Agenten, die mich verhaftet und hergebracht hatten, gingen fort, zufrieden, mich los zu sein. Der Popka warf mir meine Kleidung wieder zu, nicht ohne vorsorglich die Hosenschnallen und, warum auch immer, einige Knöpfe abgeschnitten und die Taschen entleert zu haben. Auch meinen Gürtel bekam ich nicht wieder. All diese Dinge werden den Menschen aus einem einzigen Grund weggenommen: um sie der Möglichkeit zu berauben, sich in der Zelle das Leben zu nehmen. Doch sind diese Mühen vergeblich: Wer wirklich vorhat, das verfluchte Leben zu beenden, nimmt einfach Anlauf und stößt mit voller Wucht und gesenktem Kopf gegen die Steinmauer des Gefängnishofs oder der Zelle. Ich wurde in einen angrenzenden Einzelraum geführt und an einen Tisch gesetzt. Man händigte mir einen Häftlingsfragebogen aus, wo ich außer den üblichen Fragen nach Namen, Geburtsjahr und so weiter alle meine Verwandten bis zur zehnten Generation beschreiben sollte. Die Frage nach meiner Zugehörigkeit zur Weißen Armee war für mich nicht zutreffend, da ich das Pech hatte, dass ich erst mit der Machtübernahe der Bolschewiki geboren wurde und zum Zeitpunkt meiner Verhaftung noch keine zwanzig Jahre alt war. Zweifelnd strich ich diesen Abschnitt durch. Die Buchstaben tanzten vor meinen Augen, nach der schlaflosen Nacht funktionierte mein Kopf schlecht.

      Der Bogen ist ausgefüllt, ich unterschreibe. Ein neuer Popka führt mich die endlosen Korridore auf Parkettböden und Teppichläufern entlang. An den Übergängen von einem Korridor zum nächsten blitzen in den Ecken kleine rote Äuglein auf; wir treten wohl mit den Füßen auf irgendwelche unterm Teppich befindlichen Knöpfe, die Entgegenkommenden signalisieren, dass wir uns nähern. Kommt uns tatsächlich jemand entgegen, und ist ebenfalls ein Häftling dabei, packt die Begleitwache einen von uns sofort an der Schulter und dreht ihn mit dem Gesicht zur Wand. Eine Waffe tragen die Wachleute der Ljubjanka in der Regel nicht, zumindest nicht über der Kleidung.

      Wir steigen ins Untergeschoss hinab. Ein kurzer Korridor mit links und rechts gelegenen Zellen, der sogenannte »Hundezwinger«. In der Mitte ein Diensthabender in weichen Filzpantoffeln, die er direkt über den Stiefeln trägt, um lautlos zu den Guck­löchern an den Türen schleichen und nachsehen zu können, wie sich die Häftlinge verhalten. Gleich links befindet sich eine Zelle mit Dusche. Ich entkleide mich erneut, um zu duschen.

      Nass werde ich den Korridor entlanggeführt. Mit einer Hand halte ich die Hose fest, an der Gürtel und Knöpfe fehlen. Vor Zelle Nr. 4 bleiben wir stehen. Der Diensthabende steckt den leise klirrenden Schlüssel ins Schloss und fragt, mein Formular vor der Nase, im Flüsterton (in der Ljubjanka geschieht alles im Flüsterton – alles ist geheim! Überall ist es still, außer in den Unter­suchungsräumen und in den tiefsten Kellern):

      »Name?«

      Ich nenne meinen Namen. Der Schlüssel klickt, ich betrete die Zelle. Die Tür schlägt hinter mir zu. In der winzigen Zelle befinden sich drei am Fußboden festgeschraubte Eisenbetten. Ein Souterrainfenster mit dickem Gitter, das auf den Innenhof hinausgeht; von außen ist eine Blende angebracht, die nur den Blick auf ein Fetzchen vom Himmel frei lässt. Die auf den Betten liegenden Gestalten setzen sich sogleich auf. Einer, ein orientalischer Typ mit verbundenem Kopf, richtet den bohrenden Blick seiner fiebrigen Augen auf mich. Der andere, ein fülliger Mann von etwa fünfundvierzig bis fünfzig Jahren, mit einer seriös wirkenden Glatze, sieht mich blinzelnd an und erkundigt sich halblaut:

      »Haben sie Sie schon verhört?«

      »Noch nicht«, erwidere ich.

      Ich geändert meinen kleinen Rucksack auf die freie Liege, setze mich und stütze den Kopf auf die Hände. Wenn ich nur wüsste, worin mein Verbrechen bestand!

      Die beiden Häftlinge ließen mich, den Neuen »aus der Freiheit«, einen Augenblick zu mir kommen und stürzten sich dann begierig auf mich. Ich meinerseits erfuhr, dass es sich bei dem »Orientalen« um einen gewissen Kopylow handelte, Volkskommissar für Industrie auf der Krim, vormals Kommandeur einer Roten Division, die im Kaukasus agiert hatte. Auf seiner khakifarbenen Feldbluse waren von der früheren Erhabenheit nur noch drei Löcher für die von der Regierung verliehenen Orden geblieben. Auf meine Frage, wo denn die Orden jetzt seien, meinte Kopylow mit schiefem Grinsen, die habe man bei der Verhaftung abgeschraubt. Er saß seit einer Woche und wurde meines Wissens aller fünfzehn Punkte des berüchtigten Artikels 58 beschuldigt: sowohl des Vaterlandsverrats als auch der Spionage, der Unterminierung, der Sabotage …

      Der Zweite war der Dichter Pjotr Parfjonow, Autor des bekannten Liedes »Durchs Gebirge, durch die Steppe«. Nach Parfjonows Verhaftung war die Autorenschaft auf geheimnisvolle Weise auf S. Alymow übergegangen, der sich in Freiheit befand und Loblieder auf den großen Stalin sang.

      Dem Dichter wurde konterrevolutionäre und antisowjetische Agitation vorgeworfen.

      »Wer hat Ihren Haftbefehl unterzeichnet?«

      »Jagoda«, erwiderte ich.

      »Dann sieht es schlecht für Sie aus«, tröstete mich Parfjonow.

      Kopylow schob seinen Kopfverband zurecht und sagte mit heiserer Stimme:

      »Ich warne Sie lieber rechtzeitig, junger Mann: Die Unter­suchung ist eine ernstzunehmende Sache. Vor allem halten Sie stand, unterschreiben Sie nicht jeden Blödsinn, den Ihnen der Untersuchungsrichter vorlegt, ziehen Sie niemand anderes mit rein. Halten Sie sich! Sehen Sie, was die mit mir gemacht haben?« Er zeigte auf seinen Kopf. Dann hob er seine Feldbluse an, und ich erblickte gleichmäßige blaue Striemen, die sich vom Bauch zur linken Brust zogen.

      Auf dem Hof kommt im Stechschritt die Ablösung vorbei. Wider­hallend erklingt: »Wir dienen dem werktätigen Volk!« Wachwechsel.

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